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Deftiger Wahlbetrug beim Berliner FDP–Parteitag

■ Parteitag der Berliner FDP unterbrochen / Manipulationen bei den Vorstandswahlen / Unterlagen verschwunden / Wahl wird wiederholt

Aus Berlin Mechthild Küpper

„Unsinn“, sagte der mit überwältigender Mehrheit als Landesvorsitzender der Berliner FPD wiedergewählte Walter Rasch noch am Samstag abend zu Vermutungen, die Vorstandswahlen seien manipuliert worden. Am Sonntag nannte er es einen „Skandal“. Ein „sauberes Wahlverfahren“ soll nächsten Sonnabend auf einem Sonderparteitag stattfinden. Eine fünfköpfige Kommission unter der Leitung des Ex–Justizsenators Oxfort soll den Vorgang aufklären. Aufgefallen war der Schwindel spät in der Nacht, nachdem Jugendsenatorin Schmalz–Jacob sen im zweiten Wahlgang gegen Ex–Senator Horst Vetter die Wahl des ersten Beisitzers gewonnen hatte. Bei der Überprüfüng der Stimmzettel stellte sich heraus, daß tatsächlich Vetter beide Wahlgänge - den letzten sogar deutlich mit 123 gegen 89 - gewonnen hatte. Daraufhin wurden auch die anderen Wahlunterlagen überprüft. Seltsames kam zum Vorschein: Für Walter Rasch, der vermutlich zum letzten Mal und ohne Gegenkandidaten antrat, gab es einen Stimmzettel mehr als Delegierte. Für seinen Stellvertreter und als Nachfolger gehandelten Finanzsenator Günter Rexrodt waren fünf Ja–Stimmen als Neins verbucht worden. Der zweite Stellvertreter mußte bei dem offiziellen Ergebnis auf eine Enthaltung verzichten. Und der Schatzmeister gar, der erst im zweiten Wahlgang gewählt wurde, war in Wirklichkeit gar nicht gewählt. Die Seltsamkeiten rissen nicht ab. Als gestern morgen nach erhitzten nächtlichen Debatten die versiegelten Kuverts gesucht wurden, in denen die Stimmzettel nach den Auszählungen dem Präsidium überreicht wurden, waren einige verschwunden und andere lagen offen herum. Schon am Samstag abend hatten die Rechten geargwöhnt, hier sei systematisch manipuliert worden. Was trotz der Hitze des Gefechts dann unwahrscheinlich schien, erhärtete sich im Licht des frühen Morgens. Es gibt ein Muster bei den Unregelmäßigkeiten, und das Muster zeigt den Wunsch nach Erhaltung des Status quo in der gewendeten und buntscheckigen FDP. Die Linken sind fassungslos, die Rechten sehen ihre Stunde gekommen. Fortsetzung auf Seite 2 Tausendsassa Walter Rasch, Fraktions– und Landesvorsitzender, Rundfunkrat und neuerdings auch Bankdirektor, steht im Brennpunkt der Kritik. Auffällig zurückhaltend war trotz wochenlanger parteiinterner und gezielt nach außen lancierter Kritik an der Führung des ungemein schmiegsamen „Langen“ das Lager seiner Gegner. Trotz mehrfacher Aufforderung verzichteten sie darauf, ihren Gegenkandidaten Rexrodt zu präsentieren. Der wollte nicht den Königsmörder des machtbewußten Rasch spielen. Doch jetzt werden alle Karten neu gemischt, und der Finanzsenator wird sich noch einmal überlegen, ob er nicht doch antritt. Technisch hatten nur die Mitarbeiter der FDP–Geschäftsstelle die Möglichkeit, bei der Stimmauszählung zu manipulieren. Anwesend waren auch Vertreter der Satzungskommission, die jedoch den Zählvorgang nur beobachteten. Doppelt gezählt wurde nicht. Satzungkommission und Parteitagspräsidium erklärten gestern ihren Rücktritt. Die Geschäftsstelle diente seit langem schon als Zielscheibe der rechten Kritik. Zeitweilig hatte sich Rasch eine Mitarbeiterinnen– Stelle von einer Müllfirma „sponsorn“ lassen; daß die FDP–Zentrale weitaus zu üppig ausgestattet sei, kritisierten anläßlich der Schatzmeisterwahl auch einige Delegierte. Vertreter des rechten Parteiflügels vermuten hinter den Manipulationen die Rasch–loyalen Mitarbeiter: „Die Landesgeschäftsstelle baut sich einen genehmen Vorstand zusammen“, erklärte ein Delegierter gegenüber der taz. Bei der FDP, immer stolz auf exzessiv gepflegten „Individualismus“, herrscht je nach Couleur Kater– oder Aufbruchstimmung. Aus der Führungs– Crew stand gestern nachmittag niemand für eine Stellungnahme zur Verfügung, sie tagte in der Geschäftsstelle.

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