: Ungarns Kulturfunktionäre sind ratlos
■ Mit der Gründung eines eigenen Verbandes reagierten regimetreue Schriftsteller auf die Mehrheitsverhältnisse im alten Verband, weil dieser von einer „Gruppe aggressiver Oppositioneller“ manipuliert werde / Zankapfel ist unter anderem die Position der Partei zu der ungarischen Minderheit in Rumänien
Von Martin Pollack
Der Konflikt zwischen den ungarischen Schriftstellern und der kommunistischen Partei, der seit mehr als einem halben Jahr wie ein Grubenbrand schwelt umd immer wieder in offenem Streit hochflammt, wird von kritischen ungarischen Intellektuellen als eine Begleiterscheinung der Krise gewertet, in die ihr Land geraten ist. Die kühnen Wirtschaftsreformen, die das Land jahrelang zu einem Vorzeigebeispiel sozialistischen Wirtschaftens gemacht hatten, haben an Schwung verloren, und von den begleitenden politischen Reformmaßnahmen, die vor allem von Intellektuellen stets gefordert wurden, ist nicht viel zu bemerken. In früheren Jahren konnte die Führung in Budapest das Ausbleiben tiefergreifender politischer Veränderungen mit einem vieldeutigen Wink in Richtung Moskau entschuldigen: „Wir würden ja gern, aber uns sind die Hände gebunden!“ Seit Gorbatschow in Moskau an der Spitze steht, haben solche Ausreden viel an Glaubwürdigkeit verloren. In dieser gespannten Atmosphäre kam es Anfang Februar zu einem Zerwürfnis zwischen dem offiziellen Schriftstellerverband und dem Kulturapparat der Partei, dessen Hintergründe sich erst jetzt langsam abzeichnen. Zahlreiche, zumeist parteitreue Autoren hatten ihren Austritt aus dem Schriftstellerverband bekanntgegeben, weil dieser von einer „Gruppe aggressiver Oppositioneller“ manipuliert werde, wie der Publizist Sandor Fekete beklagte, der selber zu den Ausgetretenen gehört. Diese „Dissidenten“ gründeten die „Basisorganisation der Schriftsteller, Dichter und Übersetzer“, die als Autorengewerk schaft fungieren soll und offenbar das volle Vertrauen und die Unterstützung von Kulturminister Bela Köpeczi genießt. Den alten Schriftstellerverband, so hatte der Minister vorher zornig verlauten lassen, könne die Partei nicht länger als legitimen Verhandlungspartner betrachten. Daß er diesem barschen Urteil nicht stante pede die Auflösung der unbotmäßigen Institution folgen ließ, wie es eigentlich dem Brauch in den Ländern des realen Sozialismus entspräche, sondern hinter den Kulissen eine Art Gegenverband montierte, wird von den wenigsten ungarischen Autoren, mit denen man dieser Tage in Budapest spricht, als Beweis für die großzügige Hal tung der Partei gedeutet: Sie werten das eher als ein Zeichen der tiefen Ratlosigkeit des Regimes, das auf wachsende Kritik stößt und nicht recht zu wissen scheint, ob es nun mit dem Polizeiknüppel darauf reagieren soll oder mit säuerlichem Lächeln. Diese Unentschlossenheit kommt nicht von ungefähr. Als die Behörden im Herbst vorigen Jahres einigen kritischen Schriftstellern den starken Mann zeigen wollten, löste sie eine wahre Sturmflut wütender Proteste aus, die schließlich zur oben skizzierten Spaltung der Schriftsteller führte. Besonderen Unmut erregten die Suspendierung der in Szeged erscheinenden Monatszeits chrift Tiszataj (Theiß–Gegend) und das Publikations– und Aufführungsverbot für Sandor Csoori und Istvan Csurka, die zu den prominentesten Vertretern der sogenannten „Volkstümler“ oder „Populisten“ gehören. Tiszataj war den Behörden durch die Publikation eines Gedichts ungut aufgefallen, in dem der (später gehenkte) Ministerpräsident der Revolutionsregierung von 1956, Imre Nagy, als Märtyrer dargestellt wurde. Außerdem hatte die Zeitschrift immer wieder Beiträge gebracht, in denen die Situation der magyarischen Minderheiten in Rumänien und in der Slowakei kritisch beleuchtet wurden. Die Repres sionsmaßnahmen gegen die beiden Kollegen und das beliebte Magazin stießen nicht nur bei Autoren aus dem Lager der „Volkstümler“ auf Ablehnung. Die Bewegung der „Volkstümler“ ist übrigens ein Relikt aus der Horthy–Ära. Damals kämpften „echt ungarische“ Autoren, die sich im Dorf verwurzelt fühlten, gegen die „negativen“ Einflüsse der „Kosmopoliten“ oder „Urbanen“, die es auch heute noch gibt. Volkstümler und Kosmopoliten: „Wenn man gehässig sein wollte, könnte man auch sagen: Antisemiten und Juden“, hat der Philosoph Mihaly Vajda das belastete Verhältnis zwischen den beiden Lagern einmal umrissen. Aber in der Kritik des Regimes findet man oft eine gemeinsame Ebene. Die Rechnung für ihre Härte bekam die Partei im November 1986 bei der Generalversammlung des Schriftstellerverbandes präsentiert, als faktisch alle parteitreuen Schriftsteller–Funktionäre aus den Vorstandsgremien flogen und in der Mehrheit Regimekritiker hineingewählt wurden. Unter ihnen auch György Konrad und Istvan Eörsi. Zum neuen Vorsitzenden wurde Tibor Cseres gewählt, der aus Siebenbürgen stammt. Auch er wird zu den „Volkstümlern“ gerechnet, die zuletzt immer mehr an Ansehen und Einfluß gewonnen haben. Ein wichtiger Grund dafür ist ihre unbeugsame Haltung in der Frage der ungarischen Minderheiten. Es sind nämlich seit jeher die „Volkstümler“, die sich für die Rechte der Magyaren jenseits der Grenzen einsetzen, vor allem in Rumänien, wo ungefähr zwei Millionen Ungarn leben. Das ist auch ein Vorwurf, den diese Autoren gegen die Führung ihres eigenen Landes erheben: Diese sehe untätig zu, wie Ceausescu brave Magyaren knechte und quäle und munter mit seiner schändlichen Politik der Zwangsassimilierung fortfahre. Von Seiten der Partei empfindet man diese Kritik, die auch beim Schriftstellerkongreß vorgebracht wurde und die seither nicht mehr verstummt, als ungerechtfertigt und töricht. Die Behandlung der ungarischen Minderheiten in Rumänien sei nun einmal eine innere Angelegenheit des Landes, stellte der für außenpolitische Fragen verantwortliche ZK–Sekretär Matyas Szürös fest; im übrigen sei die Regierung an den ungeschriebenen Kodex des Verhaltens zwischen Bruderländern gebunden.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen