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Paraguays freie Stimme schweigt

■ Im Januar mußte Radio Nanduti, der einzige oppositionelle Sender in Stroessners Diktatur, den Betrieb einstellen / Was Schlägertrupps nicht schafften, besorgten Störsender, die die Werbesendungen angriffen, um das Radio finanziell auszutrocknen. Doch die oppositionelle Stimme will im April wieder in den Äther gehen

Aus Asuncion Gaby Weber

„Nanduti“ heißt soviel wie „Spinnennetz“. Es ist ein Wort des Guarani, der indianischen Landessprache Paraguays. Nanduti - so heißen auch die aus Baumwolle gehäkelten spinnennetzähnlichen Tischdeckchen, jene Souvenirs, die in der Innenstadt Asuncions haufenweise unter die Touristen gebracht werden. Nanduti - so nennt sich auch eine Radiostation, die vor zwei Monaten für internationale Schlagzeilen sorgte. Der regimekritische Sender wurde Mitte Januar geschlossen, und nicht etwa von der Regierung des General Alfredo Stroessner, der mit 33 Amtsjahren diestältester Diktator der Welt ist, sondern von seinem Besitzer, dem Journalisten Humberto Rubin. Ein Sendebetrieb sei unter den gegenwärtigen Bedingungen unmöglich. Die Radiostation besteht seit 25 Jahren. Vor zehn Jahren, als Paraguay den Vertrag mit Brasilien über den riesigen Staudamm Itaipu abschloß, begann bei Radio Nanduti ein neuer Wind zu wehen, die Journalisten wurden mutiger. Sie klagten Korruption in der Verwaltung an und führten das sogenannte „offene Mikrophon“ ein: unzensierte Diskussion von Studiogästen mit Hörerbeteiligung. Das Fräulein vom Amt und die Schlägertrupps Die Folgen waren zunächst relativ harmlos: Es wurden Telefonleitungen gekappt und Verbindungen ins Landesinnere oder ins Ausland nicht mehr hergestellt. Das Fräulein vom Amt - so erinnert sich Humberto Rubin - erklärte dann einfach, die Leitung funktioniere nicht. Dann warf man dem Journalisten „Aufruf zum Haß“ vor und erteilte ihm vorübergehend Berufsverbot. Laut Dekret des Innenministeriums durfte er sechs Monate lang nicht mehr an sein eigenes Mikro. Und oft landete Rubin im Gefängnis, jeweils nur für wenige Tage. Dann wieder wurde das Radio geschlossen, mal für einen Monat, mal für nur zehn Tage. Im April 86 zog ein Schlägertrupp zur Radiostation mit vier Lastwagen, zehn PKWs und einem Orchester. Sie schossen auf das Gebäude und zertrümmerten zu den Klängen einer Polka die Fensterscheiben. In Sprechchören riefen sie „Es lebe Stroessner“, „Rubin: Scheiß– Jude“, „Kommunisten–Jude“, „Fidel–Castro–Jude“ und „wir bringen dich um“. Die Journalisten riefen über Notruf die Polizei, aber die kam nicht. Sie regelte zwei Straßenecken weiter den Verkehr, damit vor Radio Nanduti in Ruhe randaliert werden konnte. Eine Anzeige wegen Sachbeschädigung verlief im Sande, obwohl alle an der Demonstration beteiligten Autos identifiziert werden konnten; die meisten hatten gelbe Nummernschilder, die für Fahrzeuge der öffentlichen Verwaltung ausgegeben werden. Humberto Rubin ist Sohn russischer Juden. Diese Tatsache, so erzählt er, sei eher nebensächlich. Heute gebe es in Paraguay, wo nach 1945 tausende Nazis untergekrochen waren, eine einflußreiche jüdische Lobby. Die Gemeinde bestehe aus etwa 1.200 Mitgliedern. Der Angriff auf die Werbespots Drei Tage nach den Steinwürfen auf das Redaktionsgebäude ging der Sender, der 15 Kilometer außerhalb der Stadt liegt, zu Bruch. Auch in diesem Fall begann die Polizei erst gar nicht, ernsthaft zu ermitteln. Dann versuchte man es mit einem Anzeigenboykott. Radio Nanduti ist wie fast alle Rundfunkstationen in Südamerika ein priva ter Sender, der sich ausschließlich über Werbeeinnahmen finanziert. Coca–Cola, Pepsi–Cola, Shell und Esso kündigten ihre Werbespots, weil sie um ihren Absatz bangten. Radio Nanduti sendete trotzdem weiter; man verkaufte einige Geräte und Autos, die man noch in besseren Zeiten angeschafft hatte. Und Freunde griffen unter die Arme. Das Regime zeigte sich steigerungsfähig: Ab Mai 1986 wurden die kritischen Sendungen durch einen Störsender unterbrochen. Wenn Rubin zum Beispiel Paraguay als Diktatur bezeichnete, ertönte danach nur noch Krach. Und schließlich wurden sämtliche Werbespots der wenigen verbliebenen Anzeigenkunden systematisch gestört. Wenn „Sharp“ einen neuen Kopierer oder „Aerolineas Argentinas“ Billigtickets anpreisen wollte, war minutenlang nur noch Geknatter zu hören. Diplomatische Interventionen und Proteste halfen nichts. Der bundesdeutsche Vertreter protestierte. Und der US–Botschafter Clyde Taylor besuchte die Redaktion und klopfte Rubin für „seinen Einsatz für die Freiheit“ anerkennend auf die Schulter. Rubin wurde demonstrativ nach Washington eingeladen, um über Demokratisierungsprozesse in Südamerika zu referieren. Daß er bei solchen Gelegenheiten immer wieder einträchtig mit Exil–Kubanern wie Armando Valladares abgelichtet wird, ist ihm, wie er der taz erklärt, „gar nicht recht“. Aber Radio Nanduti und seine 35 Mitarbeiter brauchen diesen internationalen Schutz aus den USA, auch wenn er persönlich „den US–Imperialismus stets abgelehnt“ habe. Wer für die Störungen gegen Radio Nanduti verantwortlich ist, ist angeblich nicht auszumachen. Die paraguayische Telefongesellschaft ANTELCO - die jahrelang die Gebührenannahme von Rubin verweigert hatte - behauptete, den Störsender nicht orten zu können. An zwei Orten allerdings hat sie nicht gesucht, beim Regime– Sender „Radio Nacional“ und im eigenen Haus. Deutsches Handwerk? Die Firma Siemens hat für ANTELCO das gesamte Telephonnetz Paraguays aufgebaut, in allen Häusern und Amtsstuben findet man die kleinen grauen Apparate mit der deutschen Aufschrift „Notruf“ und „Feuer“. Auch das Abhörsystem der Polizei ist von Siemens errichtet worden. Dies alles ist als Entwicklungshilfe deklariert und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) noch zu sozialliberalen Zeiten finanziert worden. Allein im Jahr 1986 flossen 16 Millionen Mark aus dem BMZ–Haushalt nach Paraguay. Humberto Rubin wollte auf Einladung der spanischen Regierung nach Madrid fliegen. Bei dieser Gelegenheit wollte er auch nach Bonn kommen, um dem Gerücht nachzugehen, daß Siemens den Störsender geliefert habe. Doch die Reise kam nicht zustande. Paraguayische Polizisten nahmen ihm am Flughafen seinen Paß ab. Noch hat Rubin nicht das Handtuch geworfen. Am 14. April, am „Tag Amerikas“, will er den Sendebetrieb wieder aufnehmen, „mit Störsender oder ohne“, sagt er. Mit nordamerikanischer Hilfe hat er seine Sendeanlagen modernisiert und ein brasilianisches Fernsehteam hat ihm technische Unterstützung zugesagt. Die Kollegen aus dem Nachbarland wollen mit ihren Geräten das bewerkstelligen, wozu Siemens und die staatliche paraguayische Telefongesellschaft angeblich nicht in der Lage sind: den Störsender zu orten.

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