: Der stille Abgang der britischen Kumpels
■ Zwei Jahre nach dem Streik präsentiert sich der Steinkohlenbergbau Großbritanniens im neuen Gewand, doch sind viele der alten Probleme größer geworden Keine neuen Dauerarbeitsplätze in Sicht / Kommunen sind überfordert / Radikale Gewerkschaften geschwächt und ohne Konzept
Von Mathias Gather
Es ist still geworden um den britischen Steinkohlenbergbau seit dem einjährigen Ausstand der Bergarbeiter 1984/85. Genau drei Jahre ist es jetzt her, daß der Streik in der Zeche „Cortonwood“ in Yorkshire seinen Ausgang nahm, genau zwei Jahre sind es, seit am 6. März 1985 die geschlossene Rückkehr der streikenden Kumpel auf Geheiß der Gewerkschaft das Ende des international beachteten Arbeitskampfes bedeutete. Zwei Jahre, in denen die nationale Kohlenbehörde (NCB) ihre angestrebten Rationalisierungsmaßnahmen, die den Hintergrund des Widerstands der Bergarbeiter bildeten, nahezu ungestört vollziehen konnte. In der Tat konnte das NCB, das 1986 in „British Coal“ umbenannt wurde, bereits in seinem ersten Geschäftsjahr nach Beendigung des Streiks stolz eine Reduzierung des Defizits von 50 Mio. Pfund verkünden. Nicht nur verglichen mit dem Defizit im Streikjahr in Höhe von über 2,2 Mrd. Pfund, sondern vor allem im Vergleich mit den jährlichen Verlusten von durchschnittlich 360 Mio. Pfund seit 1979 übertraf die Behörde damit die Erwartungen selbst der kühnsten Optimisten - und das trotz gefallener Energiepreise. Alles deutet darauf hin, daß British Coal in seinem Geschäftsbericht 1986/87 erstmals wieder auf einen Gewinn verweisen kann: Von den neun britischen Kohlenbezirken wird nur im traditionell problematischen Schottland sowie im winzigen Bezirk Kent noch mit Verlusten gefördert. Radikale Rationalisierungen Erreicht wurde diese aus betriebswirtschaftlicher Sicht beachtliche Bilanz mit einem radikalen Rationalisierungsprogramm im Steinkohlenbergbau, das in seiner Geschwindigkeit selbst die pessimistischen Ahnungen der Gewerkschaften noch übertraf. Dave Feickert, Forschungsbeauf tragter bei der Bergarbeitergewerkschaft NUM, der seit den frühen achtziger Jahren sorgfältig die Planungen der nationalen Kohlenbehörden verfolgt, sieht denn auch das Ende dieser Rationalisierungswelle noch lange nicht erreicht. Sind schon heute in den staatseigenen Kohlengruben nur noch 115.000 Kumpel gegenüber 181.000 beim Streikbeginn vor drei Jahren beschäftigt, so glaubt Dave Feickert, daß British Coal Mitte der neunziger Jahre den gleichen Ausstoß mit nur 50–60.000 Beschäftigten erreichen wird. Die Planungen des neuen Präsidenten der Kohlenbehörde, Sir Robert Haslam, der im letzten Sommer die Nachfolge des eisenharten Ian MacGregor (“Mac the Knife“) antrat, zielen vor allem auf weitere Produktivitätssteigerungen ab. Ist der britische Steinkohlenbergbau schon heute der modernste in ganz Europa, so will man im Zeitalter der Ideologie marktwirtschaftlicher Anpassung und staatlicher Deregulierung schließlich auch den ganz Großen auf dem Weltmarkt Paroli bieten können. Die USA und Australien, aber auch Südafrika, setzen mit ihren wesentlich günstigeren geologischen Lagerungsverhältnissen (oder im Fall von Südafrika den miserablen Arbeitsbedingungen) die ökonomischen Maßstäbe, denen sich die gegenwärtige Regierung Thatcher verpflichtet fühlt. Neben dem verstärkten Einsatz neuer Technologien wie computergesteuerter Förderung und Aufbereitung der Kohle, die etwa 50 Lohnskala sowie die von British Coal zunehmend erzwungene Flexibilisierung der Arbeitszeit, die bei den Gewerkschaften auf den größten Widerstand stoßen. Gewerkschaften im Clinch Die Position der großen, alten Bergarbeitergewerkschaft NUM (National Union of Mineworkers) als machtvolles Gegenpart kon servativer Regierungspläne ist jedoch nicht nur durch den verlorenen Streik geschwächt. Besonders in den hochproduktiven Zechen von Derbyshire und Nottinghamshire hat die während des Streiks von arbeitenden Bergleuten ins Leben gerufene Gegengewerkschaft UDM (Union of Democratic Mineworkers) eine große Bedeutung erlangt. Zwar wurde der nationalen Kohlenbehörde gerichtlich untersagt, mit Mitgliedern der UDM höhere Lohnabschlüsse zu vereinbaren als mit solchen der radikaleren NUM, doch ist die unausgesprochene Bevorzugung von Nicht–NUM–Mitgliedern bei Neueinstellungen oder interner Arbeitsorganisation weiterhin deutlich. Trotz der klaren Differenzen der beiden Hauer–Gewerkschaften - die Steiger sind nach guter englischer Tradition bereits seit 1947 in einer eigenen Gewerkschaft organisiert - sind die öffentlichen Auseinandersetzungen seit dem Streikende seltener geworden. Dies mag einmal daran liegen, daß mittlerweile auch die UDM die Folgen der kompromißlosen Kohlepolitik nur schwer vor ihren Mitgliedern rechtfertigen kann, vereinzelt sogar bereits mit Streiks drohte. Zum anderen aber ist auch der Einfluß der UDM regional begrenzt, erstreckt sich lediglich auf die schon im großen Streik 1926 nur schwer zu solidarisierenden Reviere der Midlands, so daß die unmittelbare Konfrontation der Gewerkschaften vermieden werden kann. So ist in Süd–Wales, das 1984/85 eine fast 100 prozentige Streikfront bot, der Organisationsgrad der UDM praktisch Null, ebenso ist deren Einfluß in Schottland oder Nordostengland kaum zu spüren. Und auch die Zechen Yorkshires, der Heimat und Hochburg des schon zu Lebzeiten legendären Bergarbeiterführers Arthur Scargill, bieten bis auf wenige Ausnahmen keine Basis für gewerkschaftliche Abweichungen. Doch auch hier, in Süd–Yorkshire, einem Kohlenbezirk, dessen Zechen im Streikjahr gerade ein Prozent der Vorjahresmenge förderten, müssen die Kumpel den veränderten Produktionsbedingungen Tribut zollen. Jahrzehntelang mit seinen streikfreudigen Bergarbeitern das Schreckgespenst eines jeden Zechenmanagers, geraten hier die Kohlengruben nur noch mit nationalen Rekordergebnissen bei der Förderung in die Schlagzeilen. Und die Arbeiter der Zeche „Wath Main“, einst ein Hort gewerkschaftlichen Widerstandes, stimmten gar im Herbst letzten Jahres mehrheitlich für die sofortige Stillegung ihrer Grube, um wenigstens noch in den Genuß der bis März 1987 gewährten Abfindungssummen kommen zu können. Abfindungen statt Entlassungen Auch andernorts versucht British Coal, den ständigen Beschäftigungsabbau für die Betroffenen mit Geld so schmerzlos wie möglich zu gestalten. Über eine Mrd. Pfundwurde seit dem Ende des Streiks im Rahmen des „Redundant Mineworkers Payments Scheme“, das die Höhe der Abfindungszahlungen für freiwillige Industrieabgänger regelt, ausgegeben. So kann die nationale Kohlenbehörde nicht ohne Stolz darauf verweisen, daß angesichts dieser finanziellen Anreize für altgediente Bergleute Entlassungen in der Tat die Ausnahme bilden. Einen weiteren Versuch, den erhofften Strukturwandel in den Bergbaurevieren zu erleichtern, stellt das 1984 ins Leben gerufene „British Coal Enterprise“ dar. Diese der Kohlenbehörde angeschlossene Organisation hat zum Ziel, ehemaligen Bergarbeitern auf ihrem Weg in die Selbständigkeit mit finanzieller Unterstützung behilflich zu sein. In den vergangenen Jahren seien so über 10.000 neue Jobs in den Bergbaurevieren geschaffen oder zumindest gefördert worden, wird betont. Doch die Dauerhaftigkeit solcher Unternehmungen wie Gebäudereinigung, Mietwagenbetrieben oder Imbiß–Buden ist zweifelhaft. Damian Dewhirst von der Coalfield Communities Campaign, einem Interessenverband der britischen Bergbaugemeinden, erkennt denn auch solche Bemühungen von British Coal als Weg in die richtige Richtung an; weitaus mehr als etwa einmalige Abfindungszahlungen seien solche finanziellen Starthilfen oder die ebenfalls angebotenen Umschulungsmaßnahmen geeignet, die Probleme der Bergbaureviere zu verkleinern. Und dennoch ist es angesichts der rapiden De–Industrialisierung natürlich ein hoffnungsloser Kampf gegen die Übermacht der nationalen Energiepolitik, den die einzelnen Bergbaugemeinden zu führen haben. Zwischen Pest und Cholera Auch das Beispiel der Kohlenstadt Barnsley, dem Sitz der Coalfield Communities Campaign, zeigt die Überforderung der Stadtregierungen, bei der Aufgabe, die Folgen des nationalen Strukturwandels aufzufangen. Zwischen dem alten Wollzentrum Leeds und der Stahlstadt Sheffield in Yorkshire gelegen, begann Barnsleys Aufstieg Mitte des vorigen Jahrhunderts als Mittelpunkt einer Vielzahl von Zechensiedlungen in der nächsten Umgebung. Eingerahmt von den mächtigen Abraumhalden, vermittelt die 75.000–Einwohner–Stadt noch heute mit ihren grauen Arbeitersiedlungen den Eindruck einer klassischen Bergbaugemeinde, auch wenn nur noch 20 Prozent der Beschäftigten tatsächlich in den verbliebenen Kohlengruben arbeiten gehen. Nach einem umfangreichen Restrukturierungsprogramm in den vergangenen Jahren gelten die Zechen Barnsleys heute als die modernsten in ganz Großbritannien und konnten schon kurz nach dem Ende des Streiks wieder profitabel betrieben werden. Gleichzeitig gingen hier seit 1981 über 40 Prozent der lokalen Arbeitsplätze im Bergbau verloren, mehr als jeder Fünfte ist heute arbeitslos in Barnsley. Und dennoch findet die Abhängigkeit vom Steinkohlenbergbau kein Ende. British Coal hat mit seinem Antrag, die Kohlenvorkommen unter Barnsley antasten zu dürfen, um die Zeche „Barnsley Main“ weiterhin wirtschaftlich betreiben zu können, die Stadtregierung vor eine schwere Entscheidung gestellt: Bei einem Ja droht die ganze Stadt geologisch abzusacken, bei einem Nein immer tiefer in Arbeitslosigkeit zu versinken.
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