piwik no script img

Grünes Engagement hinter Gittern

■ Erstmals fand eine grüne Wahlveranstaltung in einem hessischen Untersuchungsgefängnis statt / Reformen des Strafvollzugs sind auch in der eigenen Partei umstritten / Karstadt macht mit Wucherpreisen gute Geschäfte im Gefängnis

Aus Frankfurt Heide Platen

Die Mauern einreißen wollten sie nicht gerade, die drei Grünen Annette Stock–Heine, Rupert von Plottnitz und Werner Wenz. Auch keine falschen Hoffnungen wecken. Auf den ersten Blick wirkte ihr Auftritt am Dienstag nachmittag in der Frankfurter Untersuchungshaftanstalt in Preungesheim eher wie Anti–Wahlkampf. Die beiden Listenkandidaten und die Fraktionsmitarbeiterin im Landtag dämpften die Erwartungen der Gefangenen gegenüber der grünen Partei, ehe sie auch nur aufkommen konnten. 40 von 1.000 Untersuchungsgefangenen waren zu dieser bisher einmaligen Wahlveranstaltung in den großen Saal im ersten Stock des riesigen Betongebäudes an der Oberen Kreuzäckerstraße gekommen. Ausländer, Gefangene aus anderen Bundesländern, die in Hessen nicht wahlberechtigt sind, und solche, die ihre vermuteten Komplizen möglicherweise hätten treffen können, waren ausgeschlossen. Daß grünes Engagement nicht nur auf Wohlwollen stößt in den hessischen Gefängnissen, erfuhren die Politiker gleich zu Beginn. Reformen kosten Geld, meinte ein Gefangener. Wo, bitteschön, solle das herkommen, wenn die Grünen den großen Steuerzahlern, den Farbwerken Hoechst und den Atomfabriken NUKEM und ALKEM zum Beispiel, „den Boden unter den Füßen wegziehen“. „Luxusvilla an Luxusvilla könnten wir hier bauen und das Vollzug nennen“, konterte Werner Wenz, wenn etwa 6,5 Millarden Mark nicht in den Schnellen Brüter von Kalkar gesteckt worden wären. Auch ein anderes grünes Lieblingskind fand seine Kritiker: Die Gratis–Verteilung von Präservativen in hessischen Gefängnissen. Ob denn die Leute glaubten, fragte empört ein Gefangener, „daß wir hier drin alle schwul sind“. Ein anderer rechnete. „Das sind hier drin vielleicht 600 mal drei Pariser. Und wir kriegen zweimal die Woche Eintopf!“ Die Grünen, versprach einer, werde er wählen, „weil sie sich für Minderheiten einsetzen“. Eine andere Partei zu wählen, das sei wie „den eigenen Henker“ füttern. Daß die Minderheit von derzeit rund 5.000 Gefangenen in Hessen auch bei den Grünen nicht sonderlich gehätschelt wird, machten alle drei Politiker immer wieder deutlich. Konsens sei es bei „grüner Kriminalpolitik“ zwar, daß Haft erstens vermieden werden müsse und wo das nicht gehe, zweitens verringert und anders gewichtet werden müsse. Die Humanisierung des Strafvollzugs stoße aber nicht nur in den anderen, sondern auch in der eigenen Partei manchmal noch auf mittelalterliche Vorstellungen von Strafe und Rache. Richtig lebhaft wurde die zweistündige Diskussion während der Zigarettenpause im Gang vor dem Saal. Die Männer stehen dichtgedrängt im Vorraum und erzählen vom Alltag. Die Wucherpreise des Kiosks zum Beispiel, alles sei überteuert, 200 Gramm Pulverkaffee kosten 12 Mark. Betreiber des lukrativen Geschäfts sei der Kaufhaus–Konzern Karstadt, der sein Warenhaus auf der Frankfurter Zeil im vergangenen Jahr schloß, die 1.000 Kunden im Gefängnis aber behielt. Arbeit vergibt die Frankfurter Firma Sauer. Die Gefangenen produzieren für sie Schraubenschellen. Das heißt pro „Pensum“ 600 Schellen mit 1.200 Gummis versehen und 1.200 Schrauben einsetzen. Die Entlohnung: sechs Mark. Und das ohne Anspruch auf bezahlten Urlaub „auf der Zelle“. Wer krank wird, ist den trotz allem begehrten Job los. Solche Mißstände abzustellen, sagt Werner Wenz, das gehöre schon zu den „großen Würfen“. Die gingen mit den Grünen eher als mit anderen Parteien, aber auch nicht „von heute auf morgen“. Zum Abschied bedankt sich ein Gefangener recht herzlich für den Besuch. Ihm hatte es schon genügt, „daß überhaupt mal eine Partei es geschafft hat, sich hier sehen zu lassen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen