I N T E R V I E W „Brandt kennt uns nicht mehr“

■ Die Bundestagsabgeordnete Heide Simonis über die Berufung der neuen SPD–Sprecherin Margarita Mathiopoulos

taz: Frau Simonis, Sie haben die Berufung von Frau Mathiopoulos als Fehlentscheidung des Vorsitzenden Brandt gewertet. Halten Sie an Ihrem Urteil fest? Heide Simonis: Ja, ich bleibe bei meinem Urteil. Denn sie ist kein Parteimitglied und kennt deshalb die Partei nicht. Ich glaube nicht, daß jemand Pressesprecher für eine Partei sein kann, wenn er nicht weiß, wie so ein Wesen lebt und funktioniert und was sie bewegt - und das ausgerechnet in der Sozialdemokratie, die ganz andere Vorstellungen von Parteizugehörigkeit hat als andere Parteien. Sie kennt sich auf der Bonner Bühne nicht aus und ist keine politische Journalistin. Da kann nur noch das Kriterium übriggeblieben sein: Wir wollen es mal mit einer Frau versuchen. Aber wenn es das gewesen wäre: Wir haben sehr gute Frauen in der Partei, die in den Medien einen verdammt schweren Stand haben, weil sie sich zur SPD bekennen. Der Posten sollte an eine Frau gehen, das steht fest. Man könnte auch sagen, eine Frau von außen tut der SPD ganz gut, und sie hat ja einen erstaunlichen Werdegang. Würden Sie auch bei einem Mann sagen, das Kriterium könne nur noch Mann gewesen sein? Sie ist zweifelsohne eine sehr kluge Frau mit einer ungeheuren Ausstrahlung. Das bestreite ich überhaupt nicht. Aber ich bezweifle, daß jemand für alle Seiten verständlich über eine Partei reden kann, die er oder sie nicht kennt. Es gibt brennende Situationen, da muß der Pressesprecher schnell selbst reagieren, aus der Kenntnis der Parteitagsbeschlüsse, ohne sich bei irgendjemandem vorher abzusichern. Ich bestreite übrigens, daß nur eine außenstehende Person frischen Wind in die SPD bringen kann. Aber einem Mann würde man wahrscheinlich eher zutrauen, sich da schnell einzuarbeiten. Ich traue auch keinem Mann zu, daß er sich das in kurzer Zeit aneignen kann. Spielt bei der Kritik der SPD–Frauen, die sich hochgearbeitet haben und oft von Männern weggeschoben wurden, nicht auch ein bißchen Neid mit? Neid ist es bei mir gewiß nicht. Ich gehöre zu den Frauen, die in der Partei eigentlich immer Glück gehabt haben, denen die Partei auch Chancen geboten hat. Sie fühlen sich als SPD–Frauen übergangen. Willy Brandt wußte das - warum hat er sich trotzdem für Frau Mathiopoulos entschieden? Vielleicht hat er das Argument überbewertet, daß eine ganz besondere, ganz ungewöhnliche und auch eine ganz unerwartete Frau für die SPD auftreten soll. Ich glaube, daß diese Rechnung in Bonn nicht aufgeht. Man soll auch nicht unterschätzen, wie Frauen da kaputtgemacht werden können. Gerade da bräuchte sie eigentlich auch die Unterstützung der SPD–Frauen. Wenn sie am Montag Sprecherin geworden ist, werde ich kein Wort mehr gegen sie sagen und würde sie auch unterstützen. Sie haben angedeutet, die Entscheidung zeige, daß Brandt nicht mehr so ganz Herr seiner Führungsaufgaben ist. Er hat sich in diesem Punkt ja sehr wohl als Herr des Verfahrens gezeigt, denn eine Mehrheit war ja gegen die Wahl. Aber er hat wohl die Wirkung nach außen unterschätzt. Dies führt dazu, daß die Basis das Gefühl hat: er kennt uns nicht mehr. Er macht Fehler, die dazu führen, daß gegrummelt wird. So könnte es dazu kommen, daß aus einem Abgang, der seinem großen Leben würdig ist, so ein kleiner Stolperabgang wird. Bei dem Gedanken ist mir der Schreck so richtig in die Glieder gefahren. Sehen Sie auch einen untergründigen Rassismus, der in der Partei hochkocht? Wo der vorkam, war das absolut unappetitlich. Davor möchte ich Frau Mathiopoulos auch sofort in Schutz nehmen. Interview: Ursel Sieber