: EG–Geburtstag: Was geht uns das an?
■ Die Linken in Europa scheint das 30jährige Jubiläum der Gemeinschaft der Europäer ziemlich kalt zu lassen Am 25. März 1957 wurden von der Bundesrepublik, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden die „Römischen Verträge“ zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet. Es folgte mit dem Euratom–Vertrag die gemeinsame Atomwirtschaft, 1967 entstand die Gemeinschaft der sechs, die EWG. 1973 traten Großbritannien, Irland und Dänemark bei, 1982 folgte Griechenland und Anfan letzten Jahres Spanien und Portugal. Die EG: Adresse hehrer Worte, Ausdruck von Wirtschaftsmacht, Erzeugerin von Milch– und Weinströmen, Werkzeug zur besseren polizeilichen Zusammenarbeit - haben die Linken dieser EG etwas entgegenzusetzen? Aus dem machtlosen europäischen Parlament dringen politische Aufrufe und Anfragen der verschiedenen linken Gruppierungen. Dennoch ist die Europa–Diskussion in den verschiedenen Ländern nicht gerade fortgeschritten. Drei Stichproben aus London, Rom und Paris.
Aus Paris Georg Blume 30 Jahre EG - das ist in Frankreich ein Feiertag für Franois Mitterrand und seine Sozialisten. Sie stehen schon seit über dreißig Jahren für die französische Europapolitik „von oben“. Es waren die linken Regierungen der vierten Republik, und mit ihnen der damalige Minister Mitterrand, die mit ihrem Engagement für ein westeuropäisches Verteidigungsbündnis, das 1954 mit Gründung der Westeuropäischen Union (WEU) Gestalt annahm, innenpolitisch die Voraussetzung für den Beitritt Frankreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft schufen. Auf dieselben Sozialisten mußte man bis 1981 warten, um Frankreich wieder in einer initiativen Rolle in der EG–Politik zu sehen. Die jetzt entwickelten Weltraumprojekte Ariane und Hermes und das Technologieprojekt Eureka stehen für das sozialistische Konzept einer wirtschaftlichen und militärischen Großmacht Europa. Der einstige Europa–Gegner Chirac schließt sich heute mehr oder weniger gezwungen an. Furore um Europa gab es in Frankreich immer nur dann, wenn ein neues Land der EG beitrat. Dann nämlich gingen die französischen Landwirte auf die Straße und kämpften um ihre Abgabepreise und Export– und Importbedingungen. Zuletzt brannten die spanischen Obst– und Gemüselastwagen. In den sozialen Bewegungen schließlich blieb der Europagedanke in Frankreich immer unterentwickelt. Der Nationalismus der französischen Kommunisten hatte seinen Anteil daran, aber auch die Schwäche der Friedensbewegung westlich des Rheins. Heute drängen insbesondere die internen Kritiker der KPF, die sogenannten Renovateurs, auf ein neues Europaverständnis. Ihre Kritik an der Force de Frappe, Atomversuchen und dem französischem Großmachtgehabe ist auch ein Gesprächsangebot an die Linke insbesondere in der BRD und in Italien. Aus Rom Werner Raith Für Europa sind sie alle, oder fast alle, die Italiener; Umfragen haben in den 30 EG– Jahren stets mehr als 80 Prozent Zustimmung zu Europa gebracht. Doch was Europa sein soll, darüber herrscht wunderbare Uneinigkeit. Wenn die Industriellen vom zollfreien, die Politiker vom weltherrscherlichen, die Gewerkschaften vom syndikalistischen Europa palavern, so sehen die Gegenbewegungen zur offiziellen Politik die Sache einerseits nüchterner - andererseits viel romantischer. Die Radikale Partei mit ihren 1,5 Prozent Stimmen z.B . hat sich, als erste politische Gruppe, ausländischen Mitgliedern geöffnet und hält sich für eine „Europa– Partei“. Die Grünen dagegen wollen zwar auch grenzüberschreitende Liberalisierung, andererseits aber auch die Autonomie des Lokalen und Regionalen festigen. Europa als Rahmen für die Bewegungsfreiheit, doch ohne Einflußnahme auf die Bewältigung der Probleme vor der Haustür. Ausnahme: wo sich die - wenigen erfreulichen - EG–Normen als Keule gegen nationale Engstirnigkeit verwenden lassen, etwa bei den Immissionswerten. Ansonsten spürt man eher Skepsis - Angst vor Ansteckung aus anderen EG–Ländern wie etwa den Fundi–Realo–Spaltpilz oder der französischen Machtarroganz. Alternativ–Konvente mit einem einigermaßen realistischen Programm sind in Italien kaum zu finden, europaweite Projektionen gesellschaftlicher Ansätze nur sehr selten, sieht man von den allerdings zahlreichen und mitunter erfreulich innovativ aufbereiteten Städte– und Dörferpartnerschaften und den schon zahllosen örtlichen Begegnungs–Initiativen zum Kultur– und Sportleraustausch ab. Gruppen wie die „Europäischen Föderalisten“ oder die „Initiative Europa 85“ haben wenig Zulauf oder sterben nach enthusiastischem Anlauf rapide wieder ab. Europa ist in Italien gerne gesehen, allerdings unter der Voraussetzung, daß es sich nirgendwo (außer im Tourismus) konkret bemerkbar macht. Aus London Rolf Paasch „Die Verträge von Rom“, so pflegte der Alt–Linke und Labour–Abgeordnete Tony Benn zu sagen, „sind die einzige kapitalistische Verfassung der Welt.“ Jahrzehntelang waren sich Lords und Labourer (Proletarier) über die Gefährlichkeit eines britischen EG–Beitritts einig: Was für die einen der Aufgabe ihrer spezifisch englischen Exzentrik gleichkam, war für die anderen das Ende vom Traum eines wie auch immer gearteten britischen Sozialismus. Schließlich waren es 1973 die Konservativen, die dem euro–kapitalistischen Staatengebilde nach zwölfjährigen Verhandlungen beitraten. Zwar ließ die nachfolgende Labour– Regierung zwei Jahre später noch einmal ein Referendum abhalten, empfahl den Briten aber letztlich doch das endgültige „Ja“ zur EG. Seitdem hat sich in Großbritannien nicht nur die Qualität und das Spektrum der angebotenen Konsumwaren verbessert. Trotz des sturen Beharrens auf „pint“ und „inch“ an Stelle euro–metrischer Maße ist ein Vereinigtes Königreich außerhalb der EG heute kaum noch vorstellbar. Aber gerade die Linke hat es bisher versäumt, aus der unwiderruflichen kontinentalen Assimilation die Konsequenzen zu ziehen und Brücken zu bauen - Brücken des Widerstandes. Trotz zahlreicher Beispiele praktischer internationaler Solidarität, wie im vergangenen Bergarbeiterstreik, haben es die verschiedenen Ausformungen der in Großbritannien wenig kohärenten Alternativbewegung bisher nicht geschafft, sich als Teil einer theoretischen Debatte über die Zukunft der europäischen Linken zu verstehen. Ansätze dazu, wie im „Greater London Enterprise Board“, der Gedankenfabrik des linken Londoner Stadtrats, fielen der Verwaltungsreform Margret Thatchers zum Opfer. So bleibt die schon fast legendäre Standortbestimmung: „Nebel im Ärmelkanal. Kontinent abgeschnitten“ auch heute noch symptomatisch für das insulare Selbstverständnis
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