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Von der Kirchen–Kanzel auf die Barrikaden

■ Der griechische Nationalfeiertag fand ohne den Klerus statt / Die Heiligen Väter boykottierten die traditionelle Messe und gingen stattdessen auf die Straße / Ihr Protest richtet sich gegen geplante Enteignung von kirchlichen Ländereien und deren Verteilung an Bauern

Aus Athen Georg Schwarz

Die „Heilige Synode“, höchstes Gremium der griechisch–orthodoxen Kirche, sorgte am vergangenen Mittwoch für die schlimmste Krise im Verhältnis zwischen Staat und Kirche: zum ersten Mal seit der Gründung des neugriechischen Staates im Jahr 1830 mußte die gesamte politische Staatsführung, darunter Staatspräsident Sartzetakis, Premier Papandreou und die Vorsitzenden aller Parteien den wichtigsten nationalen Feiertag der Griechen ohne kirchliche Würdenträger begehen. Die Politiker mußten mit einem einfachen Priester vorlieb nehmen. Bisher demonstrierten die politische und die religiöse Landesführung an jedem 25. März die „Einigkeit der Nation“. Am 25. März 1821 soll der Unabhängigkeitskampf gegen die osmanische Herrschaft ausgerufen worden sein, der Tag der „Unbefleckten Empfängnis Marias“. Der Erzbischof und die 77 Mitglieder der „Heiligen Synode“ hatten sich in der Kirche „Aghios Panteleimon“ des südlichen Vororts Acharnon verschanzt: „Wie in der Vergangenheit sind wir auch heute verpflichtet, unser Vaterland zu befreien“, donnerte dort während der Messe der Heilige Vater Ieronymos, Bischof von Hydra und Spetses. Gemeint war die Befreiung des Landes von den Sozialisten. „Unsere Unabhängigkeit müssen wir bewahren, denn dafür sind bisher Ströme von Blut vergossen worden“, erklärte er dramatisch. „Heilige Väter, Popen und Gläubige, duldet die Unterjochung nicht wieder.“ Ein klarer Aufruf zu Ungehorsam und ein Hinweis auf die „kämpferische Vergangenheit der Orthodoxie“. Doch nicht nur von der Kanzel wurde gewettert: Donnerstag nachmittag zogen die Heiligen Väter demonstrierend durch die Straßen - auch dies zum ersten Mal seit 1830. Die letzte Reform der Sozialisten hat offensichtlich das Allerheiligste der griechisch– orthodoxen Kirche getroffen: Ihre Macht und ihre Finanzen. Der Gesetzesentwurf des Ministers für Erziehung und Religion, Antonis Tritsis, sieht die Enteignung des beachtlichen kirchlichen Landesbesitzes und dessen Verteilung an landwirtschaftliche Kooperativen vor. Das würde der Klerus vielleicht noch schlucken, besteht der Reichtum der griechischen Kirche schließlich nicht nur aus Ländereien. Empfindlicher reagieren die Popen jedoch auf jene Artikel des Gesetzes, wonach künftig die Finanzen der Kirche von Kommissionen überwacht werden sollen, die vom Volk gewählt wurden. Die kirchliche Führung befürchtet, somit einen großen Teil ihrer Macht zu verlieren, und das will sie nicht akzeptieren. Denn das „Heilige Recht“ stehe über allem Weltlichen - auch über den Gesetzen des Staates, klärten sie in einer stürmischen Fernseh–Debatte Minister Tritsis auf. Der wurde von ihnen längst als Marxist gebrandmarkt und „Marxismus ist noch schlimmer als Kommunismus, noch grauenhafter als Stalinismus“, so die Heiligen Väter. Jetzt wollen sie den Kopf von Tritsis rollen sehen und fordern die sofortige Rücknahme des Gesetzentwurfs. Ansonsten werden sie ihre „Aktionen zunehmend verschärfen“, so die Erklärung der „Heiligen Synode“. Aber auch die Regierung zeigt sich unnachgiebig: Sie ist gebunden an ihr Versprechen, den kirchlichen Landbesitz an Bauern zu verteilen. Die übrigen Parteien sind bezüglich des Gesetzentwurfs gespalten. Während die Konservativen zur Annullierung der umstrittenen Artikel aufrufen, fordern alle links der Sozialisten orientierten Parteien die absolute Trennung von Staat und Kirche. Bleibt die Frage, ob der schwerwiegende Konflikt mit der noch einflußreichen Kirche die Regierung dazu zwingen wird, Neuwahlen auszuschreiben.

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