Naturzerstörung im Watt: BUND verklagt Bund

■ Wattstreifen am Dollart wird zur öden Sandfläche / Aufspülung eines „Vorranggebietes für Natur und Landschaft“ im Auftrag des Verkehrsministeriums ohne Rechtsgrundlage / Mahnschreiben der Europäischen Gemeinschaften an die Bundesrepublik

Aus Hannover Goetz Buchholz

Eine der größten Naturzerstörungen der Bundesrepublik erfolgt seit Jahren illegal: 2,8 Quadratkilometer Watt sind seit 1978 am „Rysumer Nacken“ westlich von Emden völlig zerstört, weitere drei bis vier Quadratkilometer in ihrer biologischen Funktion beeinträchtigt worden - ohne Rechtsgrundlage, wie Niedersachsens Landwirtschaftsminister und die Europäischen Gemeinschaften übereinstimmend feststellen. Täter ist die Wasser– und Schiffahrtsdirektion Nordwest, eine Unterbehörde des Bundesverkehrsministeriums. Zwei Jahre lang haben der Bund für Umwelt– und Naturschutz Deutschlands (BUND) und der Deutsche Bund für Vogelschutz (DBV) mit den Behörden gestritten - jetzt reichten sie beim Verwaltungsgericht Oldenburg Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Stein des Anstoßes ist ein acht Kilometer langer Wattstreifen am Dollart, auf dem die Wasser– und Schiffahrtsdirektion seit 50 Jahren Sand aus der Ems–Fahrrinne ablagert, die ständig freigebaggert werden muß. Bis 1978 war das legal: Auf Grundlage eines Planfeststellungsbeschlusses aus dem Jahre 1936 wurde das südliche Spülfeld, der Alte Rysumer Nacken, sechs bis neun Meter hoch mit Baggergut aufgeschüttet. Aus fünf Quadratkilometern Watt wurde deichgeschütztes Land, auf dem man ein Industriegebiet für den Dollarthafen samt Atomkraftwerk plante. 1978 aber dehnte die Wasser– und Schiffahrtsdirektion das Spülfeld nach Norden bis unmittelbar an die Grenze des Nationalparks Wattenmeer aus und begann, eine Wattfläche zu verfüllen, die das Landesraumordnungsprogramm als „Vorranggebiet für Natur und Landschaft“ ausweist. Auf ein Planfeststellungsverfahren, das eine Beteiligung des Landes und der Naturschutzverbände erfordert hätte, verzichtete die Behörde diesmal, da es sich hier nur um die „Unterhaltung einer Bundeswasserstraße“ handele, für die der Bund keinerlei Genehmigung durch andere Behörden bedürfe. Niedersachsen ist da anderer Meinung: Im Mai 1986 bestätigte der damalige Landwirtschaftsminister Gerhard Glup (CDU) dem BUND die Rechtswidrigkeit der neuen Aufspülung und zog gar Rechtsmittel gegen die Bundesregierung in Erwägung, falls sie zu einer einvernehmlichen Regelung nicht bereit sei. Im November rührte sich auch in Bonn die Sorge um die Natur: Da die Aufspülungen zwar Wattflächen zerstören, dafür aber neue Salzwiesen schaffen würden, von denen es an der Nordseeküste ohnehin zu wenig gebe, werde „die ökologische Vielfalt des Rysumer Nackens keineswegs geschmälert, sondern im Gegenteil erweitert“, hieß es in einem Schreiben des Verkehrsministeriums an den BUND, und somit „die Grundlagen für eine artenreiche Vegetation und Fauna in diesem Gebiet geschaffen“. Zum Beispiel für die seltene Spezies der Atomkraftwerke. Dieser abenteuerlichen Argumentation mochte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften nicht folgen. Im Januar 1987 richtete sie ein Mahnschreiben an die Bundesrepublik und warf ihr einen Verstoß gegen die Richtlinie 79/409 zur Erhaltung wildlebender Vogelarten vor. Gute Chancen also für die Klage von BUND und DBV. Einziges Problem: Als Nichtbetroffene haben beide keine Klagebefugnis gegen die illegalen Aufspülungen. Um juristisch überhaupt etwas ausrichten zu können, mußte BUND–Anwalt Prof. Eckard Rehbinder den Umweg über eine Klage auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens wählen, an dem BUND und DBV dann zu beteiligen wären. Ein Erfolg hätte erhebliche Auswirkungen: Mit der Naturzerstörung durch die Aufspülungen hat das Land Niedersachsen nämlich immer begründet, weshalb der Dollarthafen - zum Preis von zwei Milliarden Mark und der Zerstörung weiterer Naturflächen - neu gebaut werden müsse. Da mit dem Neubau ein Ausbaggern der Ems überflüssig werde, hieß es im grundlegenden ökologischen Gutachten, seien die Folgeschäden geringer anzusetzen als die jahrzehntelange Aufschüttung immer neuer Wattflächen. Wenn die aber illegal sind, entfällt auch das letzte Argument für den Dollarthafen.