: I N T E R V I E W Die Demokratisierung geht weiter
■ Lu Yonghua, stellvertretender Abteilungsleiter des Komitees für die Reform des ökonomischen Systems
taz: Was macht ein Komitee zur Reform des ökonomischen Systems beim Staatsrat in China eigentlich? Lu Yonghua: Wir erforschen Großprojekte in der Wirtschaft und erwägen Möglichkeiten der Reform des wirtschaftlichen und politischen Systems als Einheit gesehen. Es werden dann Versuchsprojekte gestartet, anhand deren Ergebnisse die Kader in ZK und Staatsrat ihre Entscheidungen bezüglich der Gesetzgebung treffen. Kleinere Projekte, wie die Umwandlung der Struktur von kleinen Städten oder Industriebetrieben, können wir auch selbst versuchsweise ansetzen. Nennen Sie mal ein paar Großprojekte, die auf Ihre Initiative hin geschaffen wurden. Wir haben in der Vergangenheit eine Reform der Institution von 16 großen Städten durchgeführt. Wollen Staatsbetriebe in die sozialistische Warenwirtschaft einsteigen, beraten wir sie. In Shenyang und Guangzhow (Kanton) wurden auf unsere Initiative Aktienunternehmen eingeführt. Dazu kommen noch 72 Städte mit Reformvorhaben, die alle auf uns zurückgehen. Was wird sich an der Wirtschaftspolitik än dern, nachdem Hu Yaobang nicht mehr im Amt ist? Es gibt ein paar Leute, die nehmen an, wir wollen die Wirtschaftspolitik ändern. Doch wir selbst wissen, daß es nicht so ist. Würde man auf dem Land zur Volkskommune etwa zurückkehren, die Leute würden nicht zustimmen. Aber darüber hinaus sind wir an einem Punkt angekommen, wo wir entscheiden müssen, was für China gut und schlecht ist. Man spricht immer von zwei Fraktionen in der KPCh, wenn man über die Reform spricht. Deng Xiaoping und Chen Yun, wie unterscheiden sie sich in der Wirtschaft? Wir in der Partei unterscheiden nicht so. Großprojekte werden einstimmig entschieden. Lediglich in der Frage, ob die Versorgung mit Getreide an erster Stelle stehen sollte oder nicht, gab es heftige Diskussionen. Angesichts der Größe Chinas und der Tatsache, daß die meisten Leute auf dem Land leben, dachten wir uns, die Unterversorgung mit Getreide könnte zur Destabilisierung führen, und setzen wieder Getreide an die erste Stelle. Wieviel private Kleinunternehmer gibt es denn heute in China? Schon mehr als vier Millionen. Die größte private Fabrik in China hat 400 Angestellte. Die privaten Firmen produzieren schon 1,9 Prozent des chinesischen industriellen Outputs. Im Handel sind es sogar 16,4 Prozent. Dann braucht China ja bald unabhängige Gewerkschaften damit die Arbeiter dort auch vertreten sind. Richtig. Im ländlichen Rahmen haben wir das schon erforscht und vorbereitet. Und die viel diskutierte Reform des politischen Systems. Ist die nach Hu Yaobang und den Studentenprotesten passe? Es wird noch erforscht, es ist nicht gestoppt, aber halt sehr kompliziert. Zhao Ziyang hat dafür vor kurzem weiterhin grünes Licht gegeben. Und wie soll das aussehen? Die Arbeit der Partei wird von der der Regierung getrennt. Und was denken die führenden Kader im Staatsrat von der Fünften Modernisierung, der Demokratisierung Chinas? Die ist doch jetzt überall im Gange. Früher wurden Volkskongreßvertreter delegiert, heute werden sie gewählt. Dorfvorsteher, Bürgermeister von kleinen Städten, alles wird demokratisch gewählt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen