: Indien: Rajiv Gandhi greift zu Mutters Methoden
■ Der indische Premier, der einst mit Effizienz und einer neuen politischen Kultur glänzen wollte, gerät durch einsame willkürliche Entscheidungen und autokratischen Stil ins Zwielicht / Der Sieg der Linksbündnisse in zwei Bundesstaaten macht die Opposition im Parlament in Delhi mutig, aber neue Impulse sind kaum in Sicht
Aus Madras Biggi Wolff
Schon Stunden vor der Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse brausen Motorräder mit roten Standarten durch Keralas Hauptstadt Trivandrum. Scharen von KP–Anhängern ziehen - rote Fahne vorweg - jubelnd durch die Straßen und selbst die rote Fahne des Bahnbeamten wirkt an diesem Nachmittag politisch. Am Dienstag, dem 23. März, gegen 17 Uhr gibt es dann keine Zweifel mehr: Die Linksfront LDF wird im südindischen Bundesstaat Kerala in den kommenden Jahren die Regierung stellen, 75 der 138 Sitze des Landesparlaments sind der kommunistischen Partei CPI (M) und ihren Verbündeten sicher. Ein Sieg für die nicht religiös gebundenen demokratischen Kräfte, ein Sieg des Kampfes gegen die Korruption und eine Ablehnung von „kommunalistischen“ Programmen (die bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen als höherrangig gegenüber anderen einstufen), so interpretiert die LDF ih ren Triumph, der am Abend mit einem großen Feuerwerk gefeiert wird. Unabhängige Linke dagegen sehen in dem Votum eher einen Denkzetttel für die seit fünf Jahren regierende Rechtsfront unter der Congress–Partei. Das Linksbündnis, dem auch Gruppen angehören, die bei den letzten Wahlen noch mit der Rechten stimmten, sei primär mangels anderer Alternativen ans Ruder gekommen. Zudem habe der reformistische Kurs der CPI (M) diesmal zahlreiche Mittelschichtswähler angezogen. Aber immerhin, da sind sich Fans und Skeptiker der KP einig, wird von der neuen Regierung ein Rückgang der Korruption und ein Vorgehen gegen brutale Polizeiübergriffe erwartet. Vorfälle wie die Massenvergewaltigung von 46 Frauen und Mädchen eines Bergdorfes durch Polizisten im November letzten Jahres werden - so hofft man - der Vergangenheit angehören. Darüber hinaus kommt dem Votum aber auch überregionale Bedeutung zu, weil die in Delhi regierende Congress–Partei mit Kerala den letzten Bundesstaat in Südindien verloren hat. Zahlreiche Eklats Schon seit Monaten läuft bei dem einst als Saubermann angetretenen Rajiv Gandhi nichts mehr wie geplant. Der erste große Eklat fand im Dezember letzten Jahres statt, als der Premier auf einer live im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz vor versammelter Journalistenschar seinen Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten feuerte. Als offizielle Begründung wurde nachgeschoben, der Beamte habe mit kritischen Bemerkungen über das passive Verhalten der indischen Regierung im Sri Lanka–Konflikt seine Befugnisse überschritten, was wenig glaubwürdig ist. Ende Januar dann schob Gandhi kurz vor der Veröffentlichung des Staatshaushaltes seinen Finanz minister ins Verteidigungsministerium ab. V.P. Singh hatte sich vorher durch seine radikalen Steuerrazzien bei vielen Industriellen unbeliebt gemacht. Fast alle führenden Unternehmen wurden entweder untersucht oder über ihre finanziellen Transaktionen verhört, wobei prompt 70 Mio. Rupies an Steuerhinterziehungen aufgedeckt wurden. Gegen 300 Firmen wurden Strafverfahren eingeleitet, was dem Finanzminister von der Bevölkerung (nicht jedoch von den Herrschenden) hoch angerechnet wurde. Der neue Haushaltsentwurf verärgerte dagegen alle wichtigen Gruppen. Die Industriellen erhielten nicht die erwarteten Steuererleichterungen, die Mittelschicht ist vergrätzt über neue Abgaben auf Konsumgüter wie Fernseher und Kühlschränke, dafür werden Importzölle für Computer und andere High–Tech–Artikel gesenkt. Der Verteidigungshaushalt stieg gegenüber dem Vorjahr um 43 Prozent und Kritiker wurden von Gandhi barsch beschieden: „Jeder, der zu dieser Zeit eine Kürzung der Verteidigungsausgaben vorschlägt, ist anti–national und sabotiert die Integrität der Nation.“ Autokratische Methoden Der bisherige Höhepunkt bei der Auseinandersetzung um Gandhis Führungsstil ist der seit zwei Wochen in den Medien genüßlich breitgetretene Konflikt zwischen dem Premier und Indiens Präsidenten Zail Singh. Am 13. März erschien in der Presse ein vertraulicher Brief von Singh an Gandhi, in dem dieser dem Premier vorwarf, ihn in wichtigen nationalen Angelegenheiten und entgegen der Verfassung nicht hinreichend informiert und konsultiert zu haben. Hintergrund der Affaire scheint zwar die kompromißbereite Haltung Singhs gegenüber den Militanten im Punjab vor einigen Jahren sowie eine tiefsitzende Antipathie Gandhis in Richtung Singh zu sein. Doch auf jeden Fall muß Gandhi sich vorwerfen lassen, daß er, der eine neue politische Kultur schaffen und die alten Congress–Veteranen und Bürokraten abhalftern wollte, sich zunehmend der gleichen autokratischen Methoden bedient wie einst seine Mutter. Nach der Wahlniederlage in Kerala und Westbengalen wird unverhohlen die Frage gestellt, ob Rajiv der einzige in der Partei ist, der Wähler anzuziehen vermag. Die in sich zerstrittene Opposition im Zentralparlament will zudem verschiedene Mißtrauensanträge gegen Gandhi einbringen. Dennoch bleibt zweifelhaft, ob die parlamentarische Opposition durch die regionalen Siege der Linksfront entscheidenden Aufschwung bekommt. Während die CPI (M) vor den Wahlen in Westbengalen noch das Versprechen Gandhis, eine Million Arbeitsplätze zu schaffen, als völlig unrealistisch abkanzelte, versprach sie während ihrer eigenen Wahlkampagne im (für Investitionen wesentlich unattraktiveren) Kerala das gleiche.
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