: Alptraum Schneller Brüter beendet
■ Reaktor in Kalkar geht nicht ans Netz / Gefahrenpotential wie der Reaktor in Tschernobyl, so der nordrhein–westfälische Wirtschaftsminister Joachimsen / Nach 14 Jahren Bauzeit und 6,6 Mrd. Bausumme fiel auch bei der Landesregierung der Groschen
Düsseldorf (ap/taz) - Der Schnelle Brüter in Kalkar geht nicht in Betrieb. Das entschied nach jahrelangen Bürgerprotesten gegen das umstrittenste Bauwerk der bundesdeutschen Atomgeschichte der für die Genehmigung des Reaktorprototyps zuständige nordrhein–westfälische Wirtschaftsminister Reimut Joachimsen. Grundsätzliche sicherheitstechnische Mängel und nicht nur ungenügender Sabotageschutz seien bei dieser am Mittwoch verkündeten Entscheidung ausschlaggebend gewesen. Immer wieder seien von der Betreiberfirma Änderungen an Teilanlagen vorgenommen worden. Joachimsen räumte der Betreiberfirma „Schneller Brüter Kernkraftgesellschaft“ eher formal eine letzte Galgenfrist bis zum 30.6. ein, alle Abweichungen der tatsächlich errichteten von der genehmigten Anlage mitzuteilen. Die Debatte um die angeblich fertiggestellte Anlage gehe „völlig an den Tatsachen auf der Baustelle vorbei“. So seien die Voraussetzungen für eine Genehmigung zur Einlagerung des Plutoniumbrennstoffs nicht vorhanden. Mit einer anders lautenden Weisung aus Bonn rechne er nicht. Nach 14jähriger Bauzeit werten Beobachter die Entscheidung damit als endgültiges „Aus“ für das 6,5 Mrd.–Projekt, dessen Unterhalt derzeit monatlich zehn Mio. DM kostet. Das bereits im vergangenen Jahr ausgesetzte „positive Gesamturteil“ der Landesregierung ist damit endgültig hinfällig. Eine Erlaubnis zur Einlagerung von Brennelementen, so Joachimsen, werde wegen des „Gefährdungspotentials“ des Brüters, der mit dem Reaktor von Tschernobyl wesentliche Merkmale gemeinsam habe, nicht erteilt. Wie in der Ukraine käme es beim schnellen Brüter bei Ausfall des Kühlmittels zu einer Leistungsexplosion. Wie der sowjetische Reaktor das Graphit habe der Schnelle Brüter mit dem Kühlmittel Natrium ein hohes chemisches Reaktionspotential im Reaktorkern. Auch die Schwäche des Druckbehälters erinnere an Tschernobyl. Ein Natriumspritzbrand im spanischen Sonnenkraftwerk Almeria im August letzten Jahres habe darüber hinaus gezeigt, daß bei Natriumbränden wesentlich höhere Temperaturen erzeugt würden als sie bei der Auslegung des Schnellen Brüters angenommen worden waren. Fortsetzung auf Seite 2 Außerdem fehle der Nachweis der Vorsorgemaßnahmen gegen den Eintritt eines Bethe–Tait–Störfalls, weniger vornehm GAU genannt, bei dem es zu einer Zerstörung des Reaktortanks komme. „Er brauchte sechs Jahre und eine Katastrophe, um das zu begreifen“, kommentiert der Physiker Reiner Szepan, einst Mitarbeiter der Gesellschaft für Reaktorsicherheit und Sachverständiger im Kalkarprozeß des inzwischen legendären Bauern Maaß, die kaum noch überraschende Entscheidung. „Alle diese Mängel waren bereits 1981 bekannt. Damals wollte die Landesregierung dem nicht folgen und Konsequenzen ziehen.“ Jahrelang, so der Brüter– Gegner, sei an den Mängeln „laboriert“ worden. „Es wurde getürkt, Meineide und Falschaussagen sollten retten, was von Anfang an Murks war. Das mußte am Ende alles einmal zusammenbrechen“, fühlt sich Szepan spät bestätigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen