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Siemens–Coup im Nuklearexport?

■ In Indonesien versucht der deutsche Konzern ein Großprojekt zu landen / Gute Aussichten, Auftrag für 600 MW–Atomkraftwerk zu erhalten / Flankierende Maßnahmen der Bundesregierung: Entwicklungshilfe mit dem Restrisiko / Deutsche Exportchancen: Zum Glück gibts Minister Habibie

Von Klaus Marquardt

Anfang Dezember weilte Bayerns Wirtschaftsminister Anton Jaumann auf Stippvisite in Djakarta. Sein Gesprächspartner: der indonesische Forschungs– und Technologieminister Habibie. Wie dieser dann hinterher der Nachrichtenagentur ANTARA erklärte, habe er „mit seinem deutschen Gast Dinge diskutiert, die Kernenergie betreffen“. Jene „Dinge, die Kernenergie betreffen“, drehen sich um den Plan, in Jepara, Zentral–Java, am Fuß des Berges Muryo, ein 600 MW–Atomkraftwerk zu errichten. Neben fünf Firmen aus den USA, Spanien, Frankreich, Kanada und Italien, die sich um den 1,5 Mrd.–Auftrag bewerben, tut dies auch die Siemens AG München. Man darf vermuten, wessen Interessen der Minister im Gespräch mit Habibie im Auge hatte. Der Besuch war kein Einzelfall. Jedes Jahr reisen ganze Scharen von Bundes– und Landespolitikern nach Südostasien. Und Indonesien genießt dabei ganz besondere Aufmerksamkeit als das größte und menschenreichste Land der Region. Die Edelhausierer reisen in Sachen Spitzentechnologie und feilschen um Großaufträge. AKW als „Joint Venture“ Im Dezember gelang Jaumann die Überzeugungsarbeit jedoch (noch) nicht. Kernenergie genieße, so Minister Habibie, in Indonesiens Entwicklungsplänen nicht oberste Priorität. Zuerst käme Wasserkraft, dann Kohle, geothermische Energie, Gas und zum Schluß erst der Einstieg ins Nuklearzeitalter. Atomkraftwerke sind teuer, und Indonesien muß sich angesichts des Ölpreisverfalls und einer Schuldendienstquote von mittlerweile 30 Prozent des Staatshaushaltes manch prestigeträchtiges Großprojekt verkneifen. Doch noch war für Siemens nicht aller Tage Abend. Ein in der Energiewirtschaft völlig neues Finanzierungsmodell wurde aus der Taufe gehoben. Der Generaldirektor der staatlichen indonesischen Atomenergiebehörde BATAN, Ahimsa, wies Anfang Januar darauf hin, daß Indonesien für den Bau des Reaktors ausländische Investoren einlade. Es geht also um ein „Joint Venture“. Der Konzern bringt das Geld selbst mit und nach der Fertigstellung dürfte sich der ausländische Investor zumindest teilweise im Besitz des Atomkraftwerks befinden - und damit einen beträchtlichen Batzen der gesamten indonesischen Stromerzeugung kontrollieren (installierte Leistung 1981: 2.860 MW. Bei konstanter Steigerungsrate von 5,4 Prozent wie in den Jahren 1978–81 wären das für 1986: 3.720 MW). Und die Chancen für den Münchener Konzern stehen nicht so schlecht, seine Indonesien–Erfahrungen zeigen dies, gute Kontakte zu Habibie zahlten sich noch stets aus. Siemens–Erfahrungen in Indonesien Noch in diesem Jahr geht in Serpong, 30 Kilometer westlich von Djakarta, ein 30 MW–Mehrzweck–Forschungsreaktor in Betrieb. Das Kraftwerk wird von der „Internationalen Atomreaktorbau GmbH“ (Interatom) mit Sitz in Bergisch Gladbach gebaut. Interatom ist zu 100 Prozent eine Tochter der „Kraftwerk Union AG“ (KWU), Mühlheim/Ruhr, die sich wiederum bis dato zu 100 Prozent in Siemens–Besitz befindet (und am 1.10.1987 von Siemens integriert wird). Im Frühjahr 1981 erhielt Interatom den Vorzug gegenüber vier Mitbewerbern um den Bau des Forschungsreaktors. Minister Habibie spielte im Vergabeverfahren eine nicht unwichtige Rolle. Das Asian Wall Street Journal brachte am 13.8.1981 etwas Licht in die Angelegenheit: Demnach beauftragte Ende 1979 die Atomenergiebehörde BATAN sechs international bekannte Firmen mit dem Entwurf für einen 30 MW–Mehrzweck– Forschungsreaktor und drei Laboratorien für Brennelementeproduktion, Radio–Isotopenherstellung und Wiederaufbereitung des radioaktiven Abfalls. Interessant in diesem Zusammenhang ist die dem indonesischen Vertreter bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Ridwan, zugeschriebene Äußerung, Indonesien strebe den „vollständigen Brennstoffzyklus bis Mitte der neunziger Jahre“ an - eine Vorbedingung für die Produktion von Atomwaffen. Außer Interatom wurden 1981 angesprochen: General Atomic, USA; Atomic Energy of Canada; Technicatom, Frankreich; Nira, Italien und die United Kingdom Atomic Energy Authority. Bis auf letztere machten bis April 1980 alle Firmen ein Angebot. Nach eingehender Prüfung übergab BATAN Präsident Suharto eine Prioritätenliste: Platz eins belegte Atomic Energy, gefolgt vom kanadischen und französischen Anbieter - Interatom und Nira wurden gar nicht empfohlen. Hauptkriterien: Erfahrung im Bau solcher Forschungsreaktoren und der Preis. Bei Cocktailparty ausgeplaudert Nun trat der Forschungs– und Technologieminister in Aktion. Im August 1980, noch während BATANs Empfehlungen zur Prüfung beim Präsidenten lagen, setzte Habibie in seinem Ministerium eine Arbeitsgruppe ein, die die Angebote unabhängig (von BATAN) prüfen sollte. Auch diese Gutachter kamen zu dem Resultat, daß General Atomic bei allen Kriterien am besten abschnitt. Nach Intervention des Ministers überwies Suharto die ganze Sache im September 1980 erneut an BATAN, diesmal mit der Auflage, die Angebote von Interatom und Technicatom noch einmal gründlich zu prüfen - die hatten nämlich in der Zwischenzeit überarbeitete Fassungen eingereicht. Die eifersüchtigen Konkurrenten der deutschen Firma verbreiteten daraufhin unbeweisbare Beschuldigungen: Zu Vergleichszwecken habe Interatom eine Kopie des amerikanischen Angebots erhalten. Auf einer Cocktailparty in Djakarta soll dies ein Siemens– Offizieller ganz arglos verbreitet haben. BATAN hielt allerdings immer noch daran fest, daß das Angebot von General Atomic das beste sein sollte. Daher wurde erneut die Arbeitsgruppe aus Habibies Ministerium bemüht, deren neues Votum die Rangfolge kräftig durcheinanderwirbelte: Nummer Eins war jetzt Interatom, gefolgt von den Amerikanern, den Franzosen und den Kanadiern. Mitte Oktober beauftragte Habibie beide Gutachtergruppen, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Am 11. November war es dann soweit: Diesmal stand wieder General Atomic an der Spitze; Interatom erhielt für den Reaktorbau immerhin die zweite, für die Laboratorien die dritte Priorität. Großes Bundesverdienstkreuz Zu diesem Zeitpunkt soll die Lobbyistentätigkeit der jeweiligen Regierungen einem Höhepunkt zugestrebt sein. Auch hier gab es ein Kopf an Kopf–Rennen der Amerikaner und Deutschen. Beide Seiten geizten nicht mit finanziellen Zusagen und technologischen Zugeständnissen. War es reiner Zufall, daß just am 28.11.1980 Habibie das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband erhielt? Im März 1982 entschied sich Habibie endgültig zugunsten Interatoms, und das für größere Staatsaufträge zuständige indonesische Gremium billigte am 25.4. seine Wahl. Ein Jahr später bereits, Ende 1982, erhielt Siemens den 170 Mio.–Dollar–Auftrag, das Telefonnetz Indonesiens zu modernisieren. Der Asia Monitor Nr. 4/1982 bemerkte: „Einige Kritiker innerhalb indonesischer Telekommunikationsfirmen behaupten, daß Siemens von allen zehn Unternehmen, die sich um den Auftrag bewarben, das am wenigsten qualifizierte war und eines der teuersten Angebote machte. Angeblich war für die Entscheidung eine „Hilfe von oben“ (top aid) des in Deutschland ausgebildeten indonesischen Forschungs– und Technologieministers wesentlich. Digitale Telekommunikation in Indonesien, geliefert von Siemens, steht seit Amtsantritt des Entwicklungsministers Warnke 1982 in Bonn auch ganz oben bei der bundesdeutschen Entwicklungshilfe. Minister Habibie Prof. Dr. Ing. B. J. Habibie hat zwölf Jahre an bundesdeutschen Hochschulen studiert. Und ganz besondere Beziehungen verbinden ihn mit dem Freistaat Bayern, arbeitete er doch einige Jahre im Management der Messerschmitt– Bölkow–Blohm GmbH (MBB), dem größten deutschen Rüstungskonzern mit Sitz in München. MBB befindet sich zu 24,08 Prozent im Besitz des bayerischen Staates, der über eine Beteiligungsgesellschaft noch weitere 18,22 Prozent kontolliert und mit Ministerpräsident Strauß ein Aufsichtsratsmitglied stellt. Übrigens ist auch Siemens an der Rüstungsschmiede mit 7,16 Prozent direkt beteiligt bzw. übt mittelbar einen Einfluß auf 25 Prozent der Gesellschaftsanteile aus. Eine fruchtbare Zusammenarbeit: MBB läßt in Indonesien den auch militärisch zu nutzenden Hubschrauber Bo 105 in Lizenz bauen und seit einigen Wochen auch von dort aus exportieren. Lizenznehmer ist das staatliche Unternehmen Nusantara (IPTN), dessen Aufsichtsratsvorsitzender Habibie heißt. Die staatliche indonesische Fluggesellschaft GARUDA fliegt natürlich Airbus. Aufsichtsratsvorsitzender bei Airbus ist Franz–Josef Strauß. Exportschlager „Sozialverträglichkeit“ Die rüstungs– und nukleartechnologische Zusammenarbeit BRD - Indonesien reicht aber noch tiefer. Anfang Oktober 1986 wurde in Djakarta ein deutsch–indonesisches Seminar abgehalten mit dem Titel: „Verwertung von Abfallmaterial, nukleare Sicherheit und öffentliche Akzeptanz der Nukleartechnologie“. Von deutscher Seite nahmen, laut ANTARA vom 7.10. auch Vertreter der Kernforschungsanstalt Jülich teil. Der Chef der deutschen Delegation, Nentwich, hielt das Eingangsreferat. Seine Kernthese: Gerade nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl komme der Öffentlichkeitsarbeit eine ganz entscheidende Rolle zu. Wörtlich meldete ANTARA: „Er drückte seine Hoffnung aus, daß die westdeutschen Erfahrungen in der Konfrontation mit dem Problem der öffentlichen Einwände gegen Kernkraftwerke für Indonesien vorteilhaft sein werden.“ Vielleicht hat auch das am 2.2.1987 in Djakarta unterzeichnete deutsch– indonesische Kooperationsabkommen über Polizeiausbildung und -technologie etwas mit „westdeutschen Erfahrungen“ zu tun - etwa mit dem „Hamburger Kessel“. Da auf deutscher Seite Irmgard Grumbach von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) das Vertragswerk unterzeichnete, firmiert diese Kooperation unter dem Haushaltstitel „Entwicklungshilfe“. Das Auto 101 Peter Huth

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