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„Ich sehe diese Leere“

■ Der israelische Staatspräsident Chaim Herzog im Konzentrationslager Bergen–Belsen / „Mein Schmerz steht beständig vor mir“, steht auf einem Gedenkstein aus Jerusalem, den Herzog mitbrachte

Bergen (ap) - Der israelische Staatspräsident brachte ein Stück Jerusalem mit ins frühere Konzentrationslager Bergen–Belsen: „Mein Schmerz steht beständig vor mir (Psalm 38,18) - Chaim Herzog, 6. April 1987“ steht auf dem goldgelben Stein aus den Bergen rund um Jerusalem, der nun neben dem Mahnmal des Lagers an die rund sechs Millionen von den Nazis ermordeten Juden erinnert. „Ihr hinterließt ein Testament, daß die Zukunft des jüdischen Volkes in seiner Heimat gebaut werde - als stolzes und freies Volk. Ein Volk, stark in seinem moralischen Recht und seiner moralischen Kraft und nicht minder in seiner Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen. Ein Volk, das aus der Asche des Holocaust zu konstruktivem, kreativem neuen Leben emporgestiegen ist“, sagte Herzog. Es war der Auftakt des ersten Besuchs eines israelischen Staatsoberhauptes in der Bundesrepublik, doch nicht Herzogs erster Kontakt mit Bergen–Belsen. Als britischer Offizier hatte er in Norddeutschland gekämpft. Kurz nach der Befreiung des Lagers am 15. April 1945 kam er zu dem Ort, der bis dahin noch unbekannt war, dann aber mit grauenvollen Bildern völlig ausgemergelter Menschen und riesiger Leichenberge über Nacht aller Welt das Leid der Häftlinge zeigte. Die Fotografien, die damals in den Zeitungen erschienen, hängen heute im grauen Museum am Eingang zu dem früheren Lager. „Was kann ich sagen, ich war überflutet von Erinnerungen. Ich erinnere mich, was ich damals hier vorfand und was ich heute hier sehe, diese Leere“, sagte Herzog nach der rund einstündigen Zeremonie. Damals hatte er aneinandergereihte Holzbaracken gesehen, Schlamm und ausgemergelte Menschen. Heute erinnern nur Massengräber in einer parkähnlichen Landschaft an das Grauen. „Hier ruhen 5.000 Tote“, „Hier ruhen 2.500 Tote“, steht auf kleinen Tafeln. Neben dem Gelände des Lagers, das die britischen Befreier noch 1945 wegen der Seuchengefahr niedergebrannt hatten, liegt der größte NATO–Truppenübungsplatz Europas. „Ob er das nervlich aushält hier, soviel Tote aus seinem Volk?“ fragte Samson Juvel aus Hannover vor Herzogs Ankunft. „Er war höflich, ich glaube, er war zufrieden. Man hat gesehen, daß er ganz bei der Sache war“, kommentierte Lola Fischel. Auch sie hat Bergen–Belsen überlebt, begleitete Herzog zum Mahnmal und dem Obelkisten, der an alle Opfer des Nationalsozialismus erinnert.

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