I N T E R V I E W „Politische Magazine sind Überreste der Rundfunkfreiheit“

■ Der Sekretär des bundesdeutschen PEN–Zentrums und ZDF–Studioleiter in Berlin, Hans Werner Schwarze, über den Einfluß der etablierten Parteien in den öffentlich–rechtlichen Fernsehanstalten und die Zukunft des politischen Journalismus

taz: Die ARD–Magazine, insbesondere Report, sorgen seit einiger Zeit für Schlagzeilen. Es geht ihnen an den Kragen. Werden die letzten Aushängeschilder der ARD gekippt? Hans Werner Schwarze: Wenn wir statt Aushängeschilder Profile sagen - publizistische wie gesellschaftspolitische - dann sieht es so aus. Rundfunkfreiheit, das heißt Unabhängigkeit von Parteien und Regierungen, war in Deutschland (West) ein von den Besatzungsmächten gelieferter unerwünschter Import, blieb es bis heute. Die meisten politischen Magazine in ARD und ZDF sind Markenzeichen solcher Rundfunkfreiheit oder ... Überreste. Als Berliner ZDF–Studioleiter kann ich weder Mainz noch die ARD beschimpfen, aber persönlich, auch als Sekretär des PEN– Zentrums BRD, meine ich, daß aus Markenzeichen Überreste geworden sind. Sind das nun, was Baden–Baden angeht, Eskapaden eines einzelnen Intendanten, oder greift der lange Arm der CDU in das ARD–Räderwerk hinein? Es gibt in den Fernsehanstalten bis auf Radio Bremen keinen Intendanten mehr, der nicht CDU– oder CSU–Mitglied ist oder ihnen nahe steht. Entsprechend lang ist der Arm der beiden Parteien. Die SPD hat noch ein Ärmchen. Daß beide nach dem Einfluß greifen, den man ihnen gewährt, ist verständlich, und Intendanten, die praktisch von den Parteien bestimmt werden - manchmal sogar aus Staatskanzleien kommen wie Willibald Hilf - sind auf Unabhängigkeit und Stehvermögen nicht eingeübt, eher auf Konsens. Kritischer Journalismus, der Anstoß erregt, weil er Anstöße geben will, stört da nur. Warum ist der Protest in den Redaktionen selbst so gering? Es gibt diesen Protest. Aber die erwähnten langen oder kurzen Arme haben ihre Finger längst in den Redaktionen, halten die Hand auf die Stellenpläne, und die meisten Redakteure öffentlich–rechtlicher Anstalten sind weder blind noch mutig genug, um zu übersehen, wie in solchen Strukturen der eine gefördert und der andere mundtot gemacht wird. Steht in diesem Streit nicht auch die Identität politisch integren Journalismus bei den Öffentlich–Rechtlichen auf dem Spiel? Ja, sie ist zum Teil sogar schon verspielt. Aber es gibt noch Inseln... .. die der Kapitulation vor den privaten Veranstaltern noch nicht zum Opfer gefallen sind? Die kommerziellen Anbieter werden zwar alles der Unterhaltung, dem Massengeschmack unterordnen, aber sie werden im Informationsbereich, wenngleich mit konservativem Übergewicht, weder zahn– noch farblos sein. Das heißt, möglichst bunt und unpolitisch, aber immer wieder unterhaltend pointiert. Für die normale politische Berichterstattung, die in den Anstalten seit zwei Jahrzehnten durch Proporzzwänge und Ausgewogenheitsängste verwässert worden ist, wird bei den Kommerzsendern kaum Platz bleiben, geschweige denn für Hintergrundberichterstattung, die nicht in die politische Linie der werbenden Wirtschaft paßt. Wie schwarz sehen Sie die Zukunft der ARD? Ganz gleich, ob ARD oder ZDF, öffentlich–rechtliches Fernsehen hat gegenüber dem Kommerz–TV in Bereich von Information und Kultur nur dann eine Chance, wenn es gelingt, sich aus der Abhängigkeit der Parteien zu befreien und den Zuschauern überzeugend den Eindruck zu vermitteln, daß man sie ausführlich und vollständig über Tatsachen und Meinungen informiert, wozu Hintergrundinformationen, die Aufdeckung von Mißständen, von politischer Rückständigkeit gehören, wobei die Grundsätze und Grundlagen unserer Verfassung anzulegen sind. Verlautbarungsjournalismus, Proporzinformation, Verzicht auf Profil sind nicht konkurrenzfähig gegenüber der Einfalt auf vielen Kanälen des Kommerzfernsehens, das, auf den Massengeschmack verpflichtet, gewollt oder ungewollt ein Verdummungsinstrument im Sinne der Bild–Zeitung werden wird. Auch die rechten Politiker, die solcherart Fernsehen durchgesetzt haben, merken bereits, daß sie dort immer seltener stattfinden. Den Parteien insgesamt bleibt auf dem Bildschirm nur eine Chance, sich kontinuierlich zu artikulieren, wenn die Anstalten selbst unabhängiger und damit profilierter werden können, als sie es zur Zeit sind. Nur so gehts, und wie schwer das gehen kann, wird klar, wenn man deutlich sagt, was von den Parteien gefordert wird: Auf mühsam erkämpfte Einflüsse der langen oder kurzen Arme zu verzichten, damit sie auf dem Bildschirm überhaupt noch zur Kenntnis genommen werden. Interview: Benedikt M. Mülder