: Mexikos Indianer haben weder Land noch Lobby
■ Vor der Kathedrale der Hauptstadt führen 30 Indianer aus dem südmexikanischen Bundesstaat Chiapas einen Hungerstreik durch / Gegen Viehzüchter und Holzunternehmer, die sie mit Pistoleros vertreiben, haben die Indios keine Chance
Mexiko–Stadt (ips) - Manuela Velazquez hat sich mit ihren beiden Kindern auf den Weg in die Hauptstadt gemacht, um gegen das Unrecht zu demonstrieren, das ihrem Mann vor zwei Jahren angetan wurde. Damals war Victorico Hernandez wegen Mordes zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ein Justizirrtum, sagt die 23jährige, denn die Tat habe Victorico nicht begangen. Wie ihr Mann gehört die junge Frau der Gruppe der Tzotzil–Indianer an, die im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas beheimatet ist. Hier leben derzeit noch eine halbe Million Indianer. 30 Indios aus Chiapas und anderen Landesteilen haben letzte Woche in der Kathedrale von Mexiko–Stadt einen Hungerstreik in Sichtweite des Regierungspalastes begonnen. Zyniker sagen, im April habe der Indio–Protest alljährlich Konjunktur - und gehen zur Tagesordnung über. In der Tat ist die Losung des Bauernführers Emiliano Zapata, jenes Caudillos der mexikanischen Revolution, der am 10. April 1919 von Militärs in einen Hinterhalt gelockt und getötet wurde, heute so lebendig wie damals: Land und Freiheit. Auch der Kampf Zapatas für eine gerechte Landreform scheint heute so aktuell wie vor nahezu 70 Jahren. Die Hungerstreikenden in der Kirche von Mexiko–Stadt, sowieso schon am Rande der Gesellschaft, wollen sich nicht damit abfinden, immer noch näher an den Abgrund gedrängt zu werden. Eine lange Klageliste halten die Demonstranten stellvertretend für ihre indianischen Schicksalsgenossen bereit: Ungesühnte Morde an namenlosen Tzeltal und Tzotzil, Choles und Zoques, Tojobal und Motozintleco, Mame und Jacalteco, Chuje und Lacandone - alles in Chiapas beheimatete indianische Ethnien -, Landraub und Vertreibung, Überfälle von bewaffneten „Söldnern“ der Großgrundbesitzer. Ungeschoren bleiben auch nicht Regierung und Opposition. Ihnen werfen die frühen Bewohner Mexikos Gleichgültigkeit und Vernachlässigung indianischer Lebensinteressen vor. Auch wenn indianischen Gemeinden offiziell Landtitel zuerkannt worden sind, bedeutet das nicht, daß sie von ihren Rechten ungehindert Gebrauch machen können. Holzunternehmen und Viehzüchter können sich erlauben, indianisches Eigentum ungestraft zu mißachten. Regt sich Widerstand, besetzen die Indios Land oder rufen die Öffentlichkeit zu Hilfe, dann sind bald paramilitärische Trupps zur Stelle. Oft genug auch die staatliche Polizei. Indianer besitzen keine Lobby. Auch für die parlamentarische Opposition sind die ständigen Menschenrechtsverletzungen an den Indios kein Thema, mit dem sich Stimmen gewinnen läßt. Diese Mauer des Schweigens zu denunzieren, waren vor drei Jahren 560 Indios aus Chiapas in einer aufsehenerregenden Demonstration 25 Tage lang über 1.300 Kilometer auf Mexiko– Stadt marschiert. Damals waren ihre Forderungen die gleichen wie die der 30 Indios, die in der Kathedrale beim Regierungspalast für ihre Rechte im Hungerstreik sind. Ein Signal setzte die Regierung von Präsident Miguel de la Madrid dieser Tage, als sie vier Millionen Dollar für ein Dringlichkeitsprogramm zur Verfügung stellte, das die Lebensverhältnisse der letzten 300 Lacandone–Indianer in Chiapas verbessern soll. Der Regenwald von Lacandona im Osten Chiapas umfaßt ein Gebiet von 15.000 Quadratkilometern, das bereits weitgehend der Axt ausländischer und einheimischer Holzfirmen zum Opfer gefallen ist. Umweltexperten haben ermittelt, daß 80 Prozent der früher hier lebenden Tierarten verschwunden sind, der ehemalige Pflanzenreichtum ist auf die Hälfte geschrumpft. Das Lebens– und Siedlungsgebiet der Lacandone droht abzusterben, und mit ihnen die Bewohner. Die Lacandone mußten sich in die Höhenlagen zurückziehen. Anthropologen sind davon überzeugt, daß heute jede Hilfe für die Indios zu spät kommt. Die Überlebenden fristen eine Existenz in Hunger und Armut, mit ihrem Tod wird die Kultur der Lacandone ausgestorben sein. Mit der weißen Zivilisation hatten sie noch nie viel im Sinn. Vor den anrückenden Spaniern, so berichten die Geschichtsschreiber, setzten sie 1586 lieber ihre Hauptstadt Lacam–Turun in Brand, als sie den Conquistadoren zu überlassen.
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