: Irland verzögert EG–Reform
■ Laut Gerichtsurteil verstößt Europäische Einheits–Akte gegen Verfassung / Volksabstimmung im Juni über Verfassungsänderung zugleich als Abstimmung über EG–Beitritt gewertet
Aus Dublin Ralf Sotschek
Am Donnerstag entschied das höchste irische Gericht überraschend, daß die Ratifizierung der europäischen Einheits–Akte gegen die irische Verfassung verstoße. Die Entscheidung bedeutet, daß die Akte in der Europäischen Gemeinschaft erst in Kraft treten kann, wenn Nicht– NATO–Mitglied Irland seine Verfassung geändert hat, wofür eine Volksabstimmung nötig ist. Die europäische Einheits–Akte soll zu einer Beschleunigung des Entscheidungsprozesses und einer Vereinheitlichung der EG–Politik in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Gesundheit, Umwelt, Technologie und Außenpolitik führen. Die Akte sieht außerdem vor, daß dem Europäischen Parlament mehr Macht als bisher eingeräumt wird. Die Dubliner Richter vertraten die Ansicht, daß Neutralität und Unabhängigkeit gefährdet seien, wenn die irische Außenpolitik in Straßburg gemacht werde. Die Entscheidung der fünf Richter ging zwar mit drei zu zwei knapp aus, ist aber endgültig. Daß das höchste Gericht überhaupt tätig wurde, lag an dem Wirtschaftswissenschafler Prof. Raymond Crotty, der bereits im letzten Oktober gegen die Ratifizierung der Einheits–Akte geklagt hatte. Das Urteil vom Donnerstag erspart Gerichtskosten in Höhe von einer Viertel Million Mark. Dem irischen Regierungschef Haughey kommt die höchstrichterliche Entscheidung nicht ungelegen. Schließlich ist die verfassungswidrige Einheits–Akte nicht seiner erst einen Monat alten Minderheitsregierung, sondern den Vorgängern anzulasten. Außerdem werden die Vorbereitungen zur Volksabstimmung über die Akte, die bei der Bevölkerung bisher wenig Beachtung fand, von dem heftig umstrittenen Haushaltsplan der Regierung ablenken. In den anderen elf EG–Ländern, die die Einheits–Akte vereinbarungsgemäß bereits im letzten Jahr ratifiziert haben, löste die weitere Verzögerung Enttäuschung aus. EG–Diplomaten, die an der Gerichtsverhandlung teilnahmen, betonten sofort nach Bekanntgabe des Urteils, daß eine Neuverhandlung des Textes der Einheits–Akte außer Frage stünde. Das für Ende Mai oder Anfang Juni geplante Referendum wird von Gegnern und Befürwortern der Akte als Abstimmung über die EG–Mitgliedschaft Irlands gewertet. Da aber sowohl Regierung als auch die beiden größten Oppositionsparteien für die Akte und ein Vereintes Europa eintreten, ist nicht zu erwarten, daß ihnen die Bevölkerung einen Strich durch die Rechnung machen wird.
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