: Gorbatschow: Verschrottung von Kurzstreckenraketen
■ Gorbatschow in Prag / Abzug der Raketen kurzer Reichweite aus DDR und CSSR in Aussicht gestellt / Reagan plädiert für härteren Kurs vor Shultz–Besuch / Gespräche mit Prager Bürgern über 1968
Prag/Bonn (ap/taz) - Der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow hat separate Verhandlungen über die Reduzierung der in Europa stationierten Nuklearraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 1.000 km angeregt. Auf einer Kundgebung in Prag erklärte Gorbatschow gestern: „Um den unverzüglichen Abschluß eines Abkommens über die Mittelstreckenraketen in Europa zu erleichtern, schlagen wir vor, die Erörterung der Frage über die Reduzierung und nachfolgende Liquidierung der Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 1.000 km, die auf dem europäischen Kontinent stationiert sind, zu beginnen, ohne hiermit den Verlauf und den Ausgang der Lösung des Problems der Mittel streckenraketen zu verbinden. In der Zeit der Verhandlungen würden die Seiten die Verpflichtung übernehmen, die Zahl der operativ–taktischen Raketen nicht zu vermehren. Wir sind dafür, daß die Sache (...) letztlich zur vollständigen Beseitigung dieser Raketen in Europa geführt wird.“ Gorbatschow bestätigte, daß nach der Unterzeichnung des Abkommens über die Mittelstrekkenraketen, unabhängig vom Verlauf der Frage operativ–taktischer Raketen die UdSSR in Abstimmung der CSSR und der DDR die Raketen aus diesen Ländern abziehen wird. Fortsetzung auf Seite 2 Interview mit dem Sprecher der Charta 77 Seite 9 Kommentar auf Seite 4 Vor seiner Rede hatte Gorbatschow mit führenden Funktionären der tschechoslowakischen KP, Probleme der gegenseitigen Zusammenarbeit erörtert. In einer Tischrede am Donnerstag abend deutete der KPdSU–Generalsekretär an, daß die von ihm in Moskau betriebene Reformpolitik auch für die CSSR wertvoll sein könne. „Wir sind davon überzeugt, daß die positiven Änderungen in allen Lebensbereichen der Sowjetunion auch im Interesse anderer sozialistischer Länder liegen“, sagte Gorbatschow. Wie das Parteiorgan Rude Pravo am Freitag berichtete, hat sich Gorbatschow am Donnerstag bei einem Spaziergang mit Studenten in der Prager Fußgängerzone eines Aufenthalts in der Tschechoslowakei erinnert, die er 1968 mit einer Delegation der so wjetischen Jugendorganisation Komsomol besucht hatte. „Was wir damals gesehen haben, und was Genosse Husak übernehmen mußte...“, meinte Gorbatschow. „Die Zeit damals war mit Herz und Verstand schwer zu verstehen und zu erleben, und ich bin sehr glücklich, daß wir während dieser Prüfungen an Eurer Seite standen.“ An die Jugend gewandt meinte der Kreml–Chef weiter, sie werde bald die Nachfolge antreten müssen. Die Gesellschaft müsse würdige Nachfolger heranbilden, und was er von der Prager Jugend höre, zeige ihm, daß sie bereit sei, die Zukunft der Tschechoslowakei in einer neuen schweren Zeit zu lenken. „Die Ablösung liegt in guten Händen“, versicherte Gorbatschow. USA mauern US–Präsident Ronald Reagan ist nach einem Bericht der Washington Post kurz vor der Abreise von Außenminister George Shultz zu Gesprächen in Moskau von mehreren jener Abrüstungs vorschläge abgerückt, die er bei seinem Treffen mit Gorbatschow in Reykjavik ins Gespräch gebracht hatte. So soll Shultz einen Plan vorlegen, demzufolge die USA den für das Projekt einer Raketenabwehr im Weltraum (SDI) wichtigen ABM–Vertrag zur Begrenzung von Defensivsystemen nur noch fünf Jahre einhalten wollen - von dem Augenblick an, in dem ein neues Abkommen über die Reduzierung von Offensivwaffen in Kraft tritt. In Reykjavik hatte Reagan angeboten, die USA wollten den ABM–Vertrag für zehn Jahre beachten. Weiter soll Reagan seinen Außenminister angewiesen haben, den Zeitrahmen für die zahlenmäßige Halbierung aller weitreichenden Atomwaffen von fünf Jahren auf sieben Jahre auszudehnen. Die New York Times berichtete, Shultz habe vom Präsidenten darüber hinaus die Order bekommen, nicht über einen neuen sowjetischen Kompromißvorschlag in Sachen Atomtests zu verhandeln, solange Moskau nicht den von den USA geforderten Maßnahmen zur Nachprüfbarkeit bei Nuklearversuchen zustimme.
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