piwik no script img

Eine Gift–Küche brodelt ungehindert weiter

■ Seit zwei Jahrzehnten verpestet die Münchener Cadmium–Firma Bärlocher die Luft / Anwohner in der Olympia–Pressestadt von Atembeschwerden und Allergien geplagt / Bürgerinitiative klagt gegen die Stadt München / Betrieb im juristischen Niemandsland?

Von Martin Herbst

München (taz) - 900 Meter Luftlinie sind es vom Balkon der Familie Buchner bis zu den Schloten der „Chemischen Werke München - Otto Bärlocher GmbH“ im Norden der Stadt. Die Buchners wohnen in der Straßberger Straße 16, in einem der puebloartigen Bauten des Olympiadorfes. Bei Südwestwind „sind es vor allem die leicht süßlichen Stearat–Gerüche, die wir hier abkriegen“, sagte Klaus Buchner, Vater von vier Kindern. Meistens handelt es sich um Cadmium–Stearat und Barium–Stearat, wie der gelernte Physiker weiß. Cadmium ruft gefährliche Nieren– und Stoffwechselstörungen hervor; Barium ist bereits in geringen Konzentrationen schwer gesundheitsschädlich. Die Stoffe finden in der PVC–Produktion Verwendung, während das ebenfalls herumschwirrende Zink– Stearat Kosmetika und Arzeinmitteln beigemischt wird. 1.200 Mieter gegen Bärlocher Rund 250 Meter Luftlinie sind es von den Wohnzimmerfenstern des Ehepaars Busch bis zu den Bärlocher–Kaminen. In etwa demselben Umkreis zum Chemie–Werk liegen eine Fachoberschule und ein Kindergarten. Die Buschs wohnen in der Olympia–Pressestadt. Wolfram Busch ist einer der Kläger in Sachen Chemie–Werke Bärlocher. Über seinen Gesundheitszustand redet er nicht gerne. Eine von der „Mieterinitiative Olympia–Pressestadt (MOP)“ durchgeführte Befragung ergab, daß über die Hälfte seiner Nachbarn in der Pressestadt unter Haut– und Atemwegsbeschwerden leidet. Die MOP ist einer von drei Vereinen, die den Kampf mit dem 200–Millionen–Umsatz–Unternehmen aufnahmen. Zusammen mit der „Einwohnerinteressengemeinschaft Olympisches Dorf“ und der „Mietergemeinschaft Borstei“ sind es 1.200 organisierte Mieter, die der Chemie–Küche gegenüberstehen. Am Wohnzimmer–Tisch, in Sichtweite der Kamine, versucht Wolfram Busch Ordnung in das Wirrwarr des Bärlocher–Streites zu bringen. Klageschriften, Urteile, Genehmigungen und Bescheide füllen 36 Aktenordner. Die Klagen, so stellt Busch einen weitverbreiteten Irrtum klar, richten sich allesamt gegen die Stadt München, nicht gegen Bärlocher. Denn die Stadt ist für die Betriebsgenehmigungen der „Giftküche“ verantwortlich, sie ermöglicht seit Jahren das Dampfen der Chemie–Kessel. Viele der Anlagen wurden in den sechziger und siebziger Jahren ohne behördliche Erlaubnis errichtet: „Schwarzbauten“, sagt Busch. Kürzlich sah es ganz so aus, als hätten die Anwohner endlich Erfolg gehabt. Das Verwaltungsgericht München erklärte vier Betriebsgenehmigungen für rechtswidrig. Das Gericht bezog sich erstmals nicht mehr auf die Gift– Emissionen im Normalbetrieb der Anlagen. Die Anwohner seien vielmehr auch gegen andere Gefahren, etwa bei einem Unfall, zu schützen. Diese Forderung kommt nicht von ungefähr: 1981 zum Beispiel wurde bei Bärlocher Cadmium durch ein offenes Fenster in die Umgebung geblasen. Zwischen 1966 und 1976 wurden auf dem Chemie–Gelände 22 Brände und Explosionen registriert. Einmal, so beobachteten Pressestadt–Bewohner, hob sich gar das ganze Dach einer Fabrikationshalle mit einer Staubwolke in die Luft. „Im Katastrophenfall können 15.000 Menschen von tödlichen Vergiftungen betroffen sein“, zitiert der Vorsitzende der Einwohnerinteressengemeinschaft Olympisches Dorf, Rolf–Helmut Pfeiffer, ein neueres Gutachten. Pfeiffer empört sich, daß das Chemie–Werk die vernünftigen Einwände der Bevölkerung ignoriert: „Wir sind schließlich keine wilden Demonstrierer und Bilderstürmer!“ Nach dem Gerichtsurteil wurde von der Stadt München der „Sofortige Vollzug“ der umstrittenen Betriebsgenehmigungen außer Kraft gesetzt, sonst hätte die Cadmium–Küche weiter dampfen können. Als Verbot wirksam wird nämlich erst ein rechtskräftiges Urteil. Cadmium statt Blei „Stadt schließt Gift–Küche“, „Anwohner–Sieg über Bärlocher“, schlagzeilte daraufhin die Lokalpresse. Die Stadtrats–SPD sah in dem Urteil einen „großen Erfolg für den Umweltschutz und die Bürger“. Doch die Freude währte nur kurz, nach fünf Tagen konnten fast alle Anlagen wieder arbeiten. Anstelle der Stadt hatte deren Aufsichtsbehörde, die Regierung von Oberbayern, den Sofortvollzug angeordnet. Begründung: Die Wahrscheinlichkeit, daß das Urteil in der nächsten Instanz Bestand haben würde, sei gering. Nur eine Genehmigung wurde auch von der Regierung verweigert, aber auf die „legen wir keinen Wert. Das wird von uns nicht forciert“, so Bärlocher– Sprecher Peter Krauss. Zufall? Die Bilder jedenfalls gleichen sich: „Erfolg der Bürgerinitiative - Bärlocher–Betriebe werden verlegt“, meldete 1977 der Münchner Merkur: „Die Bewohner des Münchener Nordens, besonders der Olympia–Pressestadt, können beruhigt sein.“ Die bleiverarbeitenden Betriebe würden ausgelagert, die Verwaltung aber in München bleiben. Gedacht sei ferner an die Produktion von Waschmitteln und „Ölabsorbern“, berichtete das Blatt aus dem Bärlocher–Dunstkreis. Daß die Blei–Anlagen schon bald, nämlich 1979, voll durch die Cadmium–Verarbeitung ersetzt werden sollten, davon erfuhr die Öffentlichkeit nichts: „Das Cadmium ist als Kompensation dahin gekommen“, sagt Rolf–Helmut Pfeiffer. Die Verarbeitung des Schwermetalls sei von der Stadt „in einer Nacht– und Nebel–Aktion“ genehmigt worden: „Eine Anhörung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz gab es nicht.“ Seitdem ist die Firma Bärlocher ein Beispiel dafür, wie ganze Chemie–Anlagen über Jahre hinweg ohne bestandskräftige Genehmigungen produzieren können, allein aufgrund des juristischen Schwebezustandes. Was fehlt ist ein rechtskräftiges Urteil. Ohne das können die Behörden die Genehmigungen jederzeit für „sofort vollziehbar“ erklären. Die aufschiebende Wirkung der Verfahren wird damit hinfällig. Auch gegen den jüngsten Spruch des Verwaltungsgerichts legte Bärlocher Berufung ein. Das auf den „Störfall“ gemünzte Urteil will die Chemie–Firma nicht hinnehmen: „Da wäre ja auch BMW betroffen - alle, die Lösungsmittel und Benzin lagern“, sagt Unternehmenssprecher Peter Krauss. Die Kläger und ihr Anwalt Christian Sailer hoffen nun auf die nächste Instanz, den Verwaltungsgerichtshof (VGH). Das Eilverfahren ist bereits im Gange. Eine Entscheidung soll demnächst fallen. Sollte diese negativ für die Bärlocher–Gegner sein, beginnt das Warten auf das Hauptverfahren. Das kann noch Jahre dauern, und bei Bärlocher ist man ohnehin siegessicher: „Die VGH–Entscheidung ist mit Sicherheit positiv für uns“, prophezeit Firmen– Sprecher Krauss. Sollte sie es wider Erwarten nicht sein, könnte das Gericht immer noch Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin zulassen - sichere Betriebsjahre für Münchens „Gift–Küche“...

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen