piwik no script img

Managua schickt Slumbewohner an die Peripherie

■ Rund 1.700 Familien leben in Ruinen und Hütten der erdbebengeschädigten Stadt / Um sich vor der Interparlamentarischen Union, die am 27. April im Zentrum tagt, zu profilieren, wurden Familien trotz Protesten an den Stadtrand umgesiedelt

Von Ralf Leonhard

Die 77. Konferenz der Interparlamentarischen Union, die am 27. April in Managua beginnt, wirft ihre Schatten voraus. Seit Wochen wird in Managua fieberhaft am neuen Konferenzzentrum gearbeitet, das Schauplatz des internationalen Großereignisses sein wird. Freiwillige Brigaden beseitigen Müllhalden und selbst die Armee ist dieses Jahr angetreten, um die offenen Entwässerungskanäle noch vor Beginn der Regenzeit zu säubern. In unmittelbarer Umgebung des Konferenzzentrums „Olof Palme“, das erst in letzter Minute fertiggestellt sein wird, soll nun alles weggeräumt werden, was die Blicke der hohen Delegationen belästigen könnte. Diese Woche werden 84 Familien aus Elendsquartieren im Stadtzentrum umgesiedelt. Im Schnellverfahren teilt ihnen das Wohnbauministerium (MINVAH) Parzellen am Rande eines Vororts zu. Mittwoch in den frühen Morgenstunden fährt ein Lastwagen im Viertel Santo Domingo am Rande des „Mercado Oriental“, des größten Marktes der Hauptstadt, vor. Seit Monaten leben dort obdachlose Familien, die einfach ein Stück Brachland besetzt und windschiefe Holzhütten hingestellt haben. Jetzt sollen sie in 24 Stunden ihre Sachen packen. Von den Stadtteilkomitees organi sierte Freiwillige helfen, die wackeligen Unterkünfte auseinanderzunehmen und die Bretter und Möbel auf den Lkw zu verladen. Socorro Moreno de Castillo ernährt ihre vier Kinder mit Wasch– und Bügelarbeiten. Die Siedlung „Bello Amanecer“, wo die Reise enden soll, kennt sie nicht. Sie lebt erst seit zwei Monaten in dem behelfsmäßigen Quartier, das jetzt abgetragen wird. Ihre alte Unterkunft mußte sie verlassen, weil die Vermieterin das Haus für sich selbst beanspruchte. „Bello Amanecer“ - das schöne Morgengrauen - ist eine junge proletarische Vorstadtsiedlung wenige Kilometer westlich von Managua. Die meisten Häuser haben Wasser und ein Bus verbindet die Siedlung mit Managua, doch allgemein ist die Infrastruktur noch reichlich dürftig. Auf dem Höhepunkt der Trockenzeit sind die ungepflasterten Straßen ständig in dichte Staubwolken gehüllt. „Was heißt hier freiwillig?“, erregt sich Maria Isabel Ubiedo, die von ihrer neuen Wohnstätte wenig angetan ist, „keiner hat uns gefragt, ob wir hierher wollen“. Ihr Ehemann und der Nachbar haben bereits das Gerüst des etwa vier mal fünf Meter großen Hauses aufgestellt, wo die siebenköpfige Familie leben wird. „In Santo Domingo hatten wir Wasser und Licht“, klagt die junge Frau, deren halbnackte Kinder unter den herumstehenden Möbeln spielen. „Morgen werden drei öffentliche Wasserhähne eingerichtet“, versichert Pedro Gutierrez, der Verantwortliche des MINVAH, der die Umsiedlungsarbeiten überwacht. 39 Familien von insgesamt 84 aus dem Slum im Stadtzentrum werden in diesen Tagen hier angesiedelt. Sie bekommen ein Stück Land zugeteilt, das ihnen zumindest die Haltung von Kleinvieh und die Gemüsezucht erlaubt. Laut Gutierrez hätte die Verlegung der Slumbewohner schon im Vorjahr stattfinden sollen. Im historischen Zentrum Managuas, das vor 14 Jahren von einem vernichtenden Erdbeben fast völlig zerstört wurde, leben rund 1.700 Familien in Ruinen oder illegalen Hütten. Die meisten wurden vor ein paar Jahren mit Strom und Wasser versorgt, denn auch für die Behörden ist es kein Geheimnis, daß die Mietpreise in Managua für den durchschnittlichen Nicaraguaner unerschwinglich sind. Bessere Häuser sind überhaupt nur für harte Dollars zu haben. Die Stadtverwaltung will jedoch nach und nach alle „Hausbesetzer“ an die Peripherie verlegen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen