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Mikrofone und Raketen

Die Präsentation entbehrte nicht der Komik: Washingtons Journaille, aufgescheucht durch die Spionagevorwürfe der Reagan– Administration gegenüber der UdSSR, war von den sowjetischen Diplomaten zu einer Führung durch die Baustelle der neuen Vertretung Moskaus in der US–Hauptstadt gebeten worden. Gezeigt wurde den Reportern ein getreues Ebenbild dessen, was ihrerseits die Reaganisten in der fast fertigen Moskauer US–Botschaft gefunden hatten: Wanzen in der Wand, Mikrofone im Mauerwerk, Abhöreinrichtungen noch und nöcher. Mit ihrer showreifen Demonstration modernster Spionage–Hardware machten die Sowjetdiplomaten deutlich, daß sie auf diesem spektakelträchtigen Nebenschauplatz der Supermächte–Diplomatie mithalten können und werden. Anders als manche US–Politiker behalten sie dabei jedoch die Nerven. Georgi Arbatov, einer der führenden USA–Experten in der Sowjetunion, sagte am Samstag, zwei Tage vor dem Eintreffen von US– Außenminister Shultz in Moskau, man sei schon daran gewohnt, daß kurz vor wichtigen Verhandlungen zwischen Moskau und Washington in den USA das „Feuer unter einem Kessel von Emotionen“ geschürt werde, um so Verbesserungen in den gegenseitigen Beziehungen zu torpedieren. Schnüffeln gehört zum Geschäft Gegenseitige Spionage ist ein Fakt, mit dem amerikanische und sowjetische Diplomaten eigentlich längst zu leben gelernt haben; keine der beiden Seiten hat sich bei den Methoden jemals sonderliche Zurückhaltung auferlegt: Sieben Jahre lang, von 1945 bis 1952, hing in der Moskauer US–Botschaft ein handgeschnitztes Siegel der Vereinigten Staaten - ein Geschenk Stalins, das sogar noch aus der Zeit der antifaschistischen Allianz zwischen beiden Staaten stammte und das mit Abhörmikrofonen vollgestopft war. In den sechziger Jahren, so erinnert sich der frühere CIA–Direktor William Colby, erhielt ein US–Diplomat in Rumänien seine Schuhe aus der Reparatur zurück und fand, daß seine Absätze Mikrofone enthielten. Die Amerikaner hingegen belauschten damals in ihrer Moskauer Botschaft munter die Autotelefonate der Sowjetführung. Zwar habe man so nichts über die strategischen Planungen des Kremls erfahren können, so ein Geheimdienstler, Aufschlüsse gab es jedoch über „Breschnews Gesundheit und Podgornys Sexualleben“. Zwanzig Jahre später sind die Kommunikationseinrichtungen abhörsicherer geworden, verbessert hat sich jedoch auch das Handwerkszeug der Profi– Spione. Falls der sowjetische Vorwurf stimmt, setzen US–Abhörspezialisten in Washington Laserstrahlen gegen die Sowjetbotschaft ein, die feinste Vibrationen der Fenster wieder in die hinter ihnen gesprochenen Worte übersetzen können. Findige Abwehrtechniker haben bereits ein Mittel gegen derlei Hi–Tech–Schnüffelei gefunden: kleine Lautsprecher im Fensterrahmen, die die Scheiben im Rhythmus flotter Musik erzittern lassen. US–Hysterie Doch nicht alle US–Politiker sehen die Dinge mit der Abgeklärtheit William Colbys, der davon ausgeht, daß jeder US–Diplomat im Ostblock die ständige Präsenz von Mikrofonen voraussetzt und wichtige Gespräche eben auf der Straße führe. So kam es in der vergangenen Woche zu einer ungewöhnlichen Koalition im US–Senat, als 36 Republikaner und 34 Demokraten eine Resolution verabschiedeten, die US–Außenminister Shultz von seiner Moskau– Reise abriet, solange dort kein abhörsicherer Ort für ihn zur Verfügung stehe. Die Wanzen–Panik hatte so gegensätzliche Politiker wie den republikanischen Ultra Jesse Helms (North Carolina) und den „Freeze“–Befürworter Alan Cranston (Kalifornien) zu einem Bündnis vereint, das eine potentielle Gefahr für jedes Abrüstungsabkommen darstellt, wenn es dem Senat zur Ratifizierung vorgelegt wird. Der Senatsführer der Demokratischen Partei, Robert Byrd, sonst eher aristokratisch zurückhaltend, schien vollends die Nerven verloren zu haben. Am Donnerstag morgen kündigte er einen Gesetzenturf an, der für Spione die Todesstrafe verlangt: „Warum nicht?“, schäumte er, „diese Leute sind Verräter. Exekutiert sie. Sie sind es nicht wert zu leben. Wir müssen aufhören, so sanftmütig zu sein.“ Die ganze Aufregung über die Wanzen und die angeblichen sexuellen Avancen hübscher KGB– Agentinnen gegenüber dem amerikanischen Botschaftswachpersonal in Moskau hat eines erreicht: Der politische Druck auf Außenminister Shultz, in Moskau hart zu verhandeln, ist wesentlich gesteigert worden. Chancen verschlechtert Nunmehr hat Shultz nicht nur die verhärteten US–Positionen zum ABM–Vertrag, zur Verifizierung eines Mittelstreckenabkommens und zur SDI–Stationierung im Gepäck, sondern die Hardliner haben ihm dazu mit der Spionageproblematik einen Knebel in den Koffer gepackt, mit dem sowjetische Zugeständnisse in Rüstungsfragen jederzeit abgewürgt werden können. Froh wird Shultz darüber kaum sein, denn schon die unterschiedlichen Ansichten innerhalb der Reagan–Administration über die unmittelbaren Rüstungskontrollfragen bereiten ihm genug Kopfzerbrechen. Als er sich am vergangenen Dienstag bei Reagan die Instruktionen für seine Moskauer Gespräche abholte, wurde deutlich, daß der Präsident in den entscheidenden Kontroversen eher der Ansicht des Pentagons als der Shultz zuneigte. So will Reagan dem ABM– Vertrag nur noch fünf Jahre nach Abschluß eines Abkommens über strategische Raketen Folge leisten, und nicht, wie noch in Reykjavik verkündet, bis mindestens 1996. Der ABM–Vertrag werde außerdem nur in der sogenannten „breiten“ Auslegung befolgt werden, die weniger Beschränkungen für Reagans SDI–Programm nach sich zieht. Verlängert soll dagegen der Zeitraum für die Reduzierung der Interkontinentalwaffen auf 50 Prozent werden, statt fünf ist nun in Washington von sieben Jahren die Rede. Reagans erneut bekräftigte kompromißlose Haltung gegenüber dem SDI–Programm, das räumen auch hohe Vertreter seiner Administration ein, lassen die Chancen auf ein Abkommen über Interkontinentalwaffen während seiner Amtszeit auf Null sinken. Stefan Schaaf

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