Neuer AIDS–Virus genetisch entschlüsselt

■ Einem französischen Serologenteam ist es gelungen, die genetische Struktur des HIV–II–Virus abzubilden

Aus London Rolf Paasch

Einem Team von AIDS–Forschern am Pariser Pasteur–Institut unter der Leitung von Prof. Luc Montagnier ist es gelungen, die vollständige DNA–Sequenz des bisher relativ wenig verbreiteten zweiten Typs des AIDS–Virus (HIV–II) abzubilden. Wie die AIDS–Spezialisten in der jüngsten Ausgabe des britischen Wissenschaftsmagazins Nature schreiben, unterscheidet sich der HIV– II–Virus in seiner Struktur ganz erheblich von dem bisher primär für die AIDS–Pandemie verantwortlichen HIV–I–Virus. Prof. Montagnier folgert daraus, daß ein „Elternvirus“ der beiden Typen wahrscheinlich schon vor langer Zeit in der menschlichen Bevölkerung existiert haben muß. Der jetzt entschlüsselte HIV–II– Virus war erst Ende 1985 bei einem AIDS–Patienten von den Kapverdischen Inseln entdeckt und isoliert worden. Nur 40 Prozent seiner 9.671 Nukleotide entsprechen denen beim AIDS–Vetter HIV–I. Die größte Ähnlichkeit weist der HIV–II–Virus dagegen mit einer Gruppe von Retroviren auf, wie sie bei verschiedenen Affenarten auftreten. In der Evolutionsperiode zwischen den beiden Typen des AIDS–Virus, so vermutet Prof. Montagnier, sei AIDS in der menschlichen Bevölkerung vermutlich noch nicht weit genug verbreitet gewesen, um es entdecken zu können. „Es ist durchaus möglich, daß AIDS über eine lange Periode unentdeckt geblieben ist“, erklärte er am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in London. Bisher beschränken sich bekannt gewordene HIV–II–Fälle vor allem auf die westafrikanischen Staaten der Kapverdischen Inseln, Senegal, der Elfenbeinküste, Guinea und Guinea–Bissao sowie auf einige Fälle in Frankreich. Auch in Schweden und der Bundesrepublik, so Montagnier, sei seiner Kenntnis nach schon ein HIV–II– Fall registiert worden. (siehe auch nebenstehendes Interview)