: Der Metall–Kompromiß ist perfekt
■ Vorstände von IG Metall und Gesamtmetall billigten das Ergebnis des Spitzengesprächs / Stufenweise Arbeitszeitverkürzung bis 1989 auf 37 Stunden / Auszubildende werden mitberücksichtigt / Dreistufige Lohnerhöhung / Streikvorbereitungen abgebrochen
R. Mohr/M. Kempe/D. Willier
Bad Homburg/Berlin (taz) - Die Vorstände der Industriegewerkschaft Metall und des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall haben am Mittwoch den Tarif– Kompromiß gebilligt, den die Vorsitzenden beider Organisationen in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch in ihrem zweiten Spitzengespräch erzielt haben. Danach wird die Arbeitszeit für die rund vier Millionen Beschäftigten in der Metallindustrie bis 1990 in zwei Stufen um eineinhalb Stunden auf durchschnittlich 37 Wochenstunden gesenkt. Gleichzeitig wurden in einem Stufenplan für die Jahre 1987, 1988 und 1989 Lohnerhöhungen festgelegt. Während die bisher von der Arbeitszeitverkürzung ausgenommenen Auszubildenden und höher qualifizierten Fachkräfte gegen den Widerstand der Arbeitgeber diesmal in die Arbeitszeitverkürzung einbezogen wurden, mußte die Gewerkschaft Kompromisse bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten machen (Einzelheiten auf Tagesthema– Seite 3). Auf einer Pressekonferenz am Verhandlungsort in Bad Homburg äußerte sich der IG–Metall–Chef Steinkühler nach der IGM–Vorstandssitzung vor Journalisten zufrieden. „Das zentrale Ergebnis dieser Tarifauseinandersetzung ist die weitere Verkürzung der Arbeitszeit um eineinhalb Stunden.“ Der Weg der IG Metall „für mehr Arbeitsplätze, mehr Menschlichkeit und mehr Freizeit“ sei fortgesetzt worden. Mit den vereinbarten Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen habe die IG Metall einen „eigenständigen Beitrag zur Steigerung der Binnennachfrage und zur Stabilisierung der Beschäftigung geleistet“. Mit der langen Laufzeit der Tarifverträge habe die Gewerkschaft „tarifpolitisches Neuland“ betreten, meinte Steinkühler. Man habe den „Unternehmen der Metallindustrie eine sichere Kalkulationsgrundlage in einer Zeit der zunehmenden konjunkturellen Unsicherheit“ bereitgestellt. Steinkühler äußerte sich stolz zu der Einbeziehung der Auszubildenden in die Arbeitszeitverkürzung und die Verengung des Differenzierungsspielraums für unterschiedliche Beschäftigtengruppen um eine halbe Stunde. Unverkennbar war die Erleichterung Steinkühlers darüber, daß ein „unkalkulierbarer Streik unter dem Kreuz des neuen Arbeitskampfparagraphen 116“ vermieden wurde. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Heutige Welt–Kunst ANders seyn / vnd anders scheinen: Anders reden / anders meinen: Alles loben / alles tragen / Allen heucheln / stets behagen / Allem Winde Segel geben: Bos– vnd Guten dienstbar leben: Alles Thun vnd alles Tichten Bloß auff eignen Nutzen richten; Wer sich dessen wil befleissen Kan Politisch heuer heissen. Friedrich von Logau Be Mit Blick auf das Jahr 1990, wenn die jetzt abzuschließenden Verträge auslaufen, meinte Steinkühler hoffnungsfroh: „Dann schaffen wir die 35–Stunden–Woche.“ Gesamtmetallpräsident Werner Stumpfe äußerte Bedenken, daß vor allem die kleinen Betriebe durch den Kompromiß mit einem durchschnittlichen Volumen von jährlich 4,1 Prozent bis 1990 überfordert sein könnten. Die hohe Belastung durch den Abschluß werde dadurch aufgewogen, daß ein neuerlicher Streik um kürzere Arbeitszeiten vermieden worden sei. Beide Seiten hätten sich im Falle eines Arbeitskampfes kein wesentlich besseres Ergebnis versprechen können. Den Arbeitgebern sei klar gewesen, daß sie sich in einem Arbeitskampf nicht erfolgreich gegen eine weitere Arbeitszeitverkürzung hätten wehren können. „Das ist eine Lehre, die wir aus 1984 gezogen haben“, meinte Stumpfe mit Blick auf den siebenwöchigen Streik vor drei Jahren. Das Spitzengespräch zwischen Steinkühler und Stumpfe hat insgesamt rund 13 Stunden gedauert. Gleich nach der Zustimmung des IG–Metall–Vorstandes wurde das Schlichtungsverfahren in Baden– Württemberg ausgesetzt. In regionalen Verhandlungen müssen nun noch die Probleme Überstunden und Samstagsarbeit verhandelt werden. Die Verhandlungen in Baden–Württemberg und Nordrhein–Westfalen werden am Donnerstag und Freitag fortgesetzt. Eine Einigung gilt als sicher. An der baden–württembergischen Metallerbasis ist man froh und erleichtert, daß es nun doch nicht zum Streik kommen wird. Gleichzeitig schmollend und froh nimmt man den Kompromiß „an der äußersten Grenze des Erträglichen“ hin. Die „Bedingungen für einen Arbeitskampf sind derzeit eben doch recht ungünstig“, meinte ein Stuttgarter Betriebsrat zur taz. Bauchschmerzen macht vor allem die dreijährige Laufzeit. Wie, so fragt man sich, können bei eventuellen Preissteigerungen Nachschlagsforderungen geltend gemacht werden? Entsprechende Anträge sollen bei der heutigen Sitzung der großen Tarifkommission Baden–Württembergs eingebracht werden.
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