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Noch weht der Frühling um die DDR herum

■ In einem Gespräch machen sich die beiden ehemaligen DDR–Bürger, die Schriftsteller Erich Loest und Gerhard Zwerenz, Gedanken darüber, warum „Glasnost“ in der DDR noch ein Fremdwort ist - und warum man in der DDR immer noch Mühle statt Schach spielt

Zwerenz: Hermann–Peter Piwitt hat in einem Gespräch mit bundesdeutschen KP– Genossen den Fall Erich Loest als rehabilitationsbedürftig angeführt. Du sollst gesagt haben, die DDR hätte sich wenigstens bei Dir dafür entschudligen sollen, daß sie Dich für sieben Jahre nach Bautzen schickte. Loest: Zur Rehabilitation gehört mehr. Das Urteil müßte kassiert werden. In „Durch die Erde ein Riß“ habe ich von der DDR–Spitze verlangt, sie habe meine von dem Urteil ebenso betroffene Familie um Vergebung zu bitten. Das Eingeständnis eines Fehlurteils könnte als Zeichen dafür gelten, daß die DDR auf Gorbatschows Kurs einer Neuen Politik geht. Das Fehlurteil gegen mich steht natürlich für tausend andere. Zwerenz: Unsere Parteiausschlüsse müßten genauso rückgängig gemacht werden. Die Ausschlußgründe waren lächerlich. Das betrifft auch Karola Bloch und die Verfolgung Ernst Blochs. Loest: Ich will nicht wieder SED–Mitglied sein. Da ist in der Zwischenzeit zuviel passiert. Zwerenz: Man kann danach wieder austreten. Worauf es ankommt ist, daß wir alle drei gegen unseren Widerstand ausgeschlossen wurden. Und satzungswidrig. Mit fingierten Gründen, genau wie bei deiner Verurteilung. Ernst Bloch schließlich bedarf der posthumen Rehabilitation. Loest: Wenn ich heute Gorbatschow reden höre, denke ich, er ist ein Schüler Blochs. Vielleicht liegt die Weigerung der DDR, den neuen Moskauer Kurs mitzusteuern, auf der Ebene ihrer alten Bloch– Feindschaft. Zwerenz: Bloch war ein zu früh gekommener Gorbatschowianer. Er akzeptierte die Rolle der Partei, forderte aber deren revolutionäre Modernisierung, was die Freiheit der Kultur voraussetzt. Sowas geschieht jetzt in der SU. Loest: Von dem ZK–Mitglied der westdeutschen Kommunistischen Partei, Peter Schütt, gibts ein neues Gedicht mit dem Titel „Moskau funkt wieder“. Bisher kommen die Funksprüche in der DDR nicht an. Perestroika und Glasnost sind dort russische Fremdworte. Zwerenz: Wolfgang Leonhard war der erste antistalinistische Bürgerrechtler der DDR. Solange sein aufwühlender Lebensbericht, „Die Partei entläßt ihre Kinder“, in der DDR nicht erscheinen darf, herrscht dort noch Stalin. Es liegt an der SED, Frieden zu machen mit denen, die statt des Opportunismus die Opposition wählten. Loest: Es dürfte noch lange dauern, bis die DDR sich autark genug fühlt, ihre Geburtsfehler einzugestehen und zu korrigieren. Zwerenz: Bloch forderte von der DDR damals, Schach zu spielen statt Mühle. Gorbatschow spielt jetzt Schach, und die westlichen Helden zittern um König, Dame und Bauern. Loest: In Moskau wird endlich Schach gespielt, die DDR aber klammert sich weiter ängstlich an ihr wurmstichiges Mühlebrett. Zwerenz: Die Russen waren schon immer die besseren Schachspieler. Loest: Es ist noch kein Großmeister vom Himmel gefallen. Aber anfangen, zu üben, könnten sie endlich in Ostberlin. Nur immer von Strauß–Krediten abhängig zu sein, das ist schließlich auch kein Sozialismus. Zwerenz: Schach ist schwerer als Mühle. Loest: Ein wirklicher Kopfleistungssport. Der alte Bloch wußte schon, was er empfahl. Zwerenz: Was für ein komischer Sozialismus, der Ernst Bloch in den Westen exportierte und dafür ein Vierteljahrhundert später Änne Burda nach Moskau importiert. Im Ersten Weltkrieg hieß das: Gold gab ich für Eisen. Loest: Das sind eben innersozialistische Widersprüche. Die DDR brauchte keine Burda–Mode. Da ist sie fortschrittlicher als die UdSSR. Zwerenz: Kurt Hager gab neulich im Stern eine Begründung dafür ab, weshalb die DDR nicht den neuen Moskauer Kurs steuern will. Ich schlief im zweiten Drittel ein. Loest: Den Artikel Kurt Hagers im Stern muß ich vor dreißig Jahren schon mal irgendwo gelesen haben. Erinnere ich mich recht, bin ich schon damals drüber eingeschlafen. Es gibt offenbar nichts Neues in der Welt der ideologischen DDR– Betreuer. Hager ist im ZK zuständig für Theorie. Und die ist alt und tot. Zwerenz: Moskau will Raketen abbauen, die Wirtschaftslage verbessern, den dummen Krieg in Afghanistan beenden. Vor soviel Schwung und gutem Willen kriegen manche im Westen kalte Füße. Ich finde das hoffnungsvoll und glaube einfach nicht daran, daß der Frühling ausgerechnet um die DDR herumwehen und sie aussparen wird. Loest: Mal sehen, ob Kurt Hager in dreißig Jahren noch immer dasselbe zu sagen hat wie vor dreißig Jahren und wie vorige Woche im Stern. Falls ja, legen wir zusammen und kaufen der DDR einen Satz Schachfiguren.

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