„Mit Entschiedenheit in die Enthaltung“

■ Auf ihrem Parteikongreß in Florenz bereiten sich Italiens Republikaner auf die Rolle als Zünglein an der Waage vor / Parteichef Spadolini hält Sozialisten und Christdemokraten auf Distanz, aber mag die DC zur Zeit weniger

Aus Florenz Werner Raith

Giovanni Spadolini, 62, genannt „Giovannone“ oder auch einfach „der Dicke“, schiebt seine wohlgerundeten zwei Zentner in Positur und verkündet freudeglänzend, daß seine Partei „ihre Papiere in Ordnung hat - als einzige“. Wenn er den Blick hebt und hinter belegten Brillengläsern fast zergeht vor lauter Sorge „um diese Krise, die nicht eine Regierungskrise ist, sondern die Krise einer Allianz“; wenn er gar mit zum Himmel gereckter Rechter „den Zorn der Geschichte“ befürchtet, „weil wir leichtfertig all das in dreieinhalb Jahren Regierungsarbeit Errungene aufs Spiel setzen“ - dann ist der Augenblick da, wo sich niemand mehr wundern würde, stünde da plötzlich ein blitzeblanker Heiligenschein über dem ergrauten Haupt. Rundum zufrieden ist er, der Ex–Verteidigungsminister Italiens, der so gar nicht aussieht, als würde ihn die Sorge drücken, sein derzeitiger christdemokratischer oder irgendein anderer Nachfolger könne irgend etwas besser machen als er. Und zufrieden sind auch seine Republikaner, die hier in Florenz, Spadolinis Geburtsstadt, ihren 36. Parteikongreß abhalten. Alles gestandene Männer, nur wenige Frauen darunter, die meisten vom Typ „geborener Unternehmer“ oder „alteingesessener Manager“, einige Ökonomie– und ein paar Historie–Professoren darunter, viele parteinahe Journalisten und manch landesweit bekannter Mediziner. Image: Sachlichkeit Trotz des auch hier unvermeidlichen Honoratioren–Angebots ist doch alles anders als vor drei Wochen in Rimini, wo die Sozialisten des eben demissionierten Bettino Craxi ihren Kongreß zelebrierten. Betont einfach geben sich die Republikaner, nichts von dem kitschigen Tempel, unter dem eine Hundertschaft PSI–Notabler saß und vor dem, von hunnenhaften Gogo–Girls flankiert, Parteichef Craxi seine Selbstbeweihräucherung betrieben hatte. Hier, im nüchtern belassenen, neonbeleuchteten „Palazzo del Congressi“ sitzen allenfalls zwei Dutzend Vorstandsmitglieder hinter dem weißen Podium vor grünem Hintergrund, wachen lediglich zwei deutlich als solche erkennbare Gorillas hinter Spadolini. Hier herrscht „Sachlichkeit“ - und sonst nichts. Selbst den mit einem blinkenden Auge befriedigt zur Kenntnis genommenen Ap plaus dämpft Giovannone sofort - er deutet auf die Uhr: Wir sind in Eile, lösen wir die Krise, so schnell es geht. Doch die Delegierten wissen den Blick auf die Uhr auch anders zu deuten: Im römischen Parlament rutschen schon ungeduldig die neuen Minister des Christdemokraten Fanfani auf ihren Sesseln herum, der sich nach dem DC– Kalkül so schnell wie möglich stürzen lassen soll, damit es endlich zu Neuwahlen kommt. Traditionell werden die Arbeiten des Parlaments unterbrochen, wenn Parteikongresse abrollen; diesmal hat man den Republikanern gerade einen halben Tag Atempause gegeben (obwohl der Kongreß bis Sonntag dauert), dann müssen die Matadoren wieder in die römische Bütt. Autobauer und Stahlfraktion So kann denn Spadolini alles recht kurz machen; ganz falsch ist in der Tat sein Hinweis nicht, daß seine Republikaner als einzige ein präzises Programm haben. Es besteht zum Beispiel in der Fortschreibung des alten Nuklearprogrammes, im Aufknüpfen des sozialen Netzes, in einer weniger araberfreundlichen Außenpolitik (speziell seit Agnelli das Fiat–Paket von Ghaddafi zurückgekauft hat). Und dann, innenpolitisch: „Gleiche Entfernung zu Sozialisten und Christdemokraten“ - was immer das bedeuten mag, denn programmatisch unterscheiden sich DC und PSI kaum, lediglich deren „Leader“ De Mita und Craxi sind einander spinnefeind. Die proklamierte „equidistanza“ hat denn auch wohl einen anderen Hintergrund: Spadolini hat erkannt, daß er bei entsprechendem Ausgang der kommenden Wahlen das Zünglein an der Waage spielen kann. Zumindest hofft er das. Seine Hinterleute sind zufrieden: Die derzeit zwar ökonomisch noch mächtige Industrie– und Kapitalfraktion um die Autobauer, Stahlproduzenten und traditionellen Energieerzeuger werden zunehmend von den aufsteigenden, mehr zu den Sozialisten schielenden High–Tech–Managern bedrängt und müssen unbedingt dafür sorgen, daß „ihre“ Republikaner den Fuß in der Regierungstüre halten. Vielleicht haben deshalb Spadolinis Platzanweiser den bisherigen Ministerpräsidenten Craxi ganz nach vorne gesetzt - Spadolini weiß, mit wem er sich, zugunsten seiner Klientel, zuerst arrangieren muß. Christdemokrat De Mita aber saß, eher verloren und mit verdrossen in die Nase gestupstem Zeigefinger, zwei Reihen dahinter. Die Zeichen der Zeit trügen da wohl nicht: Weder bei den Newcomern noch bei den Altherrschern sind Italiens Christdemokraten derzeit allzu hoch im Kurs; ihre Wankelmütigkeit in Sachen Kernenergie hat sie allseits in Mißkredit gebracht. Ihr Parteichef De Mita hat noch weniger Charisma als sein Kollege Natta von den Kommunisten. Und die fast manische Fixierung auf die Wiederbesetzung des Ministerpräsidentensessels hat die Partei in den Geruch programmloser Machtjäger gebracht. Spadolini zielt unverhüllt auf die ehemals fest zur DC stehenden konservativen Unternehmerklientel: „Wer in Italien weiter vorankommen will, braucht eine Partei, die weiß, was sie will, die keine Halbheiten duldet, sondern jeweils eindeutig ja oder nein sagt.“ Sprachs - und kündigte an, daß sich seine Republikaner bei der Abstimmung über das Kabinett Fanfani der Stimme enthalten werden. Auch eine Form der Entschiedenheit.