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I N T E R V I E W „Italiens Grüne sollen bei den Christdemokraten schüren und eingreifen“

■ Alexander Langer, Abgeordneter der Alternativen Liste Südtirol, plädiert dafür, daß die Grünen stärker auf Wertkonservative zugehen, die bisher christdemokratisch wählen

taz: Erstmals hat kürzlich, initiiert von der Alternativen Liste, in Bozen eine Debatte über Grüne und Konservative stattgefunden. Wie grün sind die Konservativen, wie konservativ sind die Grünen?, lautete der Titel. Hat die Südtiroler Landeshauptstadt das geeignete politische Klima für eine solche Diskussion? Langer: Wir haben unsere Rolle als Umschlagplatz für das, was südlich beziehungsweise nördlich der Alpen passiert, wahrnehmen wollen. In der Vergangenheit sind ja vielleicht mehr Dinge aus dem Süden dem Norden vermittelt worden, heute ist es mit den bundesdeutschen Grünen vielleicht umgekehrt, Dinge aus dem Norden breiten sich Richtung Süden aus. Wir empfinden uns vor allem als ein Stück Alpenraum, wo die Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und Grünen in bestimmten Regionen, in bestimmten sozialen Schichten, besonders aktuell sind. Zu den Regionen zählen wahrscheinlich allgemein die Randgebiete gegenüber den Metropolen. Es ist eine Auseinandersetzung, die über staatliche Grenzen hinweg geht, wo verschiedene Sprachen gesprochen werden, aber die Wirtschafts–, Kultur– und Siedlungsformen, die Naturbearbeitung sich ziemlich ähnlich sind. Hier ist das Gespräch konservativ–grün nicht rein abstrakt, sondern zugleich eine Notwendigkeit. Woran macht sich das fest? Im Unterschied zum flachen Land haben sich bei uns die Roten in keiner Form durchgesetzt. Wenn Grüne sich vornehmen, etwas zu erreichen, zu verändern und zu beeinflussen, dann müssen sie sich eben auch fragen, wie man in die breite, konservativ gestimmte Mehrheit hineinwirken kann und ob es nicht doch auch manches Gemeinsame gibt. Leute, die uns in den letzten 20 Jahren oft zum Teufel gewünscht und manchmal auch zum Teufel gejagt haben und Leute, die wir vielleicht auch in den letzten 20 Jahren zum Teufel gewünscht und leider nie gejagt haben, mit denen sind wir heute erstaunlich oft vereint, gegen touristische Übererschließung, gegen Autobahnexzesse und Verbauung oder gegen den Einbau Südtirols in ein übermäßiges Transitverkehrssystem. Mit anderen Worten, es gibt Gemeinsamkeiten und man wird hellhöriger. Rot–Grün hat an Ausstrahlungskraft eingebüßt, zumal nach den Wahlen in Hessen. Ist dieses Modell außerhalb der Bundesrepublik bedeutungslos geworden? Ich möchte nicht sagen, daß das Projekt Rot–Grün einfach bedeutungslos geworden ist. De facto hat sich aber bei vielen Grünen ein Gefühl eingeschlichen, daß sie sich beinahe selbstverständlich als Partner der Linken empfinden. Sie denken, daß Naturzerstörung von der Profitwirtschaft verursacht wird und man deswegen mit den Linken zusammenarbeiten muß. Weil man sich außerdem in erster Linie als Gesellschaftsveränderer begreift, schaut man sich auch nach anderen Gesellschaftsveränderern um, die man in der Linken zu erkennen glaubt. Jetzt, wo man darauf kommt, daß man Dinge verändern muß, in einem bewahrenden Sinne, müßte man sich doch auch mal fragen, ob es nicht Leute gibt, die auf anderem Weg vor uns, ähnliche Notwendigkeiten gesehen haben. Sie handeln vielleicht aus ganz anderen Motiven. Aber so wie die Grünen versuchen müssen, linkes Gedankengut und industrialistischen Fortschritt zu entflechten - das ist wichtig, um die Linke vom Fortschrittswahn zu befreien - so müßte man daran arbeiten, die Konservativen vom reaktionären Obrigkeitshang, vom Militarismus, von der Wirtschaftsfixiertheit zu entflechten. Ihr wollt damit auf die Wähler, auf das konservative Fußvolk zugehen? Wir müssen den konservativen Leuten in Parteien, Vereinen und Verbänden sagen, daß ihre Anliegen bei den angeblich konservativen Parteien gar nicht gut aufgehoben sind. Diese sagen zwar, sie bewahrten die Heimat, stellen aber in Wirklichkeit Raketen auf oder bauen Plutoniumfabriken. Es gibt ja einen grundkonservativen Widerstand gegen die von konservativen Politikern betriebene Zerstörung. Man denke an Wackersdorf oder an den Widerstand gegen den Autobahnbau in Nord– und Südtirol. Ist nach dem „Kampf gegen die Reaktion“ also die Versöhnung mit dem früheren Feind angesagt, gar die Versöhnung mit den Vätern? Das mit den Vätern hat schon was für sich. Es ist ja kein Zufall, daß zwei der Söhne des stellvertretenden Landeshauptmanns Alfons Benedikter bei uns aktiv in der Alternativen Liste mitarbeiten. Die Tochter eines italienischen neofaschistischen Landtagsabgeordneten ist engagiert. Wir waren immer sehr stolz darauf, die Kinder von Leuten zusammenzubringen, deren Väter sich aufs Messer bekämpften. Inzwischen wollen wir etwas mehr. Wir wollen ihre Eltern, meistens sind es die Väter, und worin sie Recht gehabt haben oder was an ihrem Anliegen richtig war, beerben, das Erbe nicht brachliegen und verkommen lassen. Wir wollen den Bogen weiter spannen. Wir sind als Linke nicht mehr bereit, unter die in den letzten Jahren in Südtirol herrschende Fremdkörperabwehr zu fallen. Diese kann besonders wirksam werden, wenn Volkskulturen am Werk sind, das können linke, das können konservative sein. Wer etwa in einem stark gewerkschaftlichen oder in Italien in einem kommunistisch geprägten Raum mit der Gewerkschaft oder mit der herrschenden Arbeiterpartei in Konflikt gerät, kulturell aussteigt und quer dazu liegt, kann ähnlich geächtet werden, wie es bei uns für diejenigen der Fall war, die von der Haartracht über den Lebensstil bis zur wilden Ehe auffielen und ausgeschlossen wie stigmatisiert wurden. Vielleicht haben wir damals einen als bedrückend empfundenen Stallgeruch so sehr abgelegt, daß wir entweder überhaupt geruchlos geworden sind oder gar ein Parfum verwendet haben, das uns die Kommunikation in unserer Gesellschaft mit den Vätern, auch den Müttern, schwierig gemacht hat. Da die Grünen beanspruchen, an dem Überlebenswillen der Vielen und nicht der Wenigen anzuknüpfen und nicht nur die Kopfgrünen ansprechen wollen, die sie meistens selber sind, sondern auch die mit Bauch, Herz und Auge, werden sich die Grünen bemühen müssen, ihre Politik nicht von vorneherein am Raster der Fremdkörperabwehr auszurichten. Nehmen wir Italien. Ist auf lange Sicht eine Zusammenarbeit von Grünen und Democrazia Christiana vorstellbar? Es ist schwer, das heute schon zu beantworten. Es hat ein interessantes Experiment in Florenz gegeben. Vor eineinhalb Jahren haben sich die dortigen Grünen, die unter Umständen das Zünglein an der Waage zwischen einer Stadtregierung mit den Kommunisten oder einer mit den Christdemokraten sein könnten, demonstrativ auf Verhandlungen mit beiden eingelassen. Die wichtigste Auseinandersetzung ging darum, ob ein großes Stadtviertel neu aufgebaut werden sollte. Dahinter stand FIAT und eine ihr gehörende Finanzgesellschaft. Die Grünen haben gesagt, wir sind bereit, die Stadtregierung zu unterstützen, die dieses Projekt verhindert und haben mit PCI wie DC verhandelt. Damals haben die Kommunisten gesagt, ja, was fällt euch überhaupt ein, ihr öffnet dem Finanzkapital Tür und Tor, wenn ihr den Christdemokraten und einer Mittelinks–Koalition zur Regierung verhelft. Es hat sich dann eine merkwürdige Wende ergeben, indem ein Teil der Mittelinks–Koalition mit den Kommunisten koaliert hat. Die haben jetzt in ihrem Programm die Stadtentwicklung von FIAT. Heute sind die Christdemokraten in Florenz aus Machtgründen, weil nicht sie das bestimmen können, in der Opposition und die Grünen aus dem gleichen Grund. Diejenigen, die damals Anstoß daran genommen haben, daß die Grünen mit den Christdemokraten verhandelt haben, machen inzwischen genau das, was die christdemokratische Stadtregierung auch gemacht hätte. Im übrigen könnte ich mir vorstellen, daß gerade in der Atomfrage, wo die Christdemokraten an der Spitze zwar stramm zum Atomprogramm stehen, aber zum Beispiel die katholische Tageszeitung Avenire in einer Leserumfrage ermittelt hat, daß die Mehrheit ihrer Leser atomfeindlich sind, sich Dinge ergeben können, die es für die Grünen in It AUTOR_________: Das Gespräch führte Benedict M. Mülder

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