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Grüne auf der Suche nach linker Stahl–Politik

■ Stahlforum der Grünen bringt Politiker und Betriebsräte zusammen / IG–Metall–Vorstand boykottiert Forum / Diskussion bringt linksalternatives Forderungspotpourri an den Tag

Von Jakob Sonnenschein

Bonn (taz) - Das Transparent an der Wand auf der 19. Etage des „langen Eugen“ in Bonn suggerierte Klarheit: „Arbeitsplätze sichern, Stahlindustrie umbauen, Konzerne vergesellschaften“. Auch wenn bei den etwa 100 Teilnehmern des grünen Stahlforums - darunter viele Betriebsräte aus den Stahlunternehmen - am Samstag wenig Neigung zur schonungslosen Diskussion bestand, zumindestens dies wurde klar: die Parole wirkt wie eine Nebelbombe, hinter deren Schwaden sich die konzeptionslosen unterschiedlichen Linken trefflich verstecken können. Besonders hoch hielt Eckhard Stratmann, MdB der Grünen und Einlader, die Forderung nach Vergesellschaftung. Er vermißt bei den gegenwärtigen Aktionen der Stahlbelegschaften und der IG–Metall den „autonomen Gestaltungswillen“ und klassifizierte die bisherigen Aktivitäten als „Aktionismus“. Die Vergesellschaftung, auf die der IG Metall–Vorstand nur in „Sonntagsreden“ hinweise, hält Stratmann für „eine tagesaktuelle Notwendigkeit“, während die „reinen Abwehrforderungen“ des Metall– Vorstandes keine Perspektiven böten. Der von der IG Metall geforderte nationale Stahlausschuß sei nichts weiter als die Wiederbelebung der konzertierten Aktion und die widerspreche der im Stahlprogramm der IGM geforderten Vergesellschaftung. Auch in der von der IGM vorgeschlagenen Be schäftigungsgesellschaft mochte Stratmann wenig Gutes erkennen. Theo Stegmann, zweiter Vorsitzender im Betriebsrat von Krupp–Rheinhausen, verteidigte dagegen das Konzept der Beschäftigungsgesellschaft, mit der die IGM die Weiterbeschäftigung der von Kapazitätsanpassungen betroffenen Arbeitnehmer in den Konzernen bis zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen sichern will. Klaus Richter, Betriebsrat bei Mannesmann, schloß sich Stegmann weitgehend an, bezweifelte aber den Durchsetzungswillen im IGM–Vorstand für das eigene Konzept. Richter präsentierte ein von mehreren linken Betriebsräten erarbeitetes Rationalisierungsschutzabkommen, mit dessen Hilfe die Umstrukturierung tarifvertraglich vereinbart werden soll. Inhaltlich deckt sich der Ent wurf weitgehend mit den Zielen der Beschäftigungsgesellschaft. Die Forderung nach Beschäftigungsgesellschaften hält Walter Gruber, Betriebsratsvorsitzender von Peine–Salzgitter, für eine Vertröstungsstrategie. Nach Gruber ist das Akzeptieren der Schrumpfung schon der Anfang allen Übels. Die Forderung nach Ersatzarbeitsplätzen hält Gruber für „irreführend“. Die IG Metall sei nicht bereit, für den Erhalt der Arbeitsplätze wirklich zu kämpfen, sondern beschränke sich darauf, das Problem „sozialfriedlich“ zu lösen. Gleichzeitig kritisierte Gruber die Grünen. Die Forderung nach Vergesellschaftung sei „nicht werbe– und nicht durchsetzungsfähig“. Von Tagesaktualität könne überhaupt nicht die Rede sein. Die IGM werde die Vergesellschaftung allenfalls parlamentarisch, nicht jedoch durch Streik angehen. Charakteristisch für den Tagungsverlauf war, daß niemand Grubers Kapazitätsthese ernsthaft widersprach. Dutzende widersprüchliche Aussagen schwirrten in friedlicher Koexistenz durch den Raum. Einzig Udo Knapp, Mitarbeiter von Waltraud Schoppe, versetzte den Saal in Unruhe. Er warf den Diskutanten vor, sie gaukelten den Stahlarbeitern vor, dauerhaft in der Branche beschäftigt werden zu können. Das sei eine „gespenstische Diskussion“, die die Realität ausblende. Eckhard Stratmann beruhigte den Saal so: Was Udo Knapp gesagt habe, widerspreche der mit Dreiviertel–Mehrheit beschlossenen grünen Stahlpolitik und man möge sich doch bitte nicht damit beschäftigen. Danach kehrte wieder Ruhe ein.

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