Nichts zu wählen, aber ein lustiger Wahlkampf

■ Vergangenen Dienstag wurde in Indonesien ein neues Parlament gewählt / Obwohl der Sieg des Regierungsbündnisses GOLKAR von vorneherein sicher war, wurde der entpolitisierte Wahlkampf mit Begeisterung verfolgt / Radikale Muslims im Vorfeld ausgetrickst / Zahlreiche Tabus beschränken konstruktive Kritik

Erika Jung / Siti Supriati

„He, komm! Kampagne!“ ruft Ibu Hartini ihrer Nachbarin zu, nimmt ihr jüngstes Kind auf den Arm und eilt im Laufschritt zu einer nahegelegenen Schnellstraße, von der donnerndes Motorengeräusch zu vernehmen ist. „Ach, die PDI ist heute dran“, keucht Frau Hartinis Nachbarin noch immer ganz außer Atem und schaut wie gebannt auf den wilden Motorradkorso, der sich ihr nähert: Vorwiegend Jugendliche - jeweils zu zweit auf den Knattereseln - drehen rhythmisch am Gas und erzeugen damit einen weithin hörbaren Sound, der an die Trompeten bundesdeutscher Schlachtenbummler auf dem Weg zum Fußballstadion erinnert. Überhaupt läßt einen der Gedanke an Fußball nicht mehr los, als ich die „Fans“ der „Demokratischen Partei Indonesiens“ in ihren knallroten Hemden, schwarzen, fast dämonisch wirkenden Umhängen, ihren Fahnen und den kessen Stirnbändern vorbeibrausen sehe. Doch es handelt sich nicht um einen Fan–Club von Eintracht Frankfurt, sondern um Wahlkampf in Indonesien. Die alle fünf Jahre stattfindenden Parlamentswahlen sind die einzige legale Form der politischen Betätigung in dem mit 170 Mio. Einwohnern fünftgrößten Staat der Erde. „Wer da mitmacht“, erklärt mir ein Zuschauer an der Schnellstraße stolz, „kriegt das T–Shirt umsonst, und außerdem noch Geld für drei Liter Benzin. Mein Bruder hat schon die Hemden von PPP (der Muslimpartei) und PDI und die gelbe Jacke von GOLKAR.“ Ich lasse mir mein Erstaunen nicht anmerken. „Und was wählt er?“ frage ich höflich. „Wählen? Ach, so, na, das ist doch sein Geheimnis! Aber der Wahlkampf macht Spaß!“ 25 Tage lang, bis zum 17. April einschließlich durften die drei auf den 13.000 Inseln Indonesiens zugelassenen Parteien das Schauspiel auf Motorrädern und buntgeschmückten Wagen abziehen. Für die Regierungspartei GOLKAR mußten vorwiegend Staatsdiener die gelben Jacken anziehen und auf Stimmung machen; den beiden sogenannten Oppositionsparteien liefen häufig arbeitslose Jugendliche zu. Gelegentlich kam es zu Schlägereien zwischen den Anhängern von GOLKAR und den Fans einer der anderen Parteien oder zwischen den wilden Rallye–Fahrern und der Polizei - auch dies der europäischen Fußballszene nicht unähnlich. Doch in nichts erinnerte dieser Wahlkampf an die Vorwahlzeiten früherer Jahre, als religiöse Fanatiker der islamischen PPP sich mit GOLKAR noch Straßenschlachten auf Leben und Tod lieferten. Die Regierung schuf die Parteien Von langer Hand hatte die Regierung vorgesorgt, daß die Vorgeplänkel zum sogenannten „Fest der Demokratie“, in einer Weise ablaufen, die die „Vorherrschaft von GOLKAR (im offiziellen Sprachgebrauch „demokratische Reife“) nicht gefährden konnten. Nach den Wahlen von 1960, den letzten unter Präsident Sukarno, hatten noch 20 Parteien Parlamentssitze erobert. Eine davon war die PKI, die damals größte kommunistische Partei außerhalb der sozialistischen Welt. Doch nach dem Putsch von 1965 wurde sie verboten, Zigtausende ihrer Mitglieder und Sympathisanten ermordet. Die anderen Parteien wurden in zwei Gruppen gepreßt - genau jene beiden Parteien, die sich heute noch offiziell als Opposition auf der politischen Bühne des Landes bewegen dürfen. Die eine ist die PDI, ein Bündnis der christlichen und demokratischen Gruppen, die sich als Repräsentantin nationalistischer Ideale aus der Sukarno–Zeit versteht; die andere eine Fusion der islamischen Gruppierungen - die PPP. „Golongan Karya“ oder GOLKAR ist das Sprachrohr der regierenden Militärs. Es ist weniger eine Partei im westlichen Sinne mit Vertretern, die von der Basis gewählt wurden, sondern ein Zusammenschluß funktionaler Gruppen wie Gewerkschaften oder Berufsverbänden, den sich die Regierung Anfang der siebziger Jahre schuf und mit entsprechenden Manipulationen an die Macht brachte. Die beiden anderen Gruppierungen wurden seither von der Regierung ständig eingeschüchtert und in ihren Aktivi täten so behindert, daß sie sich nie zu eigenständigen Parteien entwickeln konnten und heute ein weitgehend ineffektiver und zerstrittener Haufen sind. Eine Ideologie für alle Zum letzten großen Schlag holte die Regierung 1985 aus, als sie alle politischen Parteien und Nicht–Regierungs–Organisationen zwang, die aus fünf Prinzipien (Glaube an einen Gott, Humanität, nationale Einheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit) bestehende Staatsideologie Pancasila als ihre oberste Leitlinie anzuerkennen. Dies endete faktisch mit dem Monopol GOLKARS als der Partei der „Neuen Ordnung“. Zum er sten Mal, so Präsident Suharto in einer Rede vom August vergangenen Jahres, würden die Wahlen in Indonesien nicht „im Schatten ideologischer Konflikte“ ausgetragen. Ein harter Schlag war die „Pancasilafizierung“ vor allem für die PPP, die Vertreterin gläubiger Muslims, bei der die Staatsideologie nun den Koran als oberste Philosophie ersetzt hat. Die PPP, die 1982 immerhin 94 der 360 zur Wahl stehenden Parlamentssitze erhielt, mußte auch ihr Parteiemblem, die heilige Kaaba von Mekka, gegen den Stern eintauschen, dem Pancasila–Symbol für den Glauben an einen Gott. Unmittelbare Konsequenzen aus diesem Regierungsdiktat zog die Nahdatul Ulama, eine konservative, islamische Organisation, die vor allem in den ländlichen Gebieten Javas ihre Hochburgen hat. Die NU, mit 58 Parlamentssitzen stärkste Gruppe innerhalb der PPP, zog sich aus der Partei und der offiziellen Politik zurück und stellte ihren Anhängern frei, für welche Partei sie sich entscheiden. Obwohl 90 Prozent der Bevölkerung Muslims sind, ist Indonesien kein Zentrum des fundamentalistischen Islams und viele Kyais - religiöse Lehrer und Gelehrte - entschieden sich daraufhin pragmatisch für GOLKAR, die Partei, die am ehesten politischen Einfluß und materielle Besserstellung garantieren kann. Bei der Abstimmung am vergangenen Donnerstag verlor die PPP dann auch prompt 26 ihrer ehedem 94 Parlamentssitze. Der politisch eher farblosen PDI, die 1982 gerade 24 Sitze erhalten hatte, haben die neuen ideologischen Entwicklungen dagegen numerisch eher zum Vorteil gereicht. Ihr wurde zumindest ein wichtiges Identifikationsmerkmal zugestanden: das schwarze Konterfei und die gleichfarbige Unterschrift des ehemaligen Präsidenten Sukarno zierten die roten T–Shirts der Wahlkämpfer und gaben ihnen das erhebende Gefühl, ein wenig im Charisma dieses großen Staatsmannes schwelgen zu dürfen. Auf der Kandidatenliste der PDI standen auch Megawati Sukarno, eine Tochter des Ex– Präsidenten, und deren Ehemann, zu deren Wahlverstaltungen Massenandrang herrscht. Die PDI hat sich mit diesen bekannten Namen nationalistisch motivierte Unterstützung in Ost–Java und jugendliche Wählerstimmen in den großen javanesischen Städten gesichert und die Zahl ihrer Abgeordneten auf rund 37 Sitze erhöht. Damit hat GOLKAR nach wie vor runde 70 Prozent der gewählten 400 Abgeordnetensitze inne. Die hundert restlichen werden ohnehin vom Militär bestimmt. Aber selbst der größte Schauwahlkampf braucht ein paar Themen - auch wenn die Parteien ideologisch keine Unterschiede mehr aufweisen dürften und es den Redner der Oppositionsparteien nicht erlaubt war, die Regierung frontal anzugreifen, um - so heißt es aus Jakarta - die nationale Einheit nicht zu gefährden. So konnte sich ausgerechnet PORKAS, eine Art Fußballtoto zum Wahlkampfschlager entwickeln, auf dessen Abschaffung vor allem die Muslims in hitzigen Reden pochen. Zentrales Thema war auch die wirtschaftliche Entwicklung, die der Regierung zunehmend Schwierigkeiten bereitet. Der rohstoffreiche OPEC–Staat erlebt derzeit eine rasante Talfahrt. Dem Staatsbudget von 1986 lag noch ein durchschnittlicher Rohölpreis von 25 Dollar/Barrel zugrunde. Tatsächlich sank der Erlös für ein Barrel inzwischen auf unter zwölf Dollar. Trotz zum Teil erheblicher Ausfuhrmengen stagnieren die indonesischen Einnahmen aus dem Export von Nicht–Erdölprodukten, und das Defizit in der Leistungsbilanz erhöhte sich entsprechend. Im September 1986 wurde die Landeswährung Rupiah um 45 erhebliche Preissteigerungen bedeutete. Eine weitere Abwertung scheint in der Luft zu liegen. Von seiten der PDI hieß es hierzu, die Ressourcen, auf die Indonesien zurückgreifen könne, seien ausreichend, um mit dem Reichtum des Landes richtig umzugehen. Suhartos Milliarden sind tabu Kein Oppositionspolitiker wagt dagegen, die wirtschaftlichen Verflechtungen der Präsidentenfamilie zu erwähnen, die der Australier David Jenkins vor einem Jahr in einem Artikel im Sidney Herald mit dem Titel „Nach Marcos nun auf die Suharto Milliarden“ anprangerte. Dieses Thema ist in Indonesien tabu, und wer der Präsidentenfamilie trotzdem zu nahe tritt, muß die Konsequenzen tragen, so wie die Tageszeitung Sinar Harapan, die vor einem halben Jahr wegen des umstrittenen Artikels über die Abschaffung der Importmonopole verboten wurde. Die Korruption der kleinen Beamten und der Bürokratismus, mit dem die Indonesier täglich konfrontiert sind, war jedoch erlaubtes Wahlkampftema, und die Oppositionsparteien überschlugen sich in ihren Versprechungen für eine „saubere“ Bürokratie. So bezeichnete ein PPP–Politiker die Seuche der Korruption als wereng kunig (gelbe wereng), in Anlehnung an die wereng cokelat, eine braune Zikade, die sich in äußerst schädlichem Ausmaß auf Indonesiens Reisfeldern zu schaffen macht und die Erfolge der neuen Wunderreissorten erheblich reduziert. Doch egal, ob wereng cokelat oder wereng kunit, die Regierung hat ihr Rezept immer parat und verdammt die Opposition: Wenn bei den kleinen Beamten die Korruption beseitigt wird, funktioniert die Bürokratie besser und dies wiederum hilft, den Reisschädling auszurotten. Hochzeiten sind noch erlaubt Ein kleines Dorf in Java, in dem die braune „wereng“ die Reisbestände bereits erheblich reduziert hat: Die Motorradkorsos von PDI und PPP sind weit weg. Ein Beamter vom Religionsbüro des Landkreises führt im Haus einer angesehenen Familie ein „Penghajian“, eine religiöse Unterweisung durch: „Die wereng ist leider von Gott geschickt; da können wir nichts machen“, predigt er (vielleicht nicht in ganz getreuer Übereinstimmung mit der Politik in Jakarta) und fährt fort: „Wir müssen geistig bereit werden für die Wahl, müssen aufpassen, was wir wählen. Schließlich hat die Regierung für das Wohl unseres Landes gesorgt .... Ihr wißt doch, welche Numnmer GOLKAR auf der Parteienliste hat?“ Mehr als dreiviertel der Bevölkerung Indonesiens lebt auf dem Land in Dörfern wie diesem. Parteienorganisationen auf Dorfebene sind verboten. Hier hat GOLKAR alleine das Sagen, durch seine „funktionalen Gruppen“, durch das Familienwohlfahrtsprogramm für Frauen oder den GOLKAR–Islam des Religionsbüros aus der Kreisstadt. Doch Gleichschaltung der Parteien, Monopolisierung, Verwässerung von Wahlkampfthemen und Erstickung jeglicher Opposition im Keim scheinen den Generälen in Jakarta für die reibungslose Abwicklung ihres „Festes der Demokratie“ noch nicht zu genügen. „Wir haben drei potentielle Feinde“, betont General Mudani, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, „die Überreste der verbotenen PKI, religiöse Fanatiker und politische Liberale, die auf individuellen und Menschenrechten bestehen und auf anderen demokratischen Werten nach westlichem Vorbild.“ All dies sei nicht im Geiste der Pancasila und deshalb ein Grund, die Zügel so streng wie möglich anzuziehen. So hängte die Regierung der Presse einen Maulkorb um und verbot alle öffentlichen Versammlungen. Dazu gehört auch jegliche Art von Dorfversammlung, auf denen gemäß des traditionellen „musyawarah“– Prinzips Beschlüsse über dörfliche Angelegenheiten gefällt werden. Nur eine Art von „Massenveranstaltung“ war vor den Wahlen auf dem Land noch erlaubt: Hochzeiten - garantiert unpolitisch. Schon Monate vor dem Urnengang schränkten Nicht–Regierungs–Institutionen ihre Programme und Studenten ihre Aktivitäten an der Uni ein. Wissenschaftliche Dorf–Untersuchungen wurden auf die Zeit nach der Wahl verschoben. Ausländer unterlagen einer besonders scharfen Kontrolle - und der Bürgermeister der Stadt Ambon auf den Südmolukken riet seinen vorwiegend christlichen Untertanen vom Verkauf und Konsum von Alkohol ab, um unvorhergesehene Störfaktoren zu vermeiden. Wo es in Deutschland eher die Politiker sind, die ihre Arbeit in die Zeit „vor“ und „nach“ der Wahl untergliedern, ist es in Indonesien inzwischen die Bevölkerung selbst, die alles mit politischem Beigeschmack lieber auf die Zeit nach der Wahl verschieben möchte. Doch dann ruhen die Aktivitäten im Lande sowieso: Dann nämlich beginnt der Fastenmonat Ramadan.