„Kein Schaufenster ohne Dein Heiliges Antlitz“

■ Willkommensbrief an unseren Heiligen Vater, Johannes Paul II. aus Rom

Grüß Gott, Heiliger Vater, sieht gut aus für Samstag in 4178 Kevelaer, sehr gut sogar. Die Menschen dort am Niederrhein vergöttern Dich, sie wollen Dir Deine 145 Minuten so himmlisch schön wie möglich machen. Kleinigkeiten zeigen ja die wahre Liebe: Hecken haben sie verpflanzt, damit Du besser sehen kannst. Wege haben sie geebnet, damit Du besser fahren kannst in deinem Papamobil. Sogar an Regen haben sie gedacht und für die Drainage eine Rüttelegge gekauft, damit Du besser beten kannst auf dem Stadionrasen und keine nassen Füße bekommst. Alle denken nur an den Einen: an Dich. Kein Schaufenster ohne Dein Hl. Antlitz „Willkommen in Kevelaer“; der Buchhändler will bis zum Wochenende das Werbeplakat für das antichristliche Hetzer– Ketzer–Werk „Der Name der Rose“ entfernen: Sogar die Pizzeria lobt „Bestes aus Italien“; ein Juwelier hat heilige Motive neben irdischen Klunkern in die Auslagen gerückt; das Möbelgeschäft eine Holzmadonna auf die Holzkommode; und auf dem Fußabtreter des Friseurs steht „Salve“. Ja, die Kevelaerer sind „ein besonderer Menschenschlag“, wie die Stadtverwaltung weiß, „sie haben schon als Wickelkinder Glockengeläut und Prozessionsgesang im Ohr gehabt“. 100.000 Gläubige wollen anrücken. Selbst die grüne Ratsfraktion ist mit sich ins Konklave gegangen und stellt, obwohl alle drei Mitglieder erklärtermaßen gottlos sind, „für Rucksackchristen“ in ihrem Büro Schlafplätze zur Verfügung. Pro Papst–Minute zahlt die Stadt knapp 2.000 Mark (das sind 1,4 Millionen Lire). Du wirst Dich wohlfühlen in Kathovelaer, und im Herzen frohlocken. Das Dörflein gehört ja auch mit über einer halben Million Prozessionsteilnehmern pro Jahr zur Top Ten der weltweiten Wallfahrtstätten. Vor 400 Jahren hatte der Mann, dessen Stellvertreter Du ja bist, dem Wandersmanne Hendrick Busman ins Ohr geflüstert, er müsse unbedingt der Heiligen Jungfrau ein Kapelleken bauen. Und seitdem steht da die „Gnadenkapelle“ von Maria, „der Tröste rin der Betrübten in Kevelaer und den fünf Kontinenten“. Ich sage Dir: wunderschön, herzallerliebst, ein wohnzimmergroßes Sechseck, überladen mit edel Glitzerndem und mit Betern. Ein Schlitzlein unter Mariens Heiligem Gnadenbild bittet um Gaben, „z.Hd. des Pfarrers“ (alle Währungen willkommen). Ist übrigens ein netter Mann, der Herr Dechant. „Richard der Schöne“ heißt er, weil er immer so braungebrannt daherkommt. Anders der evangelische Kollege, der hat schon im „Wort am Sonntag“, das Du jetzt so schön zelebriert hast, leibhaftig gegen die Himmelsflieger der US–Army im Hunsrück dahergeredet. Naja. Nebenan, in der „Kerzenkapelle“, liegt eine Hl. Ringbuchkladde, da schreiben die Wallfahrer immer ihre Fürbitten rein: Hilf, Heilige Mutter, beim Abitur, bei der Operation, beim Examen, bei der gefährlichen Reise von Sohnemann nach Ungarn (oder Polen), „Rette die Ehe von Andrea und Falk“, oder „Hilf mir, mit meiner Schwiegermutter fertig zu werden“. Vielleicht kannst Du der überarbeiteten Hl. Gottesgebärerin mal etwas zur Hand gehen, weil ihre Wunderkraft gegenwärtig mit Vollkornteig beschäftigt ist. Ja, richtig, die schickt nämlich täglich hundertemal dem Bäckermeister Vloet himmlische Hefe für sein „Wunderbrot von Kevelaer“, mit dem er die von Übergewicht Beladenen des Ortes erfolgreich schlackt. 11.638 der 13.838 Einheimischen sind Deines Glaubens. Zwei Dutzend Devotionalienläden (“christliche und profane Kunst“) preisen den Herrn und Vertreter mit Kerzen, Kreuzen, Krippen, mit mildem Marienlächeln in allen denkbaren Formen, mit Rosenkränzen, Putten, Christopheri und Ikoni. Doch völlig heil, das muß ich auch berichten, ist auch das Hl. Kevelaer nicht mehr. Einer schrieb in die Mutter–Kladde: „Liebe Maria, laß mich in Frieden!“ Sicher einer der 600 (!) Religionslosen der Stadt. Und noch was: Der Süßwarenmaterialist Reinhardt (Bekenntnis unbekannt) verkauft seit einem Jahr den, ja wirklich, „Papst–Lolly“, einen Dauerlutscher mit Deinem Hl. Bildnis, exklusiv in Deutschland. Über 7.000 Seelen hat er damit schon via Magen vergiftet, auch Nonnen, Priester und Theologen, beteuert der Inhaber. Eigentlich wollte er, hat er mir gebeichtet, sogar einen unheiligen „Relief–Lutscher“ zum Direktschleck feilbieten, doch eine solche Form wollte ihm kein Hersteller gießen. Der Bischof hat geschimpft, und wie, und die Stadt hat diesem Rein(!)–hardt(!) gleich einen 8.000–Mark– Auftrag für die Hl. St.–Martins–Tüten entzogen. Zum Glück führet Dein Weg am Samstag zum „Weihegebet an die Gottesmutter“ bei ihm nicht vorbei.Dein irdischer Sohn Bernd Müllender Foto: dito