: Palastintrige und Königsmord - Lieblingssport der Italiener?
■ Die vermeintliche Instabilität italienischer Regierungen täuscht / Es sind immer wieder die gleichen Köpfe, die in veränderten Konstellationen die Regierung stellen
In Italiens Via della Mercede 55, dem Sitz der Auslandespresse, schlagen ein Kollege aus der CSSR und einer aus Canada einander prustend auf die Schultern - sie waren gerade mit denselben Worten aufeinander zugekommen: „Kannst du mir erklären...“ Es ist die derzeit meistgebrauchte Formel der Politberichterstatter - und nicht nur der Ausländer. Die „colpi di scena“, die Theatercoups, wechseln einander noch schneller ab als die vorbeisausenden Eskortefahrzeuge der Politiker in der nahen Via del Corso. Hochkonjunktur in Gerüchten, Hochkonjunktur an Erklärungsbedarf. Fast schon merkwürdig, dieser Bedarf; in Italien war etwas außer Mode gekommen, an das früher alle Welt gewohnt war: die - erfolgreiche - Palastintrige und der - zumindest rituelle - Königsmord. Hatten die Nachkriegsregierungen - 1944 bis 1983 - bis dahin eine durchschnittliche Dauer von nur zehn Monaten, so hatte Craxi die erstaunten Zeitgenossen mit fast vier Jahren ununterbrochener Regierungszeit geradezu eingeschläfert. Die Explosion der Entwicklung hat viele „kalt“ erwischt. So klammern sich die meisten an der Vorstellung fest, die Volksabstimmungen über die Kernkraft hätten die Koalition gespalten. Doch das ist falsch, die Referenden sind nur das „Spielmaterial“ der Parteien: Erst spät hat sich Craxis PSI an den von kleinen Parteien, Grünen und Umweltschutzverbänden eingebrachten Antrag angehängt, die DC war damals noch weitgehend unentscheiden. Und es ist, allem derzeitigen Kampfgetümmel gerade um den „Ausstieg“ zum Trotz, noch keineswegs entschieden, ob Craxi nach der Wahl, eventuell wieder Ministerpräsident, nicht schnell wieder Kernkraftfreund wird. Ein Verhandlungsgegenstand ist das „nucleare“ allemal. Das Problem für Ausländer besteht meist darin, daß sie Italien mit den Gewohnheiten ihrer eigenen Länder messen und damit stets schief liegen. So ist für den Bundesdeutschen kaum nachvollziehbar, mit welcher Selbstverständlichkeit sich politische Allianzen wandeln: Jeder kann hier mit jedem - und ihn gleich danach in Grund und Boden verdammen. Der Zusammenschluß vieler Kleiner zu effektiven Machtinstrumenten macht ebenso wenig Mühe wie das unmittelbare, abgrundtiefe Mißtrauen gegen jeden, der zu mächtig wird. So zerschneidet niemand die Fäden zum Gegner - bindet sich aber auch nicht so fest an Alliierte, daß er später Schwierigkeiten beim Zerschneiden des Tischtuchs hätte. Selbst die Faschisten haben nicht wie die Nazis einen Vernichtungsfeldzug gegen die Opposition betrieben - sie haben sie überwiegend auf die Inseln oder in Dörfer verbannt: Man weiß nie, ob man sie nicht noch brauchen kann. Auch die Kommunisten, und schon gar nicht die anderen Parteien, haben keinerlei Berührungsängste - wenn notwendig, wird auch mit den Neofaschisten gekungelt, die in den frühen 60er Jahren schon mal die Regierungsmehrheit mittragen oder bei der Staatspräsidentenwahl eine Rolle spielen durften. Solche Angstfreiheit gilt allüberall. Undenkbar wäre zum Beispiel, daß irgendein Politiker politischen Gegnern wie den Grünen Anerkennung oder gar den Handschlag verweigern würde: Wer Wählerstimmen bekommt, ist Teil der Politik und damit automatisch auch koalitionsfähig. Diese Unstetigkeit interpretiert das Ausland mehrheitlich als Instabilität. Doch die ist nur scheinbar. So verfälscht die Zahl von 44 Nachkriegsregierungen die Verhältnisse ganz gewaltig - geht man von der Zahl der dabei „aktiven“ Politiker aus, so erscheint das vermeintliche Chaos in einem ganz anderen Licht: De Gasperi, erster Regierungschef der Nachkriegszeit, stand nacheinander neun Regierungen vor, Aldo Moro sechs, Andreotti und Fanfani fünf. Und gar die Zahl der Minister! Zieht man einmal die in sogenannten „Baderegierungen“ (Übergangskabinette, wenn die Krise gerade vor den Sommerferien ausbrach) ab, so kommt man bei der Gesamtzahl der jemals seit 1947 aktiv gewesenen Regierungsmitglieder auf eine Zahl, die nur um 15 Prozent höher liegt als im gleichen Zeitraum in der Bundesrepublik. Tatsächlich überstehen die meisten Ressortchefs - zumindest in den wichtigsten Bereichen - Regierungsneubildungen viel besser als die Ministerpräsidenten selbst. Zwischen 1978 und 1983 zum Beispiel gab es zwar sieben neue Kabinette - aber der Innenminister blieb derselbe. Programmatische Veränderungen brachten die einander abwechselnden Regierungen daher kaum. Das ist auch nach den nun anstehenden Neuwahlen nicht zu erwarten. Voraussetzung für eine tatsächliche Alternative zur bürg fischen will, steht diese Option für ihn nicht zur Debatte und würde wohl auch rein numerisch nicht reichen. Die Verschiebungsmöglichkeiten innerhalb des bisherigen Regierungslagers aber sind begrenzt. Kaum jemand in Italien rechnet damit, daß sich die Hoffnung der DC, entscheidend zuzulegen und damit Craxi in die Knie zwingen zu können, wirklich erfüllt. Nach 40 Jahren aber in die Opposition zu gehen, ist für die DC schlicht undenkbar. Das gesamte Klientelsystem der Partei kann nur funktionieren, solange sie etwas zu verteilen hat. So wird am Ende doch wieder eine Regierung herauskommen, die der letzten Bürgerkoalition im wesentlichen gleicht. Diese Stabilität innerhalb der Instabilität garantiert eben jenes Minimum an Kontinuität, mit dem das Land gut leben kann - das Volk sieht ein Zuviel an „governo“ sowieso als bösen Eingriff in die muntere Freiheit an; und auch die Wirtschaftsmanager sind einverstanden: Je weniger sich der Staat um sie kümmert, umso besser für den Profit. Regierungsneubildungen sind hier keine „Wende“. Man sieht die alten Gesichter ja immer wieder.
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