: Zivildienst rechtswidrig?
■ Ravensburger Landgericht hält das Wehrpflichtgesetz für verfassungswidrig Verfassungsgericht angerufen / ZD als „kleines Rädchen der Kriegsmaschinerie“
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Zu einer für Zivildienstleistende und Totalverweigerer bahnbrechenden Entscheidung ist jetzt das Ravensburger Landgericht gekommen. Im Strafverfahren gegen den 21jährigen Totalverweigerer Christoph Kopp, der sich wegen fortgesetzter Befehlsverweigerung in der Bundeswehr vor Gericht verantworten mußte, kamen die Richter zu der Auffassung, daß der Zivildienst bisher vom Gesetzgeber als Teil der Wehrpflicht definiert wird und Zivildienstleistende daher nicht ausschließen könnten, daß sie „als kleines Rädchen in einer großen Kriegsmaschinerie an der Tötung von Menschen mitwirken müßten“. Das schaffe jedoch für überzeugte Kriegsdienstverweigerer nicht nur „unnötige und sinnlose psychologische Erschwernisse“, sondern „echte Gewissenskonflikte hinsichtlich der Erfüllung der Zivildienstpflicht“, so die Richter in ihrer schriftlichen Begründung. Sie setzten das Verfahren gegen Kopp aus und leiteten es dem Bundesverfassungsgericht zur grundsätzlichen Beurteilung weiter. Die 23seitige Urteilsbe gründung der Richter liest sich fast wie ein Plädoyer für Totalverweigerer. Detailliert führen die Juristen darin aus, daß der Gesetzgeber und zahlreiche Rechtskommentatoren den Zivildienst nicht als bloßen sozialen Dienst an der Gemeinschaft definieren, sondern ihn der allgemeinen Wehrpflicht unterordnen. Dafür sprächen zusätzlich ähnliche Einberufungsmethoden und Pflichten von Zivildienstleistenden und Soldaten wie z.B. die Meldepflicht oder die Pflicht, sich ärztlich untersuchen zu lassen. „Besonders deutlich“, so die Richter weiter, „werden die Auswirkungen einer Eingliederung des Zivildienstes in die allgemeine Wehrpflicht bei den Möglichkeiten der Verwendung von Kriegsdienstverweigerern. Dabei kommt es nicht darauf an, wie Kriegsdienstverweigerer derzeit tatsächlich verwendet werden, sondern wie sie in Erfüllung ihrer Wehrpflicht eingesetzt werden können.“ Zu dieser Erfüllung gehören z.B. die Heranziehung zu Luft– und Katastrophenschutz und im Verteidigungsfall oder der Einsatz in einem radioaktiv verseuchten Gelände, in dem Blindgänger liegen. Als einen Beleg dafür, daß Kriegsgegner gegen ihren Willen zu Diensten im militärischen Bereich herangezogen werden, führen die Richter die Verpflichtung von Zivildienstleistenden zur NATO–Übung Wintex/Cimex im Frühjahr 87 an. In ihrem Urteil schlagen die Richter einen anderen, von der Wehrpflicht völlig unabhängigen Ersatzdienst vor. So finden die Richter fraglich, ob § 3 des Wehrpflichtgesetzes, gegen den Christoph Kopp mit seiner Befehlsverweigerung verstoßen haben soll und der eine Unterordnung des Zivildienstes unter die allgemeine Wehrpflicht festschreibt, verfassungskonform ist. Die Bundesverfassungsrichter werden diesen Paragraphen jetzt zu prüfen haben. (AZ 2Ns113/86 Jug.)
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