: Späte Ehrung für Wallenberg in Ungarn
■ Der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg rettete 1944/45 in Budapest noch Tausenden Juden das Leben / Danach verschwand er in sowjetischen Lagern / Erst mit Gorbatschow hat die ungarische Führung grünes Licht für den Bau eines Denkmals erhalten
Aus Budapest Annette Buche
Wenn man so will, ist es die erste Gorbatschow–Folge zum Anfassen in einem osteuropäischen Land: In der ungarischen Hauptstadt wird am heutigen Samstag ein Denkmal für den schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg eingeweiht, der Retter zahl loser Budapester Juden während der NS–Zeit war. Später war Wallenberg Insasse mehrerer sowjetischer Gefängnisse und Lager, in denen er irgendwann in den letzten 40 Jahren ums Leben kam. Kurz nach Kriegsende hatte die ungarische Führung schon einmal einen Bildhauer damit beauftragt, ein Denkmal für Wallenberg zu schaffen. „Der bronzene Held mit der gebändigten Schlange“ verschwand jedoch unter mysteriösen Umständen. Das neue Denkmal greift das Motiv des alten auf: Es zeigt einen bronzenen Wallenberg, der aufrecht durch die zerbrochenen Hälften des alten Denkmals hindurch schreitet. Es stammt von dem Bildhauer Imre Vargha und steht an jener Budapester Straße, die den Namen der Roten Armee trägt. Raoul Wallenberg war in Budapest schon zu Lebzeiten eine Legende. Im Juli 1944 betritt er zum ersten Mal die ungarische Hauptstadt, im Rucksack eine Liste mit den Namen Budapester Juden, die er vor der Vernichtung der vier Monate zuvor in Ungarn einmarschierten SS retten will. Er kommt in eine Stadt, in der noch annähernd 300.000 Juden leben, ungarische und Flüchtlinge aus Polen, der Slowakei, Deutschland und anderen besetzten Gebieten. Diese hatten hier trotz diskriminierender „Judengesetze“ und einem Zwangsarbeitsdienst für jüdische Männer Zuflucht gesucht, weil die ungarische Regierung sich lange Zeit einer Deportation der Juden widersetzte. Jetzt hat jedoch Adolf Eichmann mit seinem Sonderkommando in einem Budapester Hotel Stellung bezogen und die planmäßige Judenvernichtung läuft auch in Ungarn an - zuerst in der Provinz, dann soll Budapest an die Reihe kommen. Das nahe Ende der Hitler–Herrschaft vor Augen, beginnen fieberhafte Rettungsaktivitäten. Einflußreiche Juden gründen einen Rettungsrat, die „Waadah“, und treten in Verhandlungen mit jenen, die sie umbringen wollen. 10.000 Lastwagen für eine Million Juden oder zwei Millionen Dollar für 100.000 Budapester Juden - darüber feilschen hohe SS– Offiziere mit den Todgeweihten. Und Wallenbergs Mission ist es, jüdischen Bürgern sogenannte Schutzpässe auszustellen, die den Inhaber als jemanden ausweist, der unter dem Schutz des schwedischen Königsreiches und weiterer sieben Staaaten steht. Bis heute kursieren viele Legenden unter den Überlebenden, wie er in letzter Minute an den Deportationszügen auftauchte und mit einem simplen Trick die SS– Bewacher irreführte: In ungarischer Sprache forderte er die Gefangenen zum Vorzeigen der „Wallenberg–Pässe“ auf, und wer diesen nicht besäße, solle seinen ungarischen Ausweis vorlegen. Diesen erklärte er kurzerhand zu einem provisorischen schwedischen Papier, darauf bauend, daß ein deutscher Feldwebel das schwedische vom ungarischen nicht unterscheiden kann. Auf diese Weise rette Wallenberg rund 10.000 Budapester Juden das Leben. Dann marschieren sowjetische Truppen in Budapest ein und Wallenberg nimmt Kontakt zu ihnen auf. Auf dem Weg zu den Verhandlungen sagt sein Begleiter zu ihm, daß die Juden nun endlich seiner Hilfe nicht mehr bedürften. Wallenberg antwortet, daß er wohl nun ihre Hilfe benötigen werde. Am 17. Januar 1945 wird er verhaftet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen