„In Sri Lanka herrscht das Gesetz des Dschungels“

■ Erstmals sicherte die Regierung des südindischen Bundesstaates Tamil Nadu den tamilischen Guerillagruppen auf Sri Lanka Unterstützung zu / Ohrfeige für Colombos Bemühungen, tamilischen Organisationen eine Beteiligung an den letzten Bombenanschlägen nachzuweisen / Durch wen die Knete verteilt wird, ist noch unklar

Aus Madras Biggi Wolff

„In Ramachandrans Vokabular bedeuten Nahrungsmittel Waffen. Die Vorgänge in Tamil Nadu sind ein klares Zeichen, daß Indien einen unabhängigen Tamilenstaat fördert. Was würde denn die indische Regierung davon halten, wenn Pakistan sogenannte Lebensmittel, Kleidung und Medikamente in den indischen Punjab schicken würde, um den Befreiungskampf für Khalistan zu unterstützen.“ Mit solch geharnischten Worten geißelte der srilankanische Präsident Jayewardene am Dienstag letzter Woche eine bis dato einmalige Geste des südindischen Bundesstaates Tamil Nadu. Mitten in die Offensive singhalesischer Soldaten gegen die tamilische Guerilla auf der nördlichen Jaffna–Halbinsel war nämlich der Ministerpräsident des Bundesstaates, M.G. Ramachandran, genannt MGR, mit der Ankündigung geplatzt, Tamil Nadu werde den Tamilen in Sri Lanka rund sieben Millionen DM für „Kleidung, Lebensmittel, Medikamente und anderes“ zur Verfügung stellen. Die Regierung wolle mit dieser Geste zeigen, daß die Bevölkerung Tamil Nadus „zu allem bereit sei, um den tamilischen Brüdern im Nachbarland zu helfen, die dem Völkermord durch das faschistische lankanische Regime unterworfen sind“. Ein Sprecher führte später aus, die Gelder sollten an „verschiedene Gruppen und Hilfsorganisationen“ gegeben werden, wobei die Liberation Tigers of Tamil Eelam LTTE und die Eelam Revolutionary Organisation EROS namentlich als führend im Widerstand und „die einzigen im Feld“ aufgeführt wurden. Auf die Vorwürfe Colombos, daß sich die „Terroristen frei auf indischem Boden bewegen könnten“, erwiderte MGR unbeirrt: „Schließlich können wir nicht jeden ins Gefängnis werfen. Im übrigen halten wir uns an das Gesetz, während in Sri Lanka das Gesetz des Dschungels herrscht.“ Der Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen auf Sri Lanka habe große geopolitische Bedeutung und berühre indische Sicherheitsinteressen. Tamil Nadu, wo inzwischen neben den einheimischen Tamilen mehrere hunderttausend Flüchtlinge aus Sri Lanka leben, sei quasi zu einem Frontstaat geworden. Was will New Delhi? Mit diesen Äußerungen hat sich die Regierung eines indischen Bundesstaates zum ersten Mal öffentlich mit der tamilischen Guerilla identifiziert und zwar - was noch wichtiger ist - wahrscheinlich in Abstimmung mit der Zentralregierung in Delhi. Zwar dementiert Rajiv Gandhi öffentlich stets jedwede Unterstützung für die Guerillagruppen und gibt sich als moderater Vermittler, doch die in Tamil Nadu regierende tamilische Regionalpartei AIADMK ist eine enge Verbündete der in Delhi herrschenden Congress Partei und Beobachter schließen aus den diplomatischen Aktivitäten der letzten Tage, daß Gandhi von Ramachandran im voraus informiert wurde. Am vergangenen Samstag erklärte das Außenministerium gar offiziell, die Hilfsaktionen seien „eine logische Antwort“ auf den Konflikt im Nachbarland. Alle im Parlament in Madras vertretenen Parteien begrüßten die Maßnahmen demonstrativ und die Opposition forderte darüber hinaus gar den Abbruch der ökonomischen und politischen Beziehungen zum Nachbarland. Skepsis in Madras Im Gegensatz zu den Solidaritätsbezeugungen auf höchster Ebene wurden die Hilfszusagen von der Bevölkerung in Madras durchaus skeptisch bewertet. Zwar stieß die Entscheidung kaum je auf grundsätzliche Bedenken, doch man mißtraut den tiefen Taschen der Politiker. „Wer kann das überprüfen?“, fragte zum Beispiel ein Regierungsbeamter. „Wenn die Vergabe nicht von einer internationalen Hilfsorganisation überwacht wird, ist das völlig witzlos.“ Auch der Besitzer meiner Pension stöhnte auf, als ich ihn auf das Tagesthema der indischen Presse ansprach: „Die Geschichte hat zwei Seiten. Wir sollen glauben, daß die Regierung etwas für die Brüder und Schwestern in Sri Lanka tut, aber es ist auch eine gute Gelegenheit für die Politiker, sich ein paar schöne Sümmchen einzuverleiben. Gott sei dank haben sie nur sieben Millionen be willigt und nicht das Hundertfache. So hält sich der Betrug noch in Grenzen.“ Ein junger Madrasi hat zwar nichts dagegen, daß Waffen für die Guerilla gekauft werden, doch den Konflikt, meint er, „kann man damit genausowenig lösen wie den mit den Sikhs im nordwestindischen Punjab“. Diplomatischer Erfolg für die Guerilla Für die tamilischen Guerillaorganisationen aber ist die Hilfszusage „ein Wendepunkt in der Geschichte unseres Kampfes“ (so die Presseerklärung der LTTE–Führung). Zwar betont man bei EROS mehr die politische Bedeutung der Entscheidung und windet sich bei Fragen nach der Verwendung der Gelder, zwar ist man bei der von der LTTE mehrfach angegriffenen im Osten Sri Lankas einfluß reichen EPRLF verschnupft, daß die Gruppe nicht auf der Liste der Hilfsempfänger steht, doch ein diplomatischer Erfolg sind die sieben Millionen allemal. Ist sie doch eine Ohrfeige für die Behauptungen der lankanischen Regierung, daß LTTE und EROS für die blutigen Bombenanschläge der letzten Wochen auf zivile Ziele verantwortlich seien. In der Tat ist Colombo bis heute für diese Version die Beweise schuldig geblieben, und inzwischen vermutet sogar die keinerlei tamilenfreundlicher Neigungen verdächtige Oppositionspartei SLFP hinter dem Anschlag eher israelische Militärberater (von denen in Sri Lanka etwa 200 tätig sind) als tamilische Guerillas. 600 buddhistische Mönche mißachteten in der letzten Woche die für Colombo gültige Ausgangssperre und demonstrierten vor der Residenz des Präsidenten. Sowohl Klerus als auch SLFP forderten den Rücktritt der Regierung, weil sie unfähig sei, das „Leben des Volkes zu schützen und mit dem Terrorismus Schluß zu machen“. Weiterhin ist auch eine Beteiligung der radikalsinghalesischen Partei JVP an den Anschlägen im Gespräch. Die JVP machte in den letzten Wochen durch Anschläge auf Armeelager im Süden von sich reden, 2.000 ihrer Anhänger sollen angeblich die Streitkräfte unterwandert haben, um sich mit Waffen einzudecken. Flächenbombardements im Norden Doch wer auch immer hinter dem Bombenanschlägen steckt, sie haben der Regierung einen willkommenen Anlaß geboten, die fast ausschließlich von Tamilen bewohnte Jaffna–Halbinsel flächendeckend zu bombardieren. Nach Meldungen des staatlichen Medienzentrums haben die Streitkräfte 400 tamilische Kämpfer getötet. Tamilische Organisationen sprechen von weniger Toten, die jedoch überwiegend aus der Zivilbevölkerung stammen sollen. Entgegen der offiziellen Version halten Meldungen in Jaffna zufolge die Bombardements nach wie vor an und der lankanische Minister für Agrarentwicklung und Rechtsaußen Dissanayake hat sie inzwischen auch offiziell damit gerechtfertigt, daß „in Jaffna all jene, die Verbindungen zu Terroristen haben, nicht verhaftet, sondern aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollen“. Ihre volle Bedeutung erhält die Bemerkung im Hinblick auf die Tatsache, daß die Tigers sich bemühen, aus jeder tamilischen Familie mindestens eine Person für den Kampf zu rekrutieren.