Kaufrausch zum Nulltarif

22 Uhr, Freitag nacht, Real in der Kreuzberger Pücklerstraße/ Ecke Wrangelstraße: Die schwarz Maskierten, die die Frontscheibe eingeschlagen haben, sind abgezogen. Backpulver und Kassenzettelrollen sind wie Konfetti und Luftschlangen über die Straßenkreuzung verstreut. Volksfeststimmung. Jenseits der Mauer donnert das Ost–Feuerwerk zur Feier des Tags der Arbeit. Di Glassplitter ins Innere des La dens, dann auch Muttis im Faltenrock und türkische Familienväter. Von Empörung über die Verwüstung keine Spur. Überglücklich klettert die 50jährige Nachbarin mit zwei Becks–Bier–Sixpacks durch das offene Fenster, Tüten mit Gummibärchen gehen von Hand zu Hand. Schnaps, Zigaretten, Kaffee und Bier sind als erstes weg. Angst vor der Polizei braucht niemand zu haben - „die sind mit was anderem beschäftigt“, weiß der Prolli aus dem Nachbarhaus, und außerdem passen die, die draußen stehen, auf. Bei Getränke–Hoffmann in der Manteuffelstraße schleppen ältere Männer die Limokästen weg, als die Schnapsregale schon leer sind. Bei Bolle werden Einkaufswagen voller Fleischkeulen, Lebensmittel und Alkohol ins Freie und an den brennenden Barrikaden vorbei nach Hause geschoben. Später kommen auch Einzelhandelsgeschäfte dran. Nach Mitternacht schlägt eine Gruppe junger Ausländer die Scheibe des Miederwarenladens an der Oranienstraße ein: Innerhalb von zehn Minuten sind die spießigen Oma–Blusen, die Unterhosen und Büstenhalter aus den Regalen verschwunden. Mit praktischem Sinn gehen auch die türkischen Bewohner vor. Als bei einem Sanitärgeschäft die Scheiben klirren, beladen sie sich mit Armaturen und Waschbecken. Myriam Moderow