I N T E R V I E W „Mit der Kohle–Studie ein Tabu gebrochen“

■ Reinhard Schultz, ehemals stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos, gehört heute dem Bezirksvorstand „Westliches Westfalen“ der SPD an und ist Chef des Planungsbüros „Deutsche Projekt Union“ in Essen. Er ist Autor einer Studie über die öffentlichen Kosten der bundesdeutschen Kohlepolitik.

taz: Herr Schultz, Sie haben in einem Gutachten einen drastischen Abbau der deutschen Kohleförderung gefordert und damit nicht nur in der SPD für Wirbel gesorgt. Man wirft Ihnen vor, der sozialdemokratischen Kohlepolitik in den Rücken gefallen zu sein. Reinhard Schultz: Als ich die Studie erstellt habe, hat mich überhaupt nicht interessiert, wie die SPD, der Bergbau oder die Gewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) darauf reagieren würde, sondern ich wollte wissen: Was kostet eigentlich die Steinkohle. Die SPD ist - verständlicherweise - durch diese Studie beunruhigt, weil das augenblickliche Dogma der sozialdemokratischen Energiepolitik, nämlich im wesentlichen auf die Steinkohle zu bauen, langfristig infrage gestellt wird. Sie haben errechnet, daß die Kohle in den letzten zehn Jahren dem Bürger etwa 362 Mrd. Mark gekostet hat, 1986 allein 38,9 Mrd. DM. Was sind die energiepolitischen Alternativen? Vom Ziel her gilt, daß neben dem verstärkten Einsatz von regenerativen Energiequellen als Primärenergieträger eigentlich nur kostengünstige Importkohle infrage kommt, weil sie in deutschen Kraft werken gefahren werden kann, wesentlich preisgünstiger ist und auf Dauer auch aus solchen Ländern bezogen werden kann, die im Augenblick noch nicht in der Lage sind, ihre eigenen Kohlevorräte aufzuschließen. Diese Umstellung der Energiepolitik - unsere Studie beruht auf der Grundlage eines Ausstiegs aus der Kernenergie - kann sich natürlich nur behutsam und nur mit starker sozialer und strukturpolitischer Abfederung vollziehen. Man muß zukünftig verhindern, daß immense öffentliche Mittel in eine absolut unwirtschaftliche Branche auf Dauer fehlgeleitet werden. Stattdessen müssen die Mittel gezielt zur Umstrukturierung der Regionen, wie etwa der Emscher–Zone, genutzt werden. Ohne den Kohlebergbau, so die Subventionsbefürworter, droht die Verödung ganzer Regionen. Im Endeffekt sei das teurer als der Subventionsabbau. Natürlich wird die sozialpolitische Abfederung eine Menge Geld kosten. Es geht uns nicht darum nachzuweisen, daß durch Abbau der Subventionen über Nacht öffentlicher Reichtum herzustellen ist, sondern wir wollen endlich Licht am Ende des Tunnels sehen. Wir müssen feststellen, daß in den aktiven Bergbaustädten - trotz der Tatsache, daß kein Bergmann arbeits los geworden ist, sondern über die Anpassung früher in Pension gehen konnte - die Arbeitslosigkeit am höchsten ist. Diesen Trend müssen wir umdrehen. Das wird vielleicht an Subventionen genau soviel kosten wie heute die Kohlesubvention, aber es ist ein zukunftsorientierter Weg. Der Pressesprecher der IGBE, Horst Niggemeier, zugleich auch SPD–MdB, hat Ihnen die „Meuchelei“ der Kohlevorrang– Politik vorgeworfen. Ist sie notwendig? Er hat ja auch noch vom „Dolchstoß“ gesprochen. Das alles sind aus der Weimarer Zeit entliehene Begriffe, die eigentlich nicht zum Sprachgebrauch eines Gewerkschafters und Sozialdemokraten gehören sollten. Es geht darum, daß wir mit der Studie ein Tabu gebrochen haben. Das muß sein, denn wir können doch nicht weitere Jahrzehnte blind hinter der Kohle herrennen, wenn es andere Chancen gibt. Ich halte diese Kohlepolitik auf Dauer nicht für finanzierbar. Wird das in den nächsten 20 Jahren so weiter gemacht, bedeutet das den unweigerlichen Zusammenbruch von Teilregionen des Ruhrgebietes, insbesondere der öffentlichen Kassen. Ein paar Tage vor Bekanntgabe Ihrer Studie hat die Veröffentlichung eines Kohle–Gutachtens des Biedenkopf–Instituts zu einem Sturm der Entrüstung geführt. Der Autor Meinhard Miegel empfiehlt, den Bergbau in den nächsten zehn bis 15 Jahren auf etwa ein Fünftel herunterzufahren. Wo unterscheiden sich die beiden Studien? Im Ergebnis liegen wir zunächst relativ nahe beieinander, aber ich halte sein Rezept, nur unter Marktgesichtspunkten da ranzugehen, für falsch. Zudem sind seine Abbauforderungen weit überzogen. Miegel sieht die Alternative bei der Kernenergie, da unterscheiden wir uns diametral. Mehr als die Hälfte wird doch auch nach Ihren Vorstellungen nicht übrig bleiben? Ich gehe von einer Reduktion auf 40 Mio. Jahrestonnen in den nächsten 20 Jahren aus. Das wäre etwas mehr als die Hälfte. Das letzte Argument der Subventionsbefürworter lautet: Sicherung der nationalen Energiereserve. Das ist das lächerlichste Argument. Wir sind auf allen wichtigen Rohstoffsektoren von Lieferungen aus dem Ausland abhängig. Hier wird quasi eine Autarkie mit ständiger Kriegsbereitschaft begründet. Was man verhindern muß, ist, daß man von einem Lieferanten ökonomisch erpreßbar wird. Das aber ist überhaupt kein Problem. Interview: Jakob Sonnenschein