Urabstimmung im Nadelstreif

■ Die Gewerkschaften im Bankgewerbe mobilisieren zum Arbeitskampf / Tarifdiktat der Arbeitgeber / 20stündiger Streik im Börsenzentrum / Urabstimmung in 34 Betrieben bis Mitte Mai

Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Das hat es in deutschen Landen noch nie gegeben: Angestellte der Daten–Zentrale der Deutschen Börse in Frankfurt traten am Montag für 20 Stunden in den Streik. Die Gewerkschaften mobilisieren bei den Banken und Bausparkassen zur Urabstimmung. Die vornehmsten unter den deutschen Angestellten, so scheint es, bemerken plötzlich, daß sie trotz Nadelstreif Arbeitnehmer wie andere auch sind und entwickeln ungewohnten Oppositionsgeist gegen ihre mächtigen Arbeitgeber. Daß es soweit kommen konnte, ist nicht allein dem Wirken der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) oder gar der mit ihr konkurrierenden Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) zuzuschreiben, sondern einem ungewöhnlich provokativen Vorgehen der Bank–Herren in der laufenden Lohntarifrunde für die rund 370.000 Beschäftigten der Banken und Bausparkassen. Am 23. April, zwei Tage nachdem die Tarifparteien des Metallbereichs beim Spitzengespräch in Bad Homburg ein richtungweisendes Kompromißsignal für die diesjährige Tarifbewegung gesetzt hatten, wurden die Lohntarifverhandlungen bei den Banken ergebnislos abgebrochen. Grund: Die Herren des Deutschen Finanzkapitals hätten den Abschluß eines neuen Gehaltstarifvertrages von der „gewerkschaftlichen Zustimmung zu Spätöffnungszeiten, zusätzlichen langen Tagen und der Ausweitung der Samstagsarbeit“ abhängig gemacht, wie die HBV erklärte. Da die Gewerkschaften sich einhellig gegen diese Koppelung von zwei verschiedenen Dingen, die auch in zwei unterschiedlichen Tarifverträgen geregelt sind, gesperrt haben, verordneten die Arbeitgeber ihren Angestellten nun einseitig eine Lohnerhöhung von 3,6 Prozent. Gefordert hatte die HBV angesichts der traumhaften Bankprofite im letzten Jahr sechs Prozent. Seit rund zwei Wochen sind also die Verhandlungsdrähte zerschnitten. Der HBV–Vorsitzende Günter Volkmar prangerte den „gefährlichen Schritt zur Verwilderung der tarifpolitischen Sitten“ an und forderte die Arbeitgeber auf, das einseitige Tarifdiktat aufzugeben und ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Um dieser Forderung Druck zu verleihen, versuchen HBV und DAG - nach Jahren des Streits diesmal gemeinsam - ihre Basis in den Bankhäusern zu mobilisieren. In einer außerordentlichen Vorstandssitzung beschloß die HBV am Montag abend, in 34 Betrieben bzw. Betriebsteilen bis Mitte Mai die Urabstimmung anzusetzen. Anfangen soll es schon in dieser Woche mit den Rechenzentren der Deutschen Bank in Frankfurt, Hamburg und Düsseldorf, der Dresdner Bank in München. Natürlich denken die Gewerkschaften nicht an einen Flächenstreik aller Bankangestellten. Dazu sind sie angesichts eines Organisationsgrades von zusammen etwa 25 Prozent gar nicht in der Lage. Aber man traut sich zu, in einzelnen Bereichen den Arbeitsablauf wenn schon nicht lahmzulegen, so doch empfindlich zu stören. So liegt der Organisationsgrad in den Rechenzentren der Großbanken bei 50 Prozent und höher. Die Genossenschaftsbanken sind ebenso überdurchschnittlich organisiert wie die Saarländischen Sparkassen. Das Ziel der Gewerkschaften ist zunächst, die Arbeitgeber wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen, das einseitige Lohndiktat der Arbeitgeber wegzubringen und einen neuen Lohntarifvertrag abzuschließen, der wohl eine vier vor dem Komma aufweisen müßte. Über Veränderungen der Arbeitszeitregelungen, wie sie jetzt von den Arbeitgebern gefordert werden, soll wie in den anderen Branchen auch im Zusammenhang mit Wochenarbeitszeitverkürzung geredet werden.