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I N T E R V I E W Luxus zu kleinen Unverantwortlichkeiten

■ Leszek Budrewicz, einer der Theoretiker der Gruppe „Freiheit und Frieden“ in Wroclaw (vormals Breslau), über den Spielraum von unabhängigen Friedens– und Ökologiegruppen in der Volksrepublik Polen

taz: Eine gewisse Liberalisierung in Polen ist feststellbar, die Repression nimmt ab. Hängt das mit Gorbatschows Regierungspolitik zusammen? Budrewicz: Paradoxerweise hinkt Gorbatschow Jaruzelski hinterher. Das meiste, was Gorbatschow anstrebt, ist in Polen seit 1980 selbstverständlich. Die Veränderungen in der SU sind dennoch wichtig und nützlich, denn sie vergrößern die sehr geringe Sphäre der Freiheit dort. Bei dem gegenwärtigen Stand der Technologie weiß Gorbatschow genau, daß die UdSSR das Niveau der USA nicht erreichen kann. Deshalb macht er Zugeständnisse in Fragen der Abrüstung. Es kann aber keine wahre Friedensbewegung geben, wenn die Menschenrechte nicht akzeptiert werden. Dennoch, wenn es zur Abrüstung und Vernichtung aller Mittelstreckenraketen kommt, wird das etwas Gutes und nichts Schlechtes bedeuten. Ich bin persönlich dieser Meinung. Aber aus der ganzen polnischen Perspektive sieht das vielleicht ein wenig anders aus. In Polen gibt es keine SS20, daher interessiert das Problem der Mittelstreckenraketen die Leute von der Bewegung „Wolnosc i Pokoj“ (Freiheit und Frieden) nur insoweit, als es unsere Freunde von anderen Friedensbewegungen interessiert. Aber wenn es um die Mehrheit der polnischen Gesellschaft geht, so ist ihr desinteressiertes Verhalten in der Frage ein Beweis für politische Ignoranz. Ähnlich wie in Fragen der Atomenergie. Vor der Havarie in Tschernobyl existierte dieses Problem im Bewußtsein der Öffentlichkeit nicht. Genauso ist es mit den Raketen. Vielleicht deshalb, weil die Leute hier vor allem mit ihren Alltagsproblemen beschäftigt sind, um irgendwie auszukommen. Gibt es viele aktive Leute? Das kommt darauf an. Wenn es um Solidarnosc geht, sind die Leute pragmatischer geworden. Natürlich gibt es weiterhin Solidarnosc–Strukturen und Aktivisten. Für viele aber war der 13. Dezember 1981 (Machtübernahme des Militärs) eine Zäsur, und sie befürworten jetzt eher die organische tägliche Arbeit als öffentliche spektakuläre Aktionen. Dagegen hat die pazifistisch–ökologische Bewegung „Freiheit und Frieden“ ein offenes Konto und handelt auf eigene Rechnung. Im Gegensatz zu Solidarnosc identifiziert sie sich nicht mit dem Willen des ganzen Volkes. Wenn wir z.B. eine Aktion mit zehn Personen machen, dann sagen wir nicht, daß wir 15 sind. Das erlaubt uns mehr Freiheit. Eine komplizierte Situation gab es nach der letzten Amnestie. Die Behörden entließen z.B. alle, die den Militäreid verweigert hatten, nicht aber die, welche den ganzen Militärdienst verweigert haben. So mußten wir überlegen, ob wir eine Aktion für die immer noch Verhafteten durchführen sollten oder nicht. Alle politischen Erwägungen sprachen dagegen. Es gab auch Signale von anderen Gruppen, die gegen die geplanten Aktionen waren. Wir haben es dennoch gemacht, schließlich saß ein Freund weiter im Knast. Und sie haben ihn freigelassen. Das war nur eine Aktion, um danach den Leuten ins Gesicht sehen zu können, wenn sie zurückkommen würden. Das ist also der Luxus, die Freiheit zu kleinen Unverantwortlichkeiten, denwir uns erlauben dürfen. Natürlich nur eine bestimmte Zeit. Denn wir sind nur eine kleine Gruppe, die sich sozusagen ihre Strafen langsam verdient. In Wroclaw sind wir etwa 60–80 Leute, in ganz Polen gibt es zur Zeit nicht mehr als 300. Welche Verbindung habt ihr zu Solidarnosc? Ihre Existenz ist für unsere Bewegung von größter Bedeutung. Wenn es sie nicht gäbe, würden die Behörden mit uns nicht rechnen. Wir repäsentieren allerdings eine größere gesellschaftliche Vielfalt. Zu uns gehören Studenten, Arbeiter, Künstler, Leute mit den verschiedensten ideologischen Vorstellungen oder Interessen, wie z.B. Studenten, die an kirchlichen Initiativen teilnehmen, oder solche, die mit der Posthippie– und der Alternativkultur verbunden sind. Wie sieht deine individuelle Perspektive aus? Wenn es um die Perspektive der Ziele geht, für die ich mich einsetze, d.h. Antimilitarismus und Ökologie, so scheint es mir, daß die jetzige Situation günstig ist, um einzelne Probleme zu lösen oder sie wenigstens zu bewegen. Wenn es uns z.B. gelingt, den Ersatzdienst in Polen einzuführen, oder das Recht, den Militärdienst aus Gewissensgründen zu verweigern, was wir gerade anstreben und wofür es schon gewisse Aussichten gibt, würde das schon einen großen Erfolg bedeuten. Wenn es uns noch gelänge, ein paar solcher Betriebe wie Siechnice (Aluminum– Hütte in der Nähe von Wroclaw) zu schließen, wird das auch viel bedeuten. Generell kann man es so formulieren: Wenn es um einzelne kleine Probleme geht, bin ich ein großer Optimist, wenn es um das globale Problem der ganzen politischen Situation in Polen geht, bin ich eher Pessimist.Das Gespräch führte Helene Konstantin (Übersetzung Andrzej Stach)

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