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Salzstöcke als Patentlösung für Giftmüll

■ Auf einem Expertenhearing zur Giftmüllbeseitigung in Hannover kämpft Niedersachsens Umweltminister Remmers für seine Idee zur Beendigung des Müllnotstandes / Ein Bericht von Jürgen Voges

Als größte Veranstaltung dieser Art in der Bundesrepublik pries Niedersachsens Umweltminister Remmers das seit Dienstag tagende Expertenhearing, auf dem Lösungen zur Misere des Mülls diskutiert werden sollen. Die Einladungen waren sorgsam ausbalanciert, die Experten kamen sowohl aus den BIs auch von der Industrie. Einigen konnten sie sich nicht. Weder über die Eignung von Salzstöcken als zukünftige Giftmüllendlager noch darüber, was überhaupt unter Giftmüll zu verstehen ist.

„Hier stehen wenige und wachen, damit auch in Zukunft viele ruhig schlafen können.“ Unter diesem Motto haben sich auf einer Brücke über die Ems Mitglieder von Bürgerinitiativen aus Ostfriesland zu einer Mahnwache versammelt. Zeitpunkt und Ort korrespondieren mit dem seit Dienstag in der Landeshauptstadt Hannover stattfindenden Expertenhearing zur „Sondermüllproblematik“ in Niedersachsen und dem Lösungsvorschlag von Umweltminister Remmers. Verschiedene Salzstöcke an der Küste, so hatte Rem mers angekündigt, sollen als Endlagerstätte für dioxinhaltige Filterstäube, Arsen und Cyanide benutzt werden. Das sei, so finden nicht nur die Bürgerinitiativen, „eine Zumutung“. Gerade Ostfriesland, das zukünftig vom Tourismus und der Landwirtschaft leben müssen, „dürfe nicht mit einem solchen Gefahrenpotential belastet werden“. Ob es sich dabei überhaupt um ein Gefahrenpotential handelt - die Landesregierung bestreitet das - soll nun heute, am letzten Tag des Hearings geklärt werden. Etliche Vertreter von Bürgerinitiativen aus Ostfriesland sind zu diesem Punkt der Tagesordnung in Hannover angereist. Allein im Verlauf des letzten halben Jahres haben sich 30 BIs in der Nord–West–Ecke Niedersachsen gegründet, um zu verhindern, daß „in Ostfriesland ein billiges Giftmüllklo“ entsteht. Kommunalpolitiker aller Parteien machen Front gegen den Plan, eine „Salzkavernen–Sonderabfalldeponie“ in ihren Landkreisen zu errichten. Angeblich nicht geplant Noch Anfang Dezember letzten Jahres hatte Umweltminister Remmers verkündet: „Es gibt keine Planungen zur Unterbringung von Sonderabfall in ostfriesischen Salzkavernen.“ Knapp vier Monate später legte derselbe Remmers dann persönlich ein Gutachten zur „Standortauswahl für eine Kavernendeponie“ vor, das er bereits im April 86 in Auftrag gegeben hatte. Einer der drei Salzstöcke „Jegum Leer“, „Bunde“ oder „Etzel“ sollte nun Standort der Deponie werden, und alle drei Salzstöcke liegen natürlich in Ostfriesland. Gerade weil diese Standorte schon vor dem Hearing benannt worden sind, sprechen die niederächsischen Giftmüll–BIs von einer „Alibi– Veranstaltung“. Erst würden die Entscheidungen getroffen, und dann lade man die Experten zur Grundlagendiskussion ein. Insgesamt drei Millionen Tonnen Giftmüll soll diese erste Kavernendeponie in der BRD aufnehmen, über einen Zeitraum von 30 Jahren etwa 100.000 Tonnen jährlich. Nach dem niedersächsischen Rahmenplan Sonderabfall fallen hierzulande aber nur 45.000 Tonnen pro Jahr an, die im Salz gelagert werden sollen. Die verbleibenden Kapazitäten, so der Ministerplan, sollen für „Giftmüll aus ganz Norddeutschland“ verwendet werden. Folgt man dem vorgegten Gutachten, so ist die Endlagerung in Kavernen eine im Prinzip einfache Sache: Der Salzstock wird bis auf eine Tiefe von etwa 800 Meter angebohrt, und dann wird so lange Wasser eingeleitet, bis ein Loch von etwa 45 Meter Durchmesser und dreihundert Meter Tiefe ensteht. In diese Hohlräume - insgesamt 20 will man für die erste Deponie ausspülen - wird dann durch das Bohrloch der Giftmüll gekippt und anschließend alles wieder verschlossen. Im Prinzip ja Selbst den Bürgerinitiativen nahestehende Wissenschaftler wie der Berliner Geologe Detlev Appel erkennen an, daß bei diesem Verfahren „der Abstand zwischen Abfall und Biosphäre erheblich größer“ ist als bei einer Endlagerung an der Oberfläche und daß deswegen „eine Freisetzung der Abfälle zuverlässiger und über bedeutend längere Zeiträume verhindert werden“ kann. Dennoch hängt die Sicherheit einer solchen Kavernendeponie entscheidend davon ab, wie sie genau betrieben wird. Es dürfen, so schreibt Appel in seinen Statement für das Hearing, „keine flüssigen oder breiigen Stoffe“ eingelagert werden und keine solchen, die untereinander oder mit dem Salz reagieren können. Das Umweltmisterium plant den Bau einer Anlage, in der die meisten der anorganischen Stoffe vor ihrer Einlagerung erst zu kleinen Briketts gepreßt werden sollen. Für die cynanid–, nitrit– und quecksilberhaltigen Schlämme, die auch in die Salzkavernen kommen sollen, will man allerdings die sogenannte In–Situ–Verfestigung erproben. Dabei wird der flüssige Giftmüll zusammen mit einem Bindemittel in die Kaverne gepumpt und soll dann erst unter Tage zu einem festen Stoff aushärten. Der Geologe Jürgen Kreusch, der für die Hannoversche Gruppe Ökologie an dem Hearing teilnimmt, steht diesem Verfahren sehr skeptisch gegenüber. „Es dürfte dem Betreiber schwerfallen nachzuweisen, daß ein solches Gemisch homogen und mit der Druckfestigkeit aushärtet, wie es für die Sicherheit notwendig ist“, sagte er am Rande des Expertenhearing. Abfallvermeidung entfällt Auch der Versicherung des Umweltministeriums, daß in den Kavernen nur Stoffe eingelagert würden, bei denen es nicht zu chemischen Reaktionen komme, will der Wissenschaftler von der Gruppe Ökologie nicht trauen. Die bisher verwendeten Begleitscheine, in denen die Abfallieferanten den Inhalt der Müllpartien angeben müssen, würden viel zu oft nicht korrekt ausgefüllt. Ohne eine grundlegende Änderung in der gesamten Giftmüllpolitik, so das Resümee des Geologen von der GÖK, könne man der Einlagerung in Salzkavernen nicht zustimmen, auch wenn diese im Prinzip einen Fortschritt gegenüber der Endlagerung an der Erdoberfläche darstelle. „Es besteht doch jetzt die Gefahr“, so sagt Jürgen Kreusch, „daß man jede Menge Salzkavernen zur Verfügung stellt und sich deswegen an der ganzen Abfallstruktur nichts ändert“.

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