: Konturen einer ökofeministischen Gesellschaft
■ Trotz schlechter Zeiten für Utopien - Gedanken zu einer Gesellschaft, die Ökologie und Feminismus miteinander verbindet / Die europäischen Frauen sind nicht nur ausgebeutet, sondern nehmen selbst an Ausbeutung teil - ein neuer Emanzipationsbegriff ist nötig / Ist die Rückkehr zur Selbstversorgungswirtschaft unsere Perspektive?
Als wir 1983 auf dem Kongreß „Zukunft der Frauenarbeit“ unsere Thesen zum Ausstieg aus dem Technopatriarchat1 vortrugen, hatten viele Frauen Lust und Mut, an der Entwicklung einer öko–feministischen Utopie weiterzuarbeiten. Wir konnten noch die Hoffnung haben, daß die Grünen, und speziell die Frauen bei den Grünen, die Diskussion um eine andere Gesellschaft voranbringen würden. Inzwischen hat sich die Lage geändert. Die Grüne Partei ist dabei, ihren utopischen Elan im Kampf um Wahlprozente und Teilhabe an der Macht zu verschleißen, und auch die Grünen Frauen finden vor lauter Tageskämpfen kaum Zeit, sich zu fragen, wohin denn die Reise geht. Hinzu kamen Tschernobyl und die Industriekatastrophen. Hatten bis dahin immer noch viele gehofft, daß eine Alternative zum alles zerstörenden Technopatriarchat noch hier und jetzt möglich sei, so gaben sie nun ihre Hoffnung auf. Übrig blieb eine Welle des verzweifelten Hedonismus: Wenn die Welt schon zugrunde geht, wollte man/frau wenigstens noch was davon haben. Politische Einsichten und moralische Bedenken wurden begraben. Es ging nur noch darum, dabei zu sein beim Totentanz um die Atomkraftwerke und Computer, um Teilhabe an der Glitzerwelt der neuen „urbanen Kultur“. Wer in dieser Situation noch an die Ziele von vor zehn Jahren erinnert, gilt nicht nur als hoffnungslos rückständiges Fossil, sondern wird zum neuen politischen Gegner, gegen die die neue urbane Kultur „mit Zähnen und Klauen verteidigt“ werden muß, wie es einer ihrer Befürworter ausdrückte. Der verzweifelte Hedonismus ist zwar subjektiv verständlich. Der Situation angemessen ist er nicht. Er schafft die sozialpsychologische Voraussetzung für die Totalisierung des Kommerzes und des Warenkonsums ohne Reue. Die Wut der Anhänger der neuen urbanen Kultur richtet sich nicht gegen die Multis und ihr Ausbeutungssystem, sondern gegen die, die den hedonistischen Totentanz nicht mitmachen wollen, die ihnen durch ihr verdammtes Gedächtnis und durch ihr borniertes Festhalten an jenem antiquierten Bild der Beziehungen zwischen Mensch und Natur den Spaß verderben. Diese Beziehungen gilt es nun endgültig zu kappen. Darum richtet sich die Wut auch gegen die Mütter, die immer noch für eine menschliche Zukunft für ihre Kinder kämpfen. Sie sollen sich doch endlich einmal von ihren Blagen abnabeln! Und die Bauern sollen sich doch endlich von ihrem Land trennen! Ihre sentimentale Bindung an ihre „Scholle“ und an ihre obsolet gewordenen kleinen Höfe verhindert doch nur, daß ihre Wiesen in Golfplätze und ihre Äcker in Naturschutzparks oder in Anbauflächen für Bio–Masse verwandelt werden, was ja zum „Umbau der Industriegesellschaft“ notwendig wäre. Der neue urbane Hedonismus haßt nichts so sehr wie die Er innerung an die alten Ziele und an die Grundtatsachen, daß Menschen von Frauen geboren werden und daß die Nahrung aus der Erde kommt. Denn so lange diese Erinnerung noch wach ist, kann sich das System noch nicht als Schöpfer von allen und allem aufspielen. Der urbane Hedonismus ist Helfershelfer bei der Zerstörung dieser Erinnerung. Weil dies so ist, halte ich es für der Lage angemessen, nicht auch noch kopflos zu werden und blind mal in diese, mal in jene Ecke zu rennen, wie das Kapital uns befiehlt. Die Zeiten für Utopien sind schlecht. Gerade darum ist es an der Zeit, sich auf sie zu besinnen, sich Klarheit zu schaffen über unsere Ziele und über die Wege, wie wir dahin gelangen. Was hat Feminismus mit Ökologie zu tun? Das Folgende ist kein fertiger Gesellschaftsentwurf, sondern lediglich der Versuch, einige zentrale Konturen einer neuen Gesellschaft zu umreißen, in der sowohl die Ziele der Frauenbewegung als auch die der Ökologiebewegung erfüllt würden. Dabei gehe ich von drei Grundthesen aus, nämlich daß 1. eine ökologische Gesellschaft notwendigerweise die Frauenbefreiung fördern muß, und daß 2. die Frauenbefreiung eine ökologische Gesellschaft voraussetzt, und daß 3. beides nicht ohne Aufhebung der Ausbeutung der „Dritten Welt“ geschehen kann/soll. So einleuchtend diese Thesen auf den ersten Blick erscheinen, so wenig sind sie bisher in der Ökologie– und Frauenbewegung verstanden worden. Fragen wir also zu Beginn noch einmal: Was hat die Frauenfrage mit der Ökologiefrage zu tun? Und was haben beide mit der Dritt–Welt–Frage oder der Kolonialfrage zu tun? Außer der Grundtatsache, daß alles Leben auf der Erde von der Natur und alles menschliche Leben aus den Frauen kommt, haben diese Bereiche der Wirklichkeit gemeinsam, daß sie, zusammen mit den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, seit der Rennaissance die wichtigsten Kolonien des Weißen Mannes sind. Auf ihrer gewaltsamen Unterwerfung und Ausbeutung beruht sein Menschenbild, seine Zivilisation, sein Begriff von Wissenschaft, Technik und Fortschritt, sein Modell von immerwährendem ökonomischem Wachstum, sein Begriff von Freiheit und Emanzipation, seine Gesellschaft und sein Staat. Diese drei Kolonien wurden zur „Natur“ erklärt, das heißt, zu Quellen möglichst kostenloser, ausbeutbarer Ressourcen (Rohstoffe, Arbeitskräfte, Leben). Damit wurden sie aus dem Bereich der „menschlichen Gesellschaft“, das heißt der männlich– weißen Zivilisation, ausgeschlossen, obwohl - oder gerade weil - sie deren Grundlage bilden. Es reicht aber nicht zu sagen, daß es sich bei der Natur, den Frauen, der „Dritten Welt“ um Kolonien des Weißen Mannes handelt. Wir müssen auch noch aufzeigen, wie sie untereinander zusammenhängen. Dabei können wir feststellen, daß zum Beispiel der „Aufstieg“ der europäischen und amerikanischen Frauen zu „Hausfrauen“, das heißt, zur internen Kolonie einher ging mit der gewaltsamen Unterwerfung der Natur und der äußeren Kolonien in Asien, Afrika und Lateinamerika.2 Die europäischen Frauen sind also nicht nur ausgebeutet, sie nehmen auch an der Ausbeutung anderer teil. Ähnliches läßt sich für die europäischen Arbeiter sagen. Ihr „Aufstieg“ in die Zivilisation, das Reich des „Weißen Mannes“, beruht auf der Beherrschung der Natur und der äußeren Kolonien. Ähnliches gilt für die Mittelklassen in der „Dritten Welt“. Im Zivilisationsmodell des Weißen Mannes beruht die „Befreiung“ der einen Kolonie immer auf der fortgesetzten Ausbeutung anderer Kolonien. Es ist aber ein Befreiungskonzept zu entwickeln, das darauf beruht, daß nicht mehr eine Kolonie auf Kosten der anderen „entkolonisiert“ wird. Grundprinzipien der Entkolonisierung von Natur, Frauen und „Dritter Welt“ Um zu einem solchen Konzept zu kommen, ist es notwendig, zerst bestimmte Grundeinsichten zu formulieren, die dann zu bestimmten Prinzipien führen müssen, die die ethische Grundlage für einen neuen Gesellschaftsentwurf darstellen. Denn eine neue, ökologische und feministische Gesellschaft ist nicht ohne eine andere Ethik denkbar. Diese Einsichten und Prinzipien sind nicht neu. Sowohl die Frauenbewegung als auch die Ökologiebewegung haben sie wiederholt, wenn auch unsystematisch geäußert. In der praktischen Politik werden sie jedoch häufig vergessen. Darum ist es notwendig, an sie zu erinnern. I. Eine öko–feministische Perspektive einer neuen Gesellschaft muß mit der Analyse der Gesamtheit der Verhältnisse beginnen, die unsere Wirklichkeit bestimmen. Wir können uns nicht nur auf eines dieser Verhältnisse beschränken, zum Beispiel das Mann–Frau–Verhältnis. Auch die anderen Verhältnisse müssen untersucht werden. Dabei ist die „Sicht von unten“ die jeweils richtige Sicht. Außerdem müssen wir die hierarchischen und dualistischen Abspaltungen zurückweisen, durch die der Weiße Mann die Welt aufgeteilt hat. Es gibt nicht drei Welten, sondern eine, es gibt nicht „Kopf“ oder „Bauch“, son dern ganze Frauen, es gibt nicht „Produktion“ und „Reproduktion“, sondern die Herstellung und Erhaltung des Lebens. II. Die Erde ist begrenzt, unser Körper ist begrenzt, unser Leben ist begrenzt. Innerhalb einer begrenzten Welt kann es keinen „unendlichen Fortschritt“, kein „unendliches Wachstum“ geben. Darum muß eine öko–feministische Gesellschaft nach Lösungen innerhalb einer durch Raum, Zeit und die Tatsache, daß wir geboren werden und sterben, begrenzten Wirklichkeit suchen. III. Eine öko–feministische Gesellschaft muß die Aussicht auf „Entwicklung“ beziehungsweise „Befreiung“ durch Ausbeutung anderer radikal zurückweisen. Ausbeutung heißt: Damit die einen „wachsen“ können, muß den anderen etwas weggenommen werden; damit die einen „fortschreiten“ können, müssen die anderen „zurückschreiten“. Das geht aber nie ohne Gewalt. Gewalt gegen die Natur, die Frauen, die fremden Völker ist das Geheimnis des Unendlichkeits–Wahns. Wir können aber kein Interesse an der Aufrechterhaltung dieser Gewalt haben. Darum können wir Frauen in den Industrieländern unsere Befreiung auch nicht auf der Basis der Aufrechterhaltung der weiteren Ausbeutung der „Dritten Welt“ betreiben. Andererseits dürfen die Industrieländer die Lösung ihrer Ökologiefrage nicht auf Kosten ihrer Frauen und der „Dritten Welt“ suchen. Es kann aber auch keine Befreiung der „Dritten Welt“ auf Kosten ihrer Frauen und ihrer Ökologie geben. IV. Das bedeutet, daß wir innerhalb einer begrenzten Welt wieder reziproke, nicht–hierarchische Beziehungen herstellen müssen, und zwar auf allen Ebenen: zwischen den einzelnen Teilen unseres Körpers, zwischen Menschen und Natur, zwischen Frauen und Männern, zwischen Teilen der Gesellschaft, zwischen verschiedenen Völkern. V. Zu dieser neuen Sicht gehört notwendigerweise eine andere Bestimmung von Glück, Freiheit und menschlichen Bedürfnissen. Das Ziel allen Arbeitens in einer ökologischen und feministischen Gesellschaft ist nicht Kapitalakkumulation und nie endende Expansion von Reichtum und Lebensstandard, sondern menschliches Glück, verstanden als die Schaffung und Erhaltung des unmittelbaren Lebens. Freiheit bedeutet nach einer solchen Sicht nicht Freiheit von Naturzwängen, sondern Freiheit von Ausbeutung und Unterdrückung durch Menschen. Wir müssen auch die Lüge zurückweisen, daß menschliche Bedürfnisse prinzipiell unendlich und unersättlich sind. Dieser faustische Begriff der unersättlichen Bedürfnisse ist die notwendige Voraussetzung für eine ins Unendliche fortschreitende Kapitalakkumulation und Naturzerstörung. Bedürfnisse, die nie befriedigt werden, sind aber keine Bedürfnisse, sondern Süchte. Menschliches Glück besteht jedoch darin, daß wir sagen können: Es war schön, es ist genug! Daß wir LEBENSSATT sterben können. Ein anderer Arbeitsbegriff Der Umsetzung dieser Einsichten und Prinzipien stehen große Hindernisse entgegen. Eines der wichtigsten ist der heute gültige Arbeitsbegriff. Was den herrschenden Arbeitsbegriff prägt, ist die Tatsache, daß Arbeit als notwendige Last angesehen wird, die, soweit wie möglich, durch die Entwicklung der Produktivkräfte, durch Technik und Maschinen reduziert werden soll. Vor allem die Arbeit, die der Befriedigung unserer Grundbedürfnisse dient, gilt als notwendig und daher lästig. Besonders diese Arbeit sollen die Maschinen übernehmen. Freiheit, menschliches Glück, die Verwirklichung unserer schöpferischen Fähigkeiten, all dies ist ausgeschlossen aus dem Reich der Arbeit, dem „Reich der Notwendigkeit“, wie Marx sagt, und ist erst möglich im Reich der Nicht–Arbeit, die als „Reich der Freiheit“ gilt. Nach diesem Arbeitsbegriff wird „Fortschritt“ definiert als die fortschreitende Verringerung der notwendigen Arbeitszeit und die Zunahme von Freizeit. In dieser Freizeit sollen die Menschen dann die „höheren“ menschlichen Bedürfnisse (nach Bildung, Kultur, Kreativität usw.) befriedigen. Dieser Arbeitsbegriff liegt sowohl der bürgerlichen als auch der marxistischen Utopie zugrunde. In beiden verrichten Maschinen alle notwendigen Arbeiten, und die Menschen können sich konsumptiven und kreativen Tätigkeiten hingeben. Darum ist es das Ziel aller ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Bemühungen, den Arbeitstag zu kürzen.3 Dieser Arbeitsbegriff wird heute auch von vielen Grünen, Linken, Alternativen und auch von Feministinnen geteilt, die eigentlich aus dem Technopatriarchat hinauswollen. Sie gründen ihre Entwürfe für eine andere Gesellschaft immer noch auf die Wunder der Technik und auf die technische Verringerung der notwendigen Arbeit. So ist zum Beispiel für Andre Gorz bereits jetzt die Zeit gekommen, spornstreichs in das Paradies, das „Reich der Freiheit“ voranzuschreiten, weil Mikroelektronik, Computer und Automation die durchschnittliche Lebensarbeitszeit auf etwa 20.000 Stunden reduzieren können.4 Was Männer wie Gorz jedoch systematisch aus ihrer Utopie ausschließen, ist die Unterseite dieses Paradieses, nämlich die Hölle, auf der dieses Paradies aufgebaut wird. Einen Einblick in diese Un Forsetzung nächste Seite terseite geben uns die inzwischen bekannten Analysen über die Arbeit von Frauen in den Weltmarktfabriken der „Dritten Welt“ und im sogenannten informellen Sektor. Dort herrschen keineswegs Freiheit und Selbstbestimmung, sondern zunehmend zwangsarbeitsmäßige Bedingungen. Erst dadurch und durch die niedrigen Löhne der Frauen sind die Produktivitätsfortschritte möglich, auf die die bürgerlichen und die linken Technopatriarchen ihre Utopien gründen.5 Für Frauen kann dies kein positiver Arbeitsbegriff sein. Denn wenn wir statt des Modellarbeiters, auf den sich dieser Arbeitsbegriff bezieht, nämlich der männliche Industriearbeiter in Europa/USA eine Mutter nehmen, dann können wir unmittelbar sehen, daß ihr dieser Arbeitsbegriff nichts nützt. Ihre Arbeit ist notwendig, kann aber durch Maschinen kaum „rationalisiert“ werden. Kinder sind eben keine Maschinen. Außerdem ist ihre Arbeit immer beides: eine Last und eine Quelle von Freude und Kraft. Eine ähnliche Einheit von Arbeit als Last und Lust kann noch bei Kleinbauern und Handwerkern beobachtet werden, deren Arbeit noch nicht total vom Diktat der Rentabilität bestimmt ist. Zeiten höchster Arbeitsintensität sind dort häufig auch Zeiten höchster Lebensintensität. Eine der Hauptquellen der Lust bei diesen lästigen Arbeiten ist die Tatsche, daß hier die Arbeit menschliche Beziehungen schafft, daß Menschen andere Menschen brauchen, um ihr Leben zu produzieren. Ein feministischer und ökologischer Arbeitsbegriff müßte darum daran festhalten, daß die Einheit von Last und Lust in der Arbeit erhalten bleibt. Ein neuer Arbeitsbegriff kann außerdem nicht mehr von der Herrschaft des Menschen über die Natur ausgehen, sondern muß dieses Verhältnis durch eins der Mitwirkung mit der Natur, durch ein reziprokes Verhältnis ersetzen. Der herrschaftsbezogene Arbeitsbegriff hat sich für die Natur wie für die Frauen als zerstörerisch erwiesen. Im Begriff der Mitwirkung mit der Natur ist auch angedeutet, daß die Natur nicht nur toter Rohstoff ist, sondern etwas Lebendiges, das eine eigene „Seele“ hat. Wenn Last und Lust in der Arbeit nicht mehr getrennt sind, kommen wir notwendigerweise auch zu einer anderen Ökonomie der Zeit. Dabei kann es nicht mehr nur um die Verkürzung der Arbeitszeit als Vorbedingung für Freiheit und Glück gehen. Die Vision einer Gesellschaft, in der fast alle Zeit Freizeit ist, ist vor allem für Frauen eine Horrorvision, vor allem darum , weil sie es dann sein werden, die dann den müßigen Männern ein Gefühl von Leben, Sinn und Realität vermitteln sollen. Schon heute sehe ich in der Zunahme der Männergewalt gegen Frauen einen Ausdruck dieses Problems, daß Männer kaum noch einen sinnlichen, das heißt auch sinnvollen Gebrauch von ihren Körpern in der Arbeit machen können. Von einem Ausbruch an Kreativität als Folge von mehr Freizeit ist jedenfalls nichts zu merken. Ein neues Zeitverständnis müßte sich außerdem an den natürlichen Rhythmen und Kreisläufen des Lebens orientieren. Damit würden sich alle Arbeitsprozesse verlangsamen, alles würde gemächlicher gehen. Wenn Lust wieder Teil der notwendigen Arbeit wäre, wäre auch ein langer Arbeitstag und ein langes Arbeitsleben kein Fluch, sondern ein Glück. Wir müssen ferner darauf bestehen, daß die direkte und sinnliche Interaktion mit der Natur, mit lebendigen Organismen in der Arbeit erhalten bleibt. Immer mehr Maschinen schieben sich heute zwischen den menschlichen Körper und die Natur. Dadurch wird aber auch die menschliche Sinnlichkeit zerstört, die ja an unserer Körpern und ihrer Fähigkeit, mit anderen lebendigen Körpern zu kommunizieren, hängt. Damit wird auch zunehmend die Fähigkeit für Genuß, für sinnliche Befriedigung zerstört. Da wir aber eben keine reinen Geister und auch keine Maschinen sind und unser Körper die Grundlage unseres Glückes ist, müssen wir an der sinnlichen, körperlichen Interaktion mit der Natur in der Arbeit festhalten. Außerdem müssen wir darauf bestehen, daß Arbeit einen Sinn und Zweck behält. Es reicht nicht, daß die sinnliche Interaktion mit der Natur nur durch Sport und Hobbies gewährleistet wird. Sport und Hobbies geben unserem Leben keinen Sinn. Nur wenn wir wissen, daß unsere Arbeit für uns und andere nützlich ist, werden wir nicht am Sinn unseres Lebens zweifeln. Die Herstellung von bloßem Krimskrams, von schädlichen Produkten wie etwa Waffen, können dieses Gefühl der Nützlichkeit nicht vermitteln. Eine andere Wirtschaft und Gesellschaft Es ist klar, daß ein solcher Arbeitsbegriff den Rahmen unserer heutigen Wirtschaft und Gesellschaft sprengt. Ein anderer Arbeitsbegriff bedingt eine andere Wirtschaft. Wie könnte sie aussehen? Diese neue Wirtschaft müßte wieder eine „moral economy“ werden, eine moralische Wirtschaft, die nicht mehr auf der sogenannten Rationalität des Geldes und auf dem angeblich objektiven Mechanismus von Angebot und Nachfrage beruht, sondern auf bestimmten ethischen Prinzipien. Einige dieser Prinzipien wurden vorhin schon genannt: Absage an Ausbeutung, Anerkennung der Endlichkeit unserer Erde, Absage an dualistische Abspaltungen und Kolonisierungen. Zentrales Ziel einer solchen Wirtschaft muß wieder die unmittelbare, nicht über die Warenproduktion vermittelte Herstellung und Erhaltung des Lebens sein. Wir nennen das auch Subsistenzproduktion oder Produktions des Lebens.6 Eine solche Wirtschaft muß notwendigerweise die natürlichen Kreisläufe respektieren, denn sonst können in einer bestimmten Region weder die Menschen noch die anderen Lebewesen überleben. Zwar leben die Menschen von Tieren und Pflanzen, aber sie müssen lernen, dies wieder in reziproken Verhältnissen zu tun. Wo sie etwas nehmen, müssen sie wieder etwas geben. Das erste grundlegende Erfordernis einer solchen Wirtschaft ist, daß sie in bezug auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse unabhängig ist von anderen Wirtschaftsregionen. Eine solche Wirtschaftsregion wird häufig nicht identisch sein mit dem Territorium eines Nationalstaates. Kriterium für die Definition solcher Regionen müßte die Frage sein, ob sich innerhalb dieser Region sich selbst erhaltende Überlebenssysteme aufbauen lassen und ob die Region für die dort lebenden Menschen überschaubar ist. Solche Regionen wären in einem hohen Maße selbstversorgend oder autark. Nur solche Gesellschaften können sich langfristig vor Hunger, Armut und politischer Erpressung schützen. Wenn die Rückkehr zu natürlichen Kreisläufen und die Erhaltung der Lebensgrundlagen das Hauptanliegen der Ökologiebewegung ist, dann müßte die Umgestaltung der Wirtschaft konsequenterweise mit dem Land und der Landwirtschaft beginnen. Das heißt, das heutige Verhältnis zwischen Stadt und Land müßte grundlegend verändert werden. Denn es sind ja auf der ganzen Welt die urbanen Zentren, die sich auf Kosten des Landes und der Ökologie ausgebreitet haben. Anstatt weiterer Urbanisierung brauchen wir eine Re–Ruralisierung, bei der das Land nicht nur aus der Perspektive des Touristen interessant ist. Dabei können wir nicht von der Frage ausgehen: „Wie hätten Sie es denn gerne, bitte schön?“, sondern von der Frage: „Was ist in einer gegebenen Region ohne Ausbeutung der Erde, der Frauen und fremder Völker möglich?“ Das heißt, eine solche Region müßte erst einmal von dem vorhandenen Land, den vorhandenen Bodenschätzen, den vorhandenen Menschen und ihren Fähigkeiten ausgehen. Auf dieser Basis müßten Landwirtschaft und Industrie zum Zwecke der Selbstversorgung aufgebaut werden. Eine Konsequenz einer solchen Selbstversorgungswirtschaft wäre eine Neuzusammensetzung der Arbeiterschaft. Sehr viel mehr Menschen als heute in den Industrieländern müßten in der Landwirtschaft und in der Nahrungsproduktion arbeiten. Innerhalb einer solchen Region würden sie aber auch sehr viel sorgfältiger mit der Natur und der Umwelt umgehen und sie nicht gedankenlos zerstören, weil sie wüßten, daß ihr Überleben von dieser Umwelt abhängt. Die Verringerung des Einsatzes von Maschinen, chemischem Dünger, Pestiziden und Herbiziden könnte durch den Einsatz tierischer und menschlicher Arbeit kompensiert werden. An die Stelle eines Kapital– und Chemie–intensiven Agrobusiness träte eine arbeitsintensive, umweltschonende Landwirtschaft. Sie würde nicht in Agrarfabriken stattfinden, sondern in dezentralisierten Kleinbetrieben. Solche regionalen Selbstversorgungswirtschaften würden notwendigerweise auch zu einer Veränderung der internationalen Arbeitsteilung und zu einer allmählichen Abkoppelung vom Weltmarkt führen. Erst dann hätten die Länder der „Dritten Welt“ eine realistische Chance, auch wieder zu Selbstversorgungswirtschaften zu werden, was sie vor der Ankunft der weißen Kolonisatoren ja waren. Für diese Länder würde das zunächt einmal das Ende der sie ruinierenden Exportproduktion bedeuten. Sie könnten ihre Menschen, ihr Wissen, ihre Naturschätze zum Wohle der eigenen Bevölkerung nutzen und müßten sie nicht zur Luxusproduktion für die Überreichen und Übersatten und zur Zurückzahlung ihrer Schulden an die Industrieländer ausbeuten. Das heißt, zum ersten Mal hätten wir ein einheitliches Konzept der Entwicklung, das sowohl für die derzeitigen Industrieländer wie für die „Dritte Welt“ gilt. Selbstversorgung hier hätte die Selbstversorgung der „Dritten Welt“ zur Folge und umgekehrt. Es bleibt aber eine zynische Heuchelei, der „Dritten Welt“ Selbstversorgung und Selbsthilfe zu predigen, wenn wir hier alle fortfahren, weit über unsere Verhältnisse zu leben und den ganzen Reichtum der Welt verprassen. Erst auf der Basis eines solchen Selbstversorgungskonzeptes wäre neu zu überlegen, wie und wieweit internationaler Austausch und Handel zu organisieren wären. ..zu organisieren wären. Erst auf dieser Basis könnte dann auch so etwas wie eine wirkliche internationale Solidarität entstehen. Malcolm Caldwell hat in seinem Buch „The Wealth of Some Nations“ (1977, s. Anm. 7) nachgewiesen, daß eine solche Selbstversorgungswirtschaft in England auf der Grundlage der heutigen Bevölkerung und des zur Verfügung stehenden Landes schon heute möglich wäre. Sie wäre auch in jedem anderen Land Europas und Nordamerikas möglich. Sie würde außerdem einen großen Teil der Probleme, die wir zur Zeit haben, beseitigen. Caldwell betont, daß eine solche radikale Umstrukturierung nicht nur ein schöner „utopischer“ Traum ist und auch nicht ein Fall von bloßem Predigertum, sondern daß sie zunehmend zu einer notwendigen Überlebenstrategie wird. Das gilt zunächst für viele Menschen in der „Dritten Welt“, wo das Modernisierungsprogramm schon zusammengebrochen ist und wo den Arbeitern gar nichts anderes übrig bleibt, als wieder aufs Land zu gehen. Die meisten Menschen denken, eine solche „Rück–Entwicklung“ käme für die Industrieländer nie mehr in Frage. Sie haben vor wenigen Jahren ja auch nicht daran geglaubt, daß einmal das Ende der Vollbeschäftigung kommen könnte. Angesichts der EG–“Agrarkrise“, der „Stahlkrise“, der „Kohlekrise“ und zunehmender Automatisierung und weitergehendem Abbau sozialstaatlicher Leistungen ist eine solche Perspektive auch für ein Land wie die BRD nicht mehr nur Science Fiction. Hier geht es aber darum, eine solche „Schrumpfung“ der Industrie und eine mögliche Re–Ruralisierung nicht nur als Unglück zu sehen, sondern als Chance, um zu einer wirklichen Umstrukturierung zu kommen. Was bedeutet das alles für Frauen? Meines Erachtens sind die Bedingungen für eine Frauenbefreiung im umfassenden Sinn in einer regionalen Selbstversorgungsgesellschaft viel günstiger als in irgend einem anderen System. Zwar wird es auch da keinen Auto matismus der Abschaffung des Patriachats geben, aber wenn Männer sich nicht mehr durch die Ausbeutung externer und interner Kolonien vor der lebensnotwendigen und lebenserhaltenden Substistenzproduktion drücken können, wird es viel leichter sein, die hierarchische geschlechtliche Arbeitsteilung aufzuheben, die falsche Trennung zwischen „Produktion“ und „Reproduktion“ zu beseitigen, die Männer zu entwaffnen und entmilitarisieren und damit die sexistische Gewalt zu bekämpfen. Zu einer solchen Veränderung gehörte dann auch die Forderung, daß die Subsistenzmittel wieder in Frauenhand kämen, nicht in der Form von Privatbesitz, aber in der Form einer gesellschaftlichen Kontrolle. Erst dann hätten wir eine Machtbasis, um andere Geschlechterverhältnisse aufbauen zu können. Kleine Schritte ja, aber wohin? Utopien sind kein Fahrplan ins Paradies, auch nicht für Frauen. Sie sind die Vision einer neuen Gesellschaft, die wir anstreben. Sie bieten einen Orientierungsrahmen für unsere Alltagsentscheidungen und für unsere Politik. Solche Utopien werden oft mit der Bemerkung abgewehrt, sie seien zu allgemein, sie gäben keinen Aufschluß darüber, was hier und heute zu tun sei. Notwendig seien aber die kleinen, pragmatischen Schritte im Hier und Jetzt. Diese Entgegensetzung von Utopie und kleinen Schritten ist unehrlich. Denn auch die Pragmatiker/innen folgen einer Utopie, die sie aber nicht aussprechen. Es ist meist die der Erhaltung des Status Quo und ihre kleinen Schritte gehen mehr in die Richtung der Teilhabe an der Herrschaft des Weißen Mannes als in die Richtung der Überwindung dieser Herrschaft. Manche tun sogar so, als ob man gleichzeitig in beide Richtungen gehen könnte. Sie wollen den Kuchen essen und gleichzeitig behalten. Es geht nicht um Utopien einerseits und kleine Schritte andererseits. Denn auch für die oben skizzierte Utopie gibt es kleine Schritte. Sie werden zum Teil schon von vielen Frauen und Männern hier und in der „Dritten Welt“ gegangen. Allerdings finden sie meist in einem anderen politischen Raum als dem gewohnten statt, nämlich im Alltag. Sie beruhen auch auf einem anderen Verständnis von Politik und Macht. Zu solchen Schritten zähle ich z.B. alle Versuche, die Männer schon jetzt, und nicht erst nach Erreichung der 35–Stunden Woche, an Hausarbeit und Kinderaufzucht zu beteiligen. Dazu gehören auch alle Initiativen, die durch ihre Kaufentscheidungen und andersweit die Kleinbauern und die Ökobauern in ihrem Kampf unterstützen. Hier sind auch die Erzeuger–Verbraucher–Gemeinschaften ebenso zu nennen wie Boykottaufrufe gegen die Chemie– und Pharmamultis. Viele der Aktionen, die Frauen zum Jahrestag von Tschernobyl machten, sind Schritte in die Richtung dieser Utopie, denn sie gehen von der Erkenntnis aus, daß wir unseren Alltag ändern müssen, wenn wir gegen das Zerstörungssystem kämpfen wollen. Alle solche kleinen und großen Schritte setzen eine Umorientierung voraus und befördern sie gleichzeitig. Wir überwinden unsere Ohnmacht, indem wir diese Schritte tun. Anmerkungen 1. Kölner Gruppe autonomer und grüner Frauen: Auszug aus dem Technopatriarchat, in: beiträge zur feministischen theorie und praxios, Nr.9, Köln 1983, S. 230ff; 2. Martha Mamozai; Herrenmenschen, Frauen im deutschen Kolonialismus, rororo aktuell, Reinbeck 1983; 3. Andre Gorz: Wege ins Paradies, Rotbuch Verlag, Berlin 1984, vgl. Rachael Grossmann: Womens Place in the Integrated Circuit, in: Southeast–Asia Chronicle Nr.66 1979; 4. Claudia v. Werlhof: Der Proletarier ist tot. Es lebe die Hausfrau, in: C. v. Werlhof, M. Mies, V. Bennholdt–Thomsen: Frauen, die letzte Kolonie, rororo, Technologie und Politik 20, Reinbek 1983; 5. C. v. Werlhof/M. Mies/V. Bennholdt– Thomsen: Frauen, die letzte Kolonie, a.a.O.; 6. Malcolm Caldwell: The Wealth of some Nations, Zed Books, London 1977. Dies ist der gekürzte, von Maria Mies stark veränderte Vortrag, den sie auf dem Kongreß „Frauen und Ökologie“ der Grünen Anfang Oktober 86 hielt. Mitte Juni erscheint das Buch „Frauen und Ökologie, Gegen den Machbarkeitswahn (Hg.: Arbeitskreis Frauenpolitik der Grünen im Bundestag), ca. 200 Seiten, ca. 20 DM im Kölner Volksblatt Verlag.
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