: Radikale Justiz gegen Zeitungsverteiler
■ Heute wird in Frankfurt das erste Verfahren gegen „Radikal“–Verteiler eröffnet / Von Oliver Tolmein
Der Prozeß, der heute vor dem 4. Senat des Oberlandesgerichts Frankfurt beginnt, ist knapp terminiert. Der Vorsitzende Richter Dr. Adam, ein Mann, der eher zu den Pragmatikern als zu den Scharfmachern des Staatsschutzes gezählt wird, hat gerademal zwei Verhandlungstage gegen Moses H. anberaumt. Der aus dem autonomen Spektrum kommende Hanauer ist einer der bundesweit vier angeklagten mutmaßlichen Handverkäufer der „Radikal“. Die meisten Verfahren richten sich gegen Buchläden. Ihm wird vorgeworfen, 24 Exemplare der „Radikal 132“ verkauft zu haben, weil H. nach Ermittlungen der Polizei in einem Päckchen 25 „Radikal“ erhalten hat, bei einer Hausdurchsuchung am 8. August 1986 aber nur ein Exemplar der zeitschrift in seiner Wohnung gefunden wurde. Warum ausgerechnet im angeblich „liberal–gemütlichen“ Hessen das erste Urteil in dieser Prozeßwelle gesprochen werden wird, können sich die mit den Verfahren befaßten Anwälte auch nicht richtig erklären: „Das paßt nicht recht ins Image.“ Einleuchtender ist schon, warum ein Handverkäufer als erster auf der Anklagebank landet: „Die haben sich das scheinbar einfachste Verfahren rausgesucht“, meint Hs Pflichtverteidiger Thomas Scherzberg: „In den Buchläden sind die Verantwortlichkeiten nicht klar, da ist es oft schwieriger, einzelne Personen zu beschuldigen.“ In jedem Fall wird das Frankfurter Urteil Konsequenzen für die anderen, noch ausstehenden Verfahren haben, zumal es in dem Verfahren nicht nur um Unterstützung für die RAF und Anleitung zu Straftaten geht, sondern auch um Werbung für die Revolutionären Zellen: eine Anklage, nach der bisher in der Bundesrepublik noch niemand verurteilt worden ist. Wegen des bei § 129a–Verfahren ohnedies üblichen, exemplarischen Charakters des Prozesses - auch in Hessen wurden etliche Ermittlungsverfahren in der gleichen Sache und von der gleichen Staatsanwaltschaft betrieben und dann eingestellt - werden die Kosten für Moses Hs Wahlverteidigerin von der Hanauer Bunten Hilfe übernommen. Prozeßtermin heute und 15.5. jeweils 9 Uhr, OLG–Frankfurt Gebäude A, Raum 146. Zuhörer/ innen–Eingang: Rückseite des Gebäudes.
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