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CDU: Nullösung Spaltpilz der NATO

■ CDU–Rüstungsexperte Volker Rühe beschwört die psychologischen Konsequenzen der doppelten Nullösung / FDP beharrt weiter darauf

Berlin (taz) - Bei anhaltenden Differenzen über die doppelte Nullösung sieht der Abrüstungsexperte der CDU, Volker Rühe, die Möglichkeit, daß sich die Bundesrepublik von der NATO abkoppele. Dieses verbal bislang schwerste Geschütz fuhr der stellvertretende Vorsitzende der CDU–Bundestagsfraktion am Vorabend der Tagung der NATO– Verteidigungsminister im norwegischen Stavanger auf. Damit eskaliert der Streit innerhalb der Bundesregierung, wie die Abrüstungsvorschläge von Michael Gorbatschow beantwortet werden sollen. Während sich der kleine Regierungspartner FDP unter der Federführung von Außenminister Genscher für die Abrüstung der Mittelstreckenrakteten kürzerer und längerer Reichweite stark macht, scharen sich hinter der CDU–Fraktionsspitze um Dregger und Rühe die Gegner der sogenannten doppelten Nullösung. Sowohl Bundesregierung als auch die NATO–Gremien spielen auf Zeit und wollen ihre jeweiligen Positionen erst bis zur NATO–Tagung in Reykjavik am 11. und 12. Juni klären. Dann soll eine einheitliche Position der europäischen NATO–Partner den USA unterbreitet werden, die sich bereits mit der doppelten Nullösung angefreundet haben. Die bundesrepublikanischen Gegner weitgehender sowjetischer Abrüstungsvorschläge sind derzeit dabei, die Partnerländer Frankreich und Großbritannien für ihre Positition zu gewinnen. Nach Konsultationen mit dem britischen Außenminister Howe ging dann auch Volker Rühe in die Offensive. Alle Argumente gegen die doppelte Nulllösung müßten auf den Tisch, erklärte er am Donnerstag gegenüber dpa und fing gleich damit an. Die Befürworter um Genscher wollten nämlich eine „Brandmauer“ ziehen und dann keinerlei Atomwaffen unter der Reichweite von 500 Kilometen mehr abziehen. Diese Waffen bedrohten vor allem die Deutschen, oder wie es Rühe formulierte: „Je kürzer die Reichweite, desto toter die Deutschen.“ Rühe sieht darin eine atomare Sonderbedrohung, die die BRD psychologisch von ihren westeuropäischen Partnern abkoppeln würde. „Wenn man den Neutralismus in Deutschland stärken will, dann könnte dies ein Schritt in diese Richtung sein“, sagte er und hoffe, daß es in dieser Frage, die besonders Frankreich, die BRD und Großbritannien betreffe, zu einer Übereinkunft komme. Fortsetzung auf S. 2 Im Interesse der NATO–Strategie sei es besser, eine begrenzte Zahl von Atomraketen bis 1.000 Kilometer Reichweite zu erhalten, als von 5.000 bis 500 Kilometer auf Null zu gehen. Agenturberichten zufolge wurde diese Haltung vom NATO– Militärausschuß bei der Tagung in Stavanger geteilt. Bundesverteidigungsminister Wörner, der am Vortag bei einem deutsch–französischen Soldatentreffen mit seinem Kollegen Giraud noch die „deutsch–französische Schick salsgemeinschaft“ beschworen hatte, fühlte sich in seiner Position bestätigt. US–Verteidigungsminister Weinberger habe ihm versichert, Washington hätte über das Angebot, die Raketen kürzerer Reichweite zu verschrotten, noch nicht entschieden. Eine Studie des Militärausschusses der NATO machte auf der Tagung der nuklearen Planungsgruppe in Stavanger deutlich, daß schon im Falle einer einfachen Nullösung, die von den Politikern allgemein akzeptierte Abschaffung der weitreichenden Mittelstreckenwaffen, erhebliche Anstrengungen zur Modernisierung des verbleibenden Nuklearpotentials nötig mache. Unterdessen drohte SPD–Präsidiumsmitglied Egon Bahr „härtesten Widerstand“ an, falls die Regierung eine Nachrüstung mit modernisierten Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite einführen wolle. Gegen eine mögliche Nachrüstung hatte sich auch schon FDP–Generalsekretär Helmut Haussmann ausgesprochen. Ihm folgte der stellvertretende Parteivorsitzende Gerhart Baum, der erklärte, eine neue Nachrüstung könne man „mit der FDP nicht machen“. FDP–Verteidigungsexperte Olaf Feldmann wehrte sich ebenfalls gegen eine zweite Nachrüstung, die es mit der FDP nicht geben könne. Das Hauptargument der Unionspolitiker, die angebliche konventionelle Überlegenheit der Sowjetunion von drei zu eins, versuchte der SPD–Politiker Hermann Scheer zu entkräften. Er legte eine Denkschrift vor, die zu dem Ergbenis kommt, daß die sowjetische Überlegenheit gegenüber der NATO höchstens 1,2 zu eins betrage.

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