: Kermit im Kampf mit den Eiskugeln
■ Auf dem Weg zur US–Traum–Marge von jährlich 20 Litern Eis pro Mensch wird kräftig die Werbetrommel gerührt / Der ungleiche Kampf zwischen Fabrikeis und Konditorware geht weiter / Ob aus Erinnerung an die erste Liebe oder schlichteren Geschmacksgründen: Die Deutschen treibt es mit Vorliebe in die Eisdielen
Von Horst Peter Wickel
Saison für Saison lassen sie sich einiges einfallen, die drei Eisheiligen der Bundesrepublik mit den Namen Langnese, Schöller und Dr. Oetker. In diesem Jahr schicken die Langnese–Eismänner den Frosch Kermit in den kalten Krieg, um Marktanteile auf dem Speiseeismarkt, nachdem in den vergangenen Jahren schon die Biene Maja und Pumuckl das vorwiegend junge Eisschlecker–Publikum anzogen. Mit aller Macht und allen Tricks von Marketing und Werbung versuchen die Eismänner der Bundesrepublik, den Konsum von Gefrorenem in die Höhe zu treiben. Bereits im letzten Jahr durchbrachen die Leckschmecker bei uns die Sieben–Liter–Barriere an der Eisfront. Doch im internationalen Vergleich nimmt sich das noch immer recht bescheiden aus. Warum, so fragen die Marktstrategen der kühlen Ware, schlabbern und löffeln die Schweizer, Dänen und Schweden in Europa mehr Eis als die Wohlstandsdeutschen? Ganz zu schweigen von den US– Amerikanern, die mit einem Pro– Kopf–Verbrauch von mehr als 20 Litern pro Jahr einen einsamen Weltrekord halten. Die süße Delikatesse hat schon unseren Vorfahren gut geschmeckt. Vor 5.000 Jahren sollen bereits die Chinesen ein Eis aus Wasser, Milch und Früchten zubereitet haben, und auch im alten Rom war man heiß auf Eis. In Eilmärschen schickte der Feinschmecker–Kaiser Nero Stafetten zu den Alpengletschern, um seine Gäste mit Eis - Zutaten: Rosenwasser, Honig, Früchte und Baumharz - verwöhnen zu können. Der Rückblick in die Geschichte beweist jedoch auch, daß die kühle Erfrischung jahrhundertelang nur die Gaumen von Reichen und Adeligen erfreute. Erst vor rund einhundert Jahren begann auch das einfache Volk dahinzuschmelzen. In Deutschland waren es damals italienische Eiskonditoren, die in den Norden Europas kamen und schon bald mit ihren Eiskarren die großen deut schen Städte versorgten. Anfangs war der Eisverkauf ein ambulantes Gewerbe - mit riesigen Messingglocken signalisierten die Eismänner ihr Erscheinen. Um die Jahrhundertwende öffneten die ersten kühlen Tempel ihre Pforten, und in den Eisdielen boten die Italiener die Produkte ihres handwerklichen Könnens an. Es dauerte noch bis 1924, ehe das „Eis am Stiel“ in Deutschland auftauchte und die Alleinherrschaft des Eiskarrens brach. Bereits 1930 war im Deutschen Reich eine Speiseeis–Industrie entstanden, die den Gelato–Künstlern den Markt streitig machte. Heute kaufen die Bundesbürger nur noch jedes fünfte Eis von einem Handwerksbetrieb - den Löwenanteil bringen neben den drei großen bundesdeutschen Eismännern auch weitere Unternehmen wie Motta oder Warnke an den Mann/ die Frau. Bis zu 40.000 Stieleisexemplare stellt eine moderne Maschine heutzutage in der Stunde her. Weitaus lukrativer für die Eis industrie ist jedoch der Markt der Haushaltspackungen, die auch im Winter ihre Abnehmer finden. Knapp 40 Prozent des Jahres–Umsatzes mit den kalten Waren wird in den kalten Wintermonaten gemacht. Die 4.800 Eisdielen, die nur in der Zeit zwischen März und September eines Jahres geöffnet haben, müssen allerdings ihr Geschäft in diesem Zeitraum machen - auf immerhin rund 770 Millionen Mark Umsatz mit Gefrorenem kamen sie im vergangenen Jahr. Insgesamt leben etwa 20.000 Personen, meist Familienmitglieder, vom eisigen Geschäft. Ihr Vorteil auch heute noch: Das handwerklich hergestellte Speiseeis genießt bei den deutschen Leckermäulern einen besseren Ruf als die maschinell produzierte Industrieware. Gleichwohl versuchen Langnese, Schöller und Dr. Oetker, ihren Marktanteil zu vergrößern und den Eiskonsum insgesamt auf neue eisige Spitzen zu treiben. Immer neue Produkte werden kreiert, viel Geld für Werbung ausgegeben. Die Vordrucke für Eiskarten zeichnen sich durch edle Kartons und aufwendigen Vierfarbdruck aus, und auch in der Film– und Fernsehwerbung bestechen die Eismänner mit witzig–spritzigen, visuell hervorragend umgesetzten Spots, die aus dem müden Bla–Bla der anderen Werbetreibenden weit herausragen. In den Kühltruhen des Lebensmittelhandels haben die Eispackungen längst schon einen festen Platz gefunden - dazu einen sehr rentablen. Wie eine Studie im Auftrag der Firma Schöller (“Möwenpick“) feststellte, bewirkt Speiseeis bei den Tiefkühlprodukten bei einem Raumanteil von 23,7 Prozent einen Umsatzanteil von 32,2 Prozent. Kinder werden sich die süße (stark gezuckerte) Köstlichkeit auch in Zukunft kaum madig machen lassen, da helfen auch die Warnungen von Kinderärzten und Ernährungswissenschaftlern wenig. Ob allerdings Kermit in dieser Eissaison das Rennen machen wird, entscheiden die Eisliebhaber erst in den nächsten Monaten.
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