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Algeriens Anklage gegen Frankreich

■ Die algerische Presse betrachtet den Prozeß gegen Barbie als Aufforderung zu einem Prozeß gegen den Kolonialismus

Paris (dpa) - Der Prozeß gegen den einstigen Gestapo–Chef von Lyon, Klaus Barbie, hat in Algerien alte Wunden wieder aufgerissen. Die von der Regierung kontrollierte Presse fragte einhellig nach Frankreichs juristischer und moralischer Berechtigung, dem einstigen SS–Offizier den Prozeß zu machen. „Frankreich klagt einen Verbrecher an, wer aber wird seine eigenen Kriminellen anklagen?“ fragte das Wochenblatt der sozialistischen Einheitspartei „Revolution africaine“ und meinte, auch Algerien habe „seine Barbie und Himmler“ in der Person von französischen Offizieren. Die Wochenzeitschrift „Algerie–Actualite“ nannte an erster Stelle die führenden französischen Generäle von Bigeard bis Massu, die acht Jahre lang vergeblich versucht hätten, den algerischen Befreiungskrieg (1954–1962) mit Methoden zu gewinnen, die der SS in nichts nachgestanden hätten. Die Erinnerung an französische Greueltaten kam in Algier nicht von ungefähr. Nahezu in regelmäßigen Abständen gibt es in dem nordafrikanischen Land Veröffentlichungen über Leichenfunde, die nach algerischer Darstellung auf Konzentrationslager, Massenhinrichtungen und Folterungen durch die Franzosen schließen ließen. Frankreich reagiert darauf nicht. Die algerischen Blätter vermerken deshalb bitter, daß alle Versuche algerischer Familien, gegen die französischen Folterknechte vor Gericht zu ziehen, von Frankreich abgewiesen worden seien. Gleich nach dem Krieg erließ die französische Regierung eine Generalamnestie, die die Verfolgung dieser Verbrechen unmöglich machte. Aus den Kommentaren spricht die politische Absicht, den Prozeß von Lyon als Aufforderung zu einem historischen Prozeß gegen den Kolonialismus zu benützen. Schließlich spielt auch Barbies Anwalt Verges eine Rolle. Er war Anfang April in Algier und hat dort vor Anwälten sein Plädoyer gegen Frankreich gehalten.

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