: Wie deutsch denkt die Jugend?
■ Christdemokraten machten sich bei einer CDU–Juristentagung Gedanken über den Begriff der „Deutschen Nation“ / Konzepte und „geistige Führung für die Jugend gesucht - und nicht gefunden
Aus Bremen Klaus Wolschner
Eine Reihe christdemokratischer Denker und Politiker saß am Wochenende in Bremen auf dem Podium, alle ein halbes Jahrhundert lebenserfahren. Eine Frage sorgte für Unruhe unter ihnen: Wohin treibt die deutsche Identität der Jugend? Peter Jochen Winters, FAZ–Redakteur und sozusagen als Experte für die DDR–Jugend auf dem Podium, sah die „Einheit der Nation in der Bundesrepublik im Schwinden“. Während die gemeinsame Identität in „einer Nation“ für die DDR–Bewohner selbstverständlich und die Propaganda von der „sozialistischen DDR–Nation“ gescheitert sei, fehle es hierzulande an „Führung“. Die Bundesregierung zeige sich „ratlos“, wie der Weg zur Wiedervereinigung aussehen könne, der „Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung“ sei damals, 1969, aufgelöst worden - ein „Vakuum“ sei entstanden bei der Jugend, das mit Idealen gefüllt werden müsse. Konkret schlug Winters eine „Denkfabrik“ vor, die ein Konzept zu erarbeiten habe, wie die Zeit bis zur Wiedervereinigung zu überbrücken sei. Auch der Berliner Innensenator Kewenig sah bei der Jugend Bedarf: „Konzepte anbieten“ müsse man, wobei er aber weniger den Bundeskanzler im Auge hatte: das „Zusammenfallen von politischer und geistiger Führung“ sei oft „unrealistisch“. Ein richtiges „Konzept“ hatte der vor wenigen Jahren aus der DDR übergesiedelte Prof. Herrmann von Berg. Die für die Ostblockländer wichtigen Handelskontakte müßten aufgekündigt werden, um den wirtschaftlichen Druck zu verstärken, und dann müsse rechtzeitig zum 50jährigen Jahrestag des Kriegsendes ein „Friedensvertrag“ vorgelegt werden, der die Jugend ergreife, die DDR gehörig in Verlegenheit bringe und auch die westdeutsche Friedensbewegung, die für Berg Satellit der SED ist. Bergs Rede, in der er der neuen Gorbatschow–Politik jeglichen guten Willen absprach, erhielt ordentlich Beifall in der Runde der christdemokratischen Juristen, bevor Kewenig heftig widersprach: Der „Friedensvertrag“ sei „das Falscheste, was man diskutiere und bewegen kann“, damit werde heute nur die Verantwortung der Siegermächte und die Teilung festgeschrieben. Der CDU–Fraktionspolitiker Volker Rühe, mit seinen 45 Jahren Benjamin in der Runde und ohne die emotionalen Regungen, die die Älteren bei der Jugend so sehr vermißten, konnte weder in einem Friedensvertrag noch in „Wiedervereinigungsplänen auch noch mit Fristen“ einen Sinn sehen. Für Rühe ist die deutsche Einheit nur „langfristige Aufgabe“, heutige Politik habe „demgegenüber“ die Aufgabe, die „erlebbare Entspannung“ im deutsch–deutschen Alltag zu fördern. Deshalb engagiert er sich auch gegen die Null–Null– Abrüstung. Ein atomwaffenfreies Deutschland würde das psychologische Problem „Wie erhalte ich die Zustimmung zur nuklearen Abschreckung“ (der USA) stellen. Denuklearisierung wäre nur sinnvoll, wenn man „Wiedervereinigung als absoluten politischen Wert“ sehe. Gegen diese, von der konservativen Bundesregierung seit der Wende praktizierte demonstrative deutschlandpolitische Abstinenz, hatte die Tagung der Christdemokraten den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, als Hauptreferenten geladen. Der sprach - als einziger - die „entsetzlichen Verbrechen unserer jüngsten Geschichte“ an, die immerhin am Anfang der Spaltung standen, und benannte auch unverblümt die rhetorisch so überladene Politik der 50er Jahre: Adenauer habe Deutschland behandelt „wie einen gebrochenen Knochen: ... einfach stillgelegt.“ Herzog will die deutsche Frage aber nicht den „Marktschreiern“ überlassen, wenn die europäische Idee mangels geistigen Konstitutionsprinzips sich auf das „Europa der Vaterländer“ reduziert. Nation ist für Herzog ein „geistiger Sachverhalt“, ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit als tägliche Volksabstimmung. Kein „vaterländisches Trara“, keine „markigen Sprüche“ dürften diese Zusammengehörigkeit ausdrücken, sondern „Rücksicht, Takt und Altruismus“. „Ich frage mich oft“, erklärte Herzog, „ob wir unsere junge Generation, die das ganze Deutschland entweder gar nicht oder nur in seiner verzerrtesten Form kennengelernt hat, darauf genug vorbereitet haben.“ „Sinnlos“, sei der Nationsbegriff, wenn die gemeinsame Staatlichkeit nicht mehr angestrebt werde. Die christdemokratische Versammlung gelangte dann jedoch wieder zu dem faden Realismus, der bei Herzog Unbehagen auslöste: daß die deutsche Frage derzeit nur „offenzuhalten“ sei.
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