: Irlands Neutralität steht auf dem Spiel
■ Mit einem Referendum stimmen die Iren über ihre faktische NATO–Einbindung ab
Eigentlich geht es bei der heutigen Volksabstimmung in Irland um eine höchst formale Geschichte: die Zustimmung oder Ablehnung zur Einheitsakte der EG. Dahinter verbirgt sich jedoch brisanter Sprengstoff. Da die Akte eine Vereinheitlichung der Außenpolitik der Gemeinschaft vorsieht, Irland aber als einziges EG–Land nicht zur NATO gehört, hat das irische Verfassungsgericht die EG–Akte als unzulässigen Eingriff in die Souveränität der Insel abgelehnt. Abgestimmt wird deshalb über eine Verfassungsänerung.
Die Europäische Einheitsakte, über die die irische Bevölkerung heute in einem Referendum zu entscheiden hat, kann in den zwölf Ländern der Europäischen Gemeinschaft nur in Kraft treten, wenn sie von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert wird. Bis auf Irland haben die EG–Länder die Akte vereinbarungsgemäß bereits im letzten Jahr ratifiziert - in Dänemark allerdings auch erst nach einem Volksentscheid, der mit 44% Gegenstimmen sehr knapp ausfiel. In Irland verhinderte der Oberste Gerichtshof, daß die Einheitsakte stillschweigend und von der Bevölkerung unbemerkt ratifiziert werden konnte. Das Gericht gab im März der Klage des Wirtschaftswissenschaftlers Raymond Crotty gegen die irische Regierung statt und erklärte Teil III der Einheitsakte für verfassungswidrig: die Verlagerung außenpolitischer Entscheidungen in die EG–Gremien gefährde Irlands Souveränität. Neue Regierung geht auf EG–Kurs Die irische Regierung legte in großer Eile den Termin für das Referendum fest, mit dem die Verfassung geändert und die Ratifizierung der Akte ermöglicht werden soll. Regierungschef Haughey, der als Oppositionsführer bis zu den Wahlen im Februar noch erklärter Gegner der Einheitsakte war, hat seit seinem Amtsantritt eine 180–Grad–Wende vollzogen. In einer großangelegten (und aus Steuergeldern finanzierten) Kampagne beschwört die Regierung die Bevölkerung, als „gute Europäer für die Verfassungsänderung“ zu stimmen. Die Ablehnung der Akte würde Irland in eine „politische, ökonomische und kulturelle Wüste verwandeln“. Sowohl die irische Regierung als auch beide großen Oppositionsparteien, Industrievereinigungen und Bauernverbände malen das Schreckgespenst an die Wand, daß Europa unweigerlich den Geldhahn zudrehen werde, falls Irland das Inkrafttreten der Einheitsakte verhindere. Haughey griff daher freudig angebliche Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Bangemann auf, der dem irischen Industrie– und Handelsminister Reynolds Anfang des Monats in Bonn gesagt haben soll, die Ablehnung der Akte mache die Iren zu „europäischen Bürgern zweiter Klasse“. Westdeutsche Investitionen würden sicher stark zurückgehen. In Bonn löste Reynolds Behauptung zwar offiziell Empörung aus und Bangemann erklärte, er wolle sich nicht in die irische Innenpolitik einmischen. Doch wenige Tage später zitierte die Irish Times einen Bonner Regierungsbeamten, wonach Bangemann zwar besagte Drohung ausgesprochen, sich aber diplomatischer ausgedrückt habe. Die Gegner arbeiten mit bescheidenen Mitteln Die Gegner der Einheitsakte haben sich in der „Koalition für Frieden und Neutralität“ organisiert und versuchen mit bescheidenen finanziellen Mitteln, der gezielten Panikmache und Desinformation entgegenzuwirken. Die Koalition nutzte die Popularität von Petra Kelly und Gert Bastian in Irland und lud die beiden Bundesgrünen zu Pressekonferenzen und Veranstaltungen in Dublin und Cork ein. Kelly und Bastian wiesen auf die Gefahren des dritten Teils der Einheitsakte hin. Dieser Teil lege fest, daß die Außenpolitik der EG mit den Zielen der NATO übereinstimmen müsse. Dadurch wäre Irland als einziges EG–Land, das nicht NATO–Mitglied ist, eng an die NATO–Politik angebunden. Kelly und Bastian befürchten außerdem, daß die Ratifizierung der Einheitsakte den irischen Widerstand gegen die Wiederaufbereitungsanlage Sellafield an der britischen Westküste bedeutungslos machen würde. Der Text der Akte bestimmt, daß die unterzeichnenden Staaten die „für die (militärische) Sicherheit notwendigen technologischen und industriellen Bedingungen erhalten“ müssen. Da Sellafield das Plutonium für die britischen Atomsprengköpfe liefere, wäre es durch die Einheitsakte vor Forderungen nach Schließung geschützt. Darüber hinaus zitierte Petra Kelly den Präsidenten der EG–Kommission, Jacques Delors, der für eine gemeinsame Waffenproduktion der zwölf EG–Länder (also einschließlich des „neutralen“ Irland) plädiert, um den Geldsegen nicht alleine den USA zu überlassen. Was soll die Neutralität? Weitere Unterstützung erhalten die Gegner der Einheitsakte von eher unerwünschter Seite. Die reaktionäre katholische Organisation „Family Solidarity“ rief dazu auf, gegen die Verfassungsänderung zu stimmen, da zu befürchten sei, daß Irland nach Ratifizierung der Akte gezwungen werden könne, Abtreibung und Scheidung zu legalisieren. Letzte Meinungsumfragen deuten darauf hin, daß die Befürworter der Europäischen Einheitsakte heute einen klaren Sieg bei sehr niedriger Beteiligung erringen werden. Die irische Bevölkerung scheint die angeblich drohenden Kürzungen der EG–Subventionen mehr zu fürchten als die Aufgabe der Neutralität, die ohnehin nur negativ formuliert ist: Solange ein NATO–Land (nämlich Großbritannien) einen Teil Irlands besetzt halte, könne man nicht Mitglied dieser Organisation werden. Eine Leserin formulierte es in einem Brief an die Sunday Tribune drastisch: „Was soll das Gerede von Neutralität? Großbritannien war im letzten Weltkrieg nicht neutral, aber in der englischen Hauptstadt London sind keine Kriegsspuren zu sehen. Dublin dagegen, die Hauptstadt des neutralen Irland, sieht dank der katastrophalen Baupolitik aus, als sei sie erst gestern von der deutschen Luftwaffe angegriffen worden.“ Ralf Sotschek
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