piwik no script img

Vom Atom–Saulus zum Umwelt–Paulus?

■ Preiskonkurrenz, Zahlungsschwierigkeiten der Abnehmerländer und stagnierender Stromverbrauch machen das Atomgeschäft zum Flopp / Atom–Konversion funktioniert nicht auf Knopfdruck / Das Umweltgeschäft haben die Kernkraftmultis weitgehend verpaßt / Gewerkschaft schwenkt um auf „alternative“ Produkte

Von Thomas Gesterkamp

Grund zur Beunruhigung haben die rund 50.000 Mitarbeiter der Atomwirtschaft nicht erst seit Tschernobyl. Die Ausstiegsdiskussion traf eine Branche, in der schon seit Ende der siebziger Jahre Flaute herrscht. Die harte Preiskonkurrenz vor allem der Franzosen und die Zahlungsschwierigkeiten der Dritten Welt haben das Exportgeschäft geschmälert. Im eigenen Land stagniert seit zehn Jahren der Stromverbrauch. Die Chancen, neue Aufträge für Kernkraftwerke in der Bundesrepublik zu erhalten, gehen gegen Null. Nicht ein einziges zusätzliches AKW planen die Energieversorgungsunternehmen im nächsten Jahrzehnt. Schwierigkeiten hat besonders die Kraftwerk Union (KWU) in Mülheim/Ruhr. Der mit 13.500 Mitarbeitern größte Hersteller von Reaktoren in der Bundesrepublik versuchte in den letzten Jahren vergeblich, mit Ägypten, China und der Türkei handelseinig zu werden. Doch selbst nach dem sowjetischen Atomdesaster setzten die KWU– Manager weiter auf Kernenergie. Die Unternehmensspitze gab sich zuversichtlich: Zwei oder drei neue Atomkraftwerke werde die Siemens–Tochter allein in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2000 mindestens noch bauen. KWU– Sprecher Lothar Trappe im Sommer 1986: „Wir glauben, daß sich nach der sehr emotional geführten Diskussion letztendlich doch die Vernunft durchsetzt.“ Mittlerweile hat die Vernunft solch trotzigen Optimismus eingeholt. Siemens will die bislang selbständige Tochterfirma im Oktober 1987 in den neuen Unternehmensbereich „Energietechnik“ integrieren. Für diese Entscheidung führt der Münchner Elektrokonzern zwar vor allem organisatorische Gründe an. Aber sicherlich ging es auch darum, die KWU aus den negativen Schlagzeilen herauszubringen. Nicht zuletzt wegen des flauen AKW–Marktes ist der Umsatz von Siemens 1986 um zehn Prozent zurückgegangen. Nicht ein einziger Atomreaktor kam in diesem Zeitraum zur Abrechnung. Der KWU–Umsatz sank von 11,4 auf 2,7 Milliarden Mark, also auf ein Viertel des Vorjahresbetrages. Eine Umstellung der Produktion fordert das Beschäftigungskonzept, mit dem die IG Metall die rund 4.000 akut gefährdeten Arbeitsplätze im Kraftwerks–Neubau der KWU retten will. Selbst die Betriebsräte der Atomfirma, die im letzten Jahr noch wütende Attacken gegen den Ausstiegsbeschluß auf dem DGB–Bundeskongreß geritten hatten, sind mittlerweile auf eine „alternative“ Unternehmenspolitik in Richtung Umwelttechnik umgeschwenkt. Die Mitarbeiter sollen sich in Zukunft für die Sonnenenergie begeistern, neue Verfahren der Entschwefelung von Kohlekraftwerken erforschen oder Filter für die Müllverbrennung entwickeln. Doch Vorstandsmitglied Max Ludewig warnt vor zu großen Hoffnungen: „So schnell kann keine Firma umgestellt werden.“ Zu lange hat die KWU auf die atomare Monostruktur gesetzt. Mehr Gedanken hat sich das Tochterunternehmen „Interatom“ gemacht, eine ebenfalls zum Siemens–Konzern gehörende Forschungs– und Entwicklungsfirma in Bergisch– Gladbach bei Köln, wo 1.700 Beschäftigte vorwiegend an der Brüter– und der Hochtemperaturtechnik arbeiten. Zwar fallen für die Interatom– Spezialisten, die den Prototyp des Schnellen Brüters in Kalkar entwickelt haben, noch umfangreiche Wartungsarbeiten an. Aber im wesentlichen entwickeln die Ingenieure bereits Nachfolgereaktionen, deren Bau noch ungewisser ist als die Inbetriebnahme des Brüters am Niederrhein. Die Anzeichen einer Krise im Atomgeschäft veranlaßten den Betriebsrat von Interatom schon vor zehn Jahren, die Firmenleitung auf eine Umstellung der Produktion anzusprechen. Interatom setzt auf den sogenannten „Spin off“–Effekt: Abfallprodukte der Atomtechnik sollen für den Umweltschutz nutzbar gemacht werden. Als Vorbild gilt die berühmte Teflonpfanne, die beim amerikanischen Weltraumprogramm angeblich nebenbei abfiel. Peter Schwegmann, der Leiter der Abteilung Umwelttechnik: „Bei uns geht die Suche nach neuen Geschäftsfeldern nach dem Motto: Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ So bauten die Interatom–Spezialisten in Spanien ein riesiges Solarkraftwerk, das mit Natrium gekühlt wird - wie der schnelle Brüter in Kalkar. Das Hochtemperatur–Löten, für den Reaktor in Hamm–Uentrop entwickelt, leistet heute beim Bau von metallischen Katalysatorträgern für Autos gute Dienste. Laser–Schweißanlagen, neuartige Beschichtungsverfahren und umweltfreundliche Abfallbeseitigung sind andere Beispiele für eine neue Nutzung des atomaren Know– Hows. Fünfzig Prozent seines Umsatzes will Interatom bis 1990 mit Umweltschutzprodukten erzielen. Doch die Wandlung vom Atom–Saulus zum Öko–Paulus braucht ihre Zeit. Sonnenenergie zum Beispiel, das wichtigste Aushängeschild der Umstellungsbestrebungen, ist für Interatom weiterhin ein Minusgeschäft - unter anderem wegen der jahrzehntelangen einseitigen staatlichen Förderung der Kernenergie. Zwar sind im Bundeshaushalt 1987 die Forschungsgelder für Alternativen zum Atomstrom von 196 auf 233 Millionen Mark erhöht worden - also um fast 20 Prozent. Doch die Nuklearindustrie kassiert in diesem Jahr fast das Vierfache: 867 Millionen Mark. Weder die Bundesregierung noch die Atomkraftwerksbauer haben sich von ihrem liebgewonnenen Kind endgültig verabschiedet. Der zweite große Hersteller von AKWs in der Bundesrepublik, der deutsch–schweizerische Elektrokonzern Brown Bovery und Companie (BBC) in Mannheim, setzt auf die Hochtemperaturtechnik, seit schwere Planungsmängel beim Bau des Leichtwasserreaktors in Mülheim–Kärlich zu Verlusten von einer halben Milliarde Mark und 2.000 Entlassungen geführt haben. Von den 36.000 Beschäftigten, die neben Kraftwerken und Industrieanlagen auch Motoren, Kabel und Schalter herstellen, wären rund 1.000 Mitarbeiter direkt von einem Verzicht auf Kernenergie betroffen. Doch die Atomkraft hat bei BBC nachhaltigere Spuren hinterlassen, als die nackten Zahlen ausdrücken können. Ganze Fertigungsstätten wurden in den letzten zwanzig Jahren auf die Produktion von Großanlagen umgestellt. Sie jetzt wieder umzurüsten, ist nahezu unmöglich. BBC– Betriebsrat Dieter Münch: „Man kann diese Technologie ja nicht einfach auf Eis legen.“ Die Entwicklung gänzlich anderer Produkte steckt bei den Kraftwerksbauern noch in den Kinderschuhen. Vom Aufschwung der Umweltbranche werden Firmen wie BBC oder KWU, die sich erst jetzt Gedanken um eine Umstellung machen, nur wenig profitieren. Denn lange Forschungsarbeiten sind notwendig, ehe ein Produkt die notwendige technische Reife erreicht hat. „Wer heute gut im Geschäft ist, hat schon vor mindestens fünfzehn Jahren mit der Umweltschutztechnik begonnen“, sagt Klaus Schöttle von der Deutschen Babcock in Oberhausen. Nach einem kurzen Intermezzo in der Kernenergie hat sich die ehemalige Kesselbau–Firma schon seit den sechziger Jahren auf ökologische Produkte spezialisiert. Zwar ist die Bezeichnung „Umweltkonzern“, mit der sich die Firmenleitung gerne schmückt, reichlich übertrieben. Aber immerhin ist die Abhängigkeit vom Atomstrom bei der Babcock auf unter zehn Prozent gesunken - eine Zahl, von der die Kraftwerk Union nur träumen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen