piwik no script img

Biowaffen oder Impfstoffmittel?

■ Vor Gericht soll geklärt werden, ob in der BRD Biowaffenforschung betrieben wird / Von Kuno Kruse

Wo ist die Grenze zwischen ziviler und militärischer Forschung? Diese Frage sollte gestern vor Gericht entschieden werden, nachdem die Gentechnologen Moenning und Kaaden vom Virologischen Institut der Universität Hannover den Landesgeschäftsführer der niedersächsischen Grünen, Kiper, auf Unterlassung ehrenrühriger Behauptungen verklagt hatten. Kiper, früher an eben jenem Institut beschäftigt, hatte öffentlich erklärt, seine früheren Chefs betrieben Forschung an biologischen Kriegswaffen. Was hat ein Tierarzt mit der Landesverteidigung zu tun? Das fragte sich auch der Mikrobiologe und niedersächsische Landesgeschäftsführer der Grünen, Dr. Manuel Kiper, als er davon erfuhr, daß ein High–Tech Veterinär seine Forschung durch das Bundesverteidigungsministerium finanzieren lassen wollte. Als sich dann in dem Förderungsantrag unter dem unverfänglichen Arbeitstitel „Herstellung Monoklonaler Antikörper gegen Bakterien“ als unauffällige Referenz ein Verweis auf ein „Vorgespräch mit Herrn Thon von der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle in Munster“ fand, war er des Rätsels Lösung schnell auf der Spur. Doch das Detektivspiel in der Welt der Wissenschaft hat den grünen Gentechnologieexperten jetzt vor den Kadi gebracht. Kiper, der bereits seit einer Weile einen kritischen Blick auf das wissenschaftliche Wirken seiner ehemaligen Professoren Volker Moenning und Oskar Rüdiger Kaaden am Fachbreich Virologie der Tierärztlichen Hochschule in Hannover geworfen hatte, teilte in einer Pressekonferenz mit, in dem zivilen Institut „sollen Pest– und Milzbrandforschung für die Militärs anlaufen“. Hilfsdienste für die Entwicklung biologischer Waffen. Eine „ehrenrührige“ Behauptung, wehrte sich das Land Niedersachsen, vertreten durch den Rektor der Tierärztlichen Hochschule, unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 50.000 DM, ersatzweise sechs Monate Haft gegen die als „verleumderisch empfundenen Angriffe“ auf ihre Professoren. Dieser Forschungsantrag hätte das Institut nie verlassen. Dabei hatte Prof. Moenning für eine publizistische Breitseite längst Anlaß genug geliefert. Bereits seit dem 1. September 1985 wurden dem Institut für Virologie an der Tierärztlichen Hochschule Förderungsmittel aus dem Verteidigungsetat zuteil, wie die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen in Bonn bestätigte. Und das war immerhin eine bundesdeutsche Premiere. Zum ersten Mal - ein internationales Abkommen, das die Entwicklung biologischer Waffen zu Angriffszwecken verbietet, liegt 15 Jahre zurück - arbeiteten zivile Virologen offiziell für die Bundeswehr. So leicht 1972 der Abschied von einer Waffe gefallen war, die aufgrund technischer Unzulänglichkeiten Freund und Feind nicht recht voreinander zu unterscheiden wußte, so schwer tun sich die Militärstrategen nach der rasanten Entwicklung der Gentechnologie heute damit, die Reagenzgläser im Kriegsmuseum zu lassen. Zu ihrem Soldatenglück blieb die Impfstoffentwicklung für Verteidungszwecke weiterhin erlaubt. Doch diese setzt, nach übereinstimmender Aussage unabhängiger Wissenschaftler, auch den Besitz des todbringenden Erregers zwecks Antikörperentwicklung voraus. Erster Zahlungsempfänger aus der bundesdeutschen Kriegsschatulle war neben Prof. Moenning auch Institutsleiter Prof. Kaaden. Die selbstgesetzte Aufgabe der unabhängigen Forscher: die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Abo–Viren, eine durch Insekten übertragene Erregerart, die schon seit längerer Zeit das Interesse der Biowaffenforscher geweckt hat. Doch ihre Forschung, so die Tierärzte, diene „ausschließlich humanistischen Zwecken“. Tatsächlich befällt z.B. das Abo–Virus, Verursacher der Zecken–Encephalitis - eine durch diese gemeinen Beißer übertragene Hirnhautentzündung -, in höchst seltenen Einzelfällen auch Menschen in der Bundesrepublik. Hiergegen allerdings existiert bereits ein Impfstoff. Doch um Mißverständnisse auszuräumen, definiert Prof. Moenning selbst die Aufgabenstellung genauer: „Es sei ein Anti–Gen zu finden, das möglichst gegen mehrere Vertreter der Alphavirusgruppe schützt.“ Also gegen die auch als Kampfstoffe gebräuchlichen Unterarten der rund 400 Abo–Viren, wie der „venezuelanischen Pferdeencephalitis“ oder des „Chikunguyavirus“, von dem unlängst größere Mengen aus den US–Sicherheitslabor in Fort Detrick auf ungeklärte Weise verschwanden. Sie gelten seit langem als Steckenpferd der Biowaffen–Protagonisten. „Militärische Nutzung gleichgültig“ Was damit beabsichtigt ist, liest sich in einer Bundestagsdrucksache dann bisweilen auch deutlicher, als es aus dem Mund eines auf sein ziviles Renommee bedachten Professors klingt. „Die Entwicklung von Impfstoffen gegen potentielle B–Kampfstoffüberfälle ... ist ... auch im zivilen Bereich verwendbar. Da das über wiegende Interesse für solche Impfstoffe aber beim Verteidigungsministerium liegt, wird von dort die Entwicklung veranlaßt“, heißt es dort schwarz auf weiß auf die diesbezügliche Anfrage der Grünen. Forscher sind es gewöhnt, aus allen verfügbaren Geldquellen zu schöpfen, und Prof. Moenning gibt sich gelegentlich, wie gegenüber dem Fernsehmagazin „Report“ auch freimütiger: „Die Finanzierung durch die Bundeswehr ist uns willkommen, militärische Nutzung ist mir gleichgültig.“ Woher sollten denn auch die plötzlichen Berührungsängste zwischen den freien Forschern und den Standeskollegen aus der Offizierslaufbahn gekommen sein? Schließlich hatten Moenning und Kollege Thon aus Munster bereits gemeinsam ihre wissenschaftlichen Arbeiten unter dem Namen der Tierärtzlichen Hochschule veröffentlicht und die Erwähnung des Militär–Instituts, für das Thon tätig ist, vergessen. Munster gilt in der Welt der Mikrobiologen auch nicht gerade als wissenschaflich führende, dafür aber als traditionsreiche Adresse. Das strengbewachte Areal unweit eines der größten deutschen Truppenübungsplätze in der Lüneburger Heide nannte sich einst „Heeresversuchsstelle Munster Nord“ und war für die Produktion von chemischen Waffen zuständig. Heute steht auf dem unauffälligen Schild neben dem Eingang „wehrwissenschaftliche Dienststelle der Bundeswehr für ABC Schutz“ und das „B“ für Biologische Kampfstoffe darf durchaus als zeitgemäße Erweiterung ihres Aufgabengebietes aufgefaßt wer den. Denn in dem von militärischen Geheimnissen umwitterten Ort sind nach Informationen von Report längst Versuchstiere zur Erprobung von schützenden Impfstoffen erste Opfer neuerwachter Ängste der Overkill–Strategen des westlichen Bündnisses vor einer plötzlich ausgemachten „Genlücke“ im Militärischen Abwehrsystem geworden. „Neue Beweise“ dafür, so US–Verteidigungsminister Caspar Weinberger „daß die Sowjetunion ihr Entwicklungsprogramm für die biologische Kriegführung nicht nur beibehalten hat, sondern auch Möglichkeiten der Gentechnologie prüft, um ihr Programm entsprechend zu erweitern“, führten 1984 zur Bewilligung eines zusätzlichen Testlabors für Biologische Kriegführung in der Wüste von Utah. Allein im folgenden Jahr wies der Haushaltsplan des Pentagon 60 Mio. Dollar für die Herstellung von Impfstoffen gegen potentielle Biowaffen auf. Keine moralischen Skrupel Bereits 1982 haben die US–Militärs ein deutsches Forschungsinstitut um Mithilfe ersucht, die Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GFB) in Braunschweig. Doch der angesprochene Wissenschaftler Dr. John Collins lehnte das Ansinnen aus moralischen Gründen ab: „Die notwendigen Forschungen zur Abwehr biologischer Waffen sind identisch mit denen zur Entwicklung biologischer Waffen.“ Von derlei Skrupel scheint Moennig bisher nicht heimgesucht zu sein. Ganz im Sinne der deutsch–amerikanischen Freundschaft geht der Professor aus Hannover auch einmal auf Goodwill– Tour in die Staaten, und sorgt für den Erfahrungsaustausch zwischen den Biologen des Militärforschungsinstituts „Unsamriid“ im Bundesstaat Maryland - dort wo auch das umstrittene Hochsicherheitslabor Fort Detrick steht - und seinem bescheideneren Pendant in der Lüneburger Heide. In den USA, berichtete er der Bundeswehrdiensstelle, sei man an „Vorräten“ von in der Bundesrepublik „gereinigten“ Botulismustoxin, einem hochgiftigen Bakterium interessiert, das sich auch auf natürliche Weise, z. B. in verdorbenen Konserven bildet. Seit westliche Geheimdienste im Blut verunglückter sowjetischer Soldaten, dessen sie sich nach dem Einmarsch der Roten Armee in die Tschechoslowakei bemächtigt haben wollen, angeblich Antikörper gegen dieses tödliche Bakteriengift gefunden haben, geistert es als Kampfstoff par excellence durch die Köpfe westlicher Militärs.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen