: Widersprüche im Sare–Prozeß
■ In der Verhandlung gegen zwei Polizisten, die den Wasserwerfer steuerten, sagte der Einsatzleiter aus / Fahrzeug wurde entgegen seiner Anordnung vorgezogen / Verhandlung wird am Montag fortgesetzt
Aus Frankfurt Reinhard Mohr
Am zweiten Verhandlungstag im Prozeß vor dem Landgericht Frankfurt gegen zwei Polizeibeamte, denen die fahrlässige Tötung des Demonstranten Günter Sare vorgeworfen wird, ergab die fast vierstündige Befragung des ersten Zeugen ein vergleichsweise detailliertes, aber auch widersprüchliches Bild des Geschehens vom 28. September 1985. Damals hatte der von den beiden Angeklagten gesteuerte bzw. kommandierte Wasserwerfer (Einsatzgewicht 26 Tonnen) im Verlauf von Protesten gegen eine NPD–Versammlung in Frankfurt den 36jährigen Sare überrollt und getötet. Während der „Kommandant“ Winfried Reichert zu Beginn des Prozesses erklärt hatte, keine Aussage zur Sache machen zu wollen, hatte der Fahrer des Wasserwerfers IV/1, Helwig Hampl, ausführlich seine Sicht der Ereignisse wiedergegeben. Als er gegen 21 Uhr auf mündliche Weisung des Einsatzleiters vor Ort seinen Wasserwerfer „mit Blaulicht, Fahrlicht und Martinshorn“ auf die Kreuzung Frankenallee/Hufnagelstraße zugesteuert habe, sei für ihn der Kreuzungsbereich „völlig frei“ gewesen. Erst als Kommandant Reichert rief: „Halt an, ich glaube, wir haben einen erwischt!“ ließ er den 26–Tonner „ausrollen“, war danach „nervlich total fertig“ und konnte sich das Ganze „überhaupt nicht erklären“. Die Aussage des Zeugen Wolfgang Remann, polizeilicher Einsatzleiter der drei Hundertschaften rund ums „Haus Gallus“, wo die NPD ihre „Auftaktveranstaltung“ zum Bundestagswahlkampf abhielt, ließ die Behauptung noch fragwürdiger erscheinen, die fünfköpfige Besatzung des mit „Panoramablick“ ausgestatteten grünen Monstrums mit der Typenbezeichnung „WaWe 9“ habe rein gar nichts davon bemerkt, daß sie im Begriff war, einen Menschen zu überfahren. Die entscheidende Situation schilderte Einsatzleiter Remann so: Nachdem „die Polizeikräfte“ von den um etwa 20 Uhr noch verbliebenen „vierhundert gewaltbereiten Störern“ mit „massivem Bewurf“ eingedeckt worden waren, ordnete Remann mehrfach „Wasser marsch“ an. Nach weiteren „Angriffen auf die Einsatzkräfte im Kreuzungsbereich Frankenalle/Hufnagel straße“ befahl „Blüte 1/1“ (Remanns Einsatzname) dem Kommandanten Reichert, sein Fahrzeug abermals „vorzuziehen“, um die dortigen Kräfte „zu unterstützen“. Das war um 20.53 Uhr. Danach fuhr „WaWe 9“ mit der Kenn– Nummer römisch IV auf die nahegelegene Kreuzung zu, blieb aber nicht etwa stehen, sondern setzte die Fahrt mit Tempo 23 km/h in die Hufnagelstraße fort. „Das war nicht die Absicht meiner Anordnung gewesen“, gestand Remann auf Nachfragen ein. Kurze Zeit später sei Kommandant Reichert zu ihm gelaufen und habe gesagt: „Ich habe einen totgefahren. Nehmen Sie meine Pistole und erschießen Sie mich.“ In der schriftlich niedergelegten Aussage Remanns vier Wochen nach dem Vorfall heißt es am Ende des zweiten Satzes „...sonst erschieße ich mich“. Wesentliche Widersprüche, zumindest aber Ungereimtheiten blieben am Ende des zweiten Verhandlungstages festzuhalten. Während Fahrer Hampl von einer „freien Kreuzung“ sprach, wiederholte Remann mehrfach, daß es kurz vor der Todesfahrt von WaWe IV/1 einen „starken Zustrom“ von Demonstranten auf der Frankenallee in Richtung der Kreuzung Hufnagelstraße gegeben habe - eben der Grund für den Wasserwerfereinsatz. Obwohl Remann weder eine Begleitmannschaft für den Wasserwerfer noch die „Zumischung“ von CN–Gas „für nötig“ gehalten hatte, folgten Reicherts und Hampls Fahrzeug Polizeibeamte und verschoß der WaWe IV/1 Wasser mit Tränengas - „in Fahrtrichtung“, wie Remann aussagte. Daraus ergibt sich zumindest die Vermutung, daß auch der parallel zur „Wasserkanone“ geschaltete Richtscheinwerfer angestellt war. Dies hatte der Angeklagte Hampl ausdrücklich bestritten. Die Verhandlung wird am kommenden Montag mit weiteren Zeugenbefragungen fortgesetzt.
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