: I N T E R V I E W Die Hersteller von Atommeilern sind am Ende
■ Ex–Atommanager Klaus Traube über die Perspektiven der deutschen Atomindustrie / „Der Schnelle Brüter von Kalkar geht seinem Ende zu“ / Der Verlust in Hessen ist „tragisch“
taz: Sie haben schon 1980 das Ende der Atomenergie prophezeit. Sie scheint aber noch ganz lebendig zu sein. Wie beurteilen Sie die Perspektive der Branche im zweiten Jahr nach Tschernobyl? Klaus Traube: Die Perspektive hat sich durch den Tschernobyl–Unfall gar nicht so sehr verändert. In Deutschland und auch weltweit werden - mit wenigen Ausnahmen - keine Kernkraftwerke mehr in Auftrag gegeben. In der Bundesrepublik sind lediglich noch drei Atomkraftwerke im Bau, die 1981/82 bestellt worden sind. Es gibt aber überhaupt keine Aussichten für die Atomindustrie, daß in näherer Zeit weitere Atomkraftwerke bestellt werden. Und das gilt für die allermeisten Länder. Ein halbwegs intaktes Atomprogramm gibt es nur noch in Frankreich, Japan und im Ostblock. Dann können wir ja ganz beruhigt abwarten bis sich die kapitalistische Logik der Atomkraft von selbst das Licht ausbläst. Da muß man vorsichtig sein. Ich behaupte ja nicht, daß irgendjemand ein Kernkraftwerk abschalten oder nicht in Betrieb nehmen will. Nicht die Kernkraft ist am Ende, sondern die Hersteller von Kernkraftwerken. Die Kraftwerkunion hat ihren Betriebsräten schon Monate vor Tschernobyl mitgeteilt, daß ein massiver Personal–Abbau ansteht, wegen mangelnder Aufträge. Und was immer wieder an angeblichen AKW–Projekten durch die Zeitungen schwirrt - hier Java, dort Ägypten, dann wieder die Türkei - , das sind Projekte, die sich seit Jahren hinziehen und die immer wieder aufgepäppelt werden. Vielleicht wird das eine oder andere tatsächlich realisiert, aber große Aussichten bestehen nicht dafür. Der Export hat dennoch ein anderes Gesicht gekriegt, weil die KWU jetzt verstärkt auf die Wartung ausländischer AKWs setzt. Die Atomindustrie will außerdem mit den Russen ins Geschäft kommen, und sie bietet den Hochtemperaturreaktor als neuen Ver kaufsschlager an. Der Hochtemperaturreaktor wird seit 20 Jahren als Verkaufsschlager angeboten. Es mag sein, daß in einer Situation, wo alles stagniert und die Kernkraftlobby alle Kräfte aufbietet, um überhaupt noch etwas in Gang zu bringen, daß sie vielleicht einen HTR ver kaufen kann. Es mag auch sein, daß die Sowjetunion ihren Bürgern zeigen will, daß sich etwas tut in Sachen Kernkraft und sie deshalb teure und angeblich sichere Technik aus Deutschland importiert. Aber wirklich große Exportchancen, wie es die Propagandawelle unterstellt, sind dabei nicht abzusehen. Das zentrale Projekt des bundesdeutschen Atomprogramms ist jetzt der Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Nach einer internen Studie, die der Bund Naturschutz im vergangenen Monat öffentlich gemacht hat, ist ein Teil der Energieversorgungsunternehmen von der WAA aus wirtschaftlichen Gründen abgerückt. Wird Wackersdorf fertig gebaut? Schon kurz vor dem Beschluß der Bundesregierung, die WAA in Wackersdorf zu bauen, also vor Jahresbeginn 1986, hat das RWE (größter und einflußreichster Elektrizitätskonzern - d.Red.) in einem Artikel in der Atomwirtschaft deutlich signalisiert, man solle doch den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage um einige Jahrzehnte aufschieben. Großer Enthusiasmus besteht bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmen sicher nicht. Es wird allerdings befürchtet, daß ohne WAA der Entsorgungsnachweis fehlt und damit die Kernkraftwerke abgeschaltet werden müssen. Im Zusammenhang mit der WAA muß man zunächst sehen, daß der Schnelle Brüter von Kalkar seinem Ende zugeht, das wäre dann der einzig sichtbare Erfolg der Tschernobyl–Diskussion. Damit ist die Legitimation für die WAA weiter gesunken... Strauß hat bereits ausdrücklich erklärt, daß die WAA auch ohne Brüter einen Sinn mache... Eben! Das zeigt, daß er sich mit dem Ende von Kalkar langsam abfindet. Man kann nur hoffen, daß die WAA, die ja in einem Zeitraum von zehn Jahren gebaut wird, doch noch abgeblasen wird, zumal bisher noch nichts Irreversibles gebaut worden ist. Das setzt natürlich kontinuierlichen Widerstand voraus. Die WAA ist sicher mehr als eine Atomanlage. Sie wird mit geradezu religiösem Eifer verteidigt. Hinzu kommt die totale Beschäftigungslosigkeit der KWU und die langsam spürbar werdende fehlende Legitimation für die Kernforschungszentren. Das macht natürlich mächtigen Druck. Die Ausstiegsdiskussion hat sich ein Jahr nach Tschernobyl ziemlich verleppert. Wo sehen Sie noch einen Hebel, um voranzukommen? Was bietet Hamburg? Von Hamburg, dem noch einzigen SPD–regierten Bundesland, das Anteile an Kernkraftwerken besitzt, verspreche ich mir in der jetzigen Koalition mit der FDP überhaupt nichts. Ich habe nie mit einem schnellen Ausstieg gerechnet, zumal mehr als nur die Kernenergie zur Debatte steht. Es geht schließlich um die Frage, was und wie in der Wirtschaft produziert wird. Ob das die Wirtschaft bestimmt oder ob die Politik erstmalig ein Zeichen setzt und klarmacht, daß die Gestaltung des Produktionsprozesses keine Angelegenheit der kapitalistischen Privatwirtschaft ist. Das ist die Dimension. Wo orten Sie in Ihrer Partei nach dem Wechsel von Brandt zu Vogel und dem Scheitern von Rau noch Kräfte für den Ausstieg? Die Diskussion ist natürlich auch in der SPD erlahmt, aber Vogel und viele andere halten an den Nürnberger Beschlüssen fest... Aber nur aus einer Verteidigungshaltung heraus... Das ist sicher richtig, weil diejenigen, die die Hand in Nürnberg hochgehoben haben und nicht mit ganzem Herzen dabei waren, sich inzwischen wieder rühren. Andererseits hat die SPD im Augenblick aber keinen wirklichen Hebelarm, um etwas bewegen zu können. Und wo sie den Hebel gehabt hat, wie in Hessen, ist nichts passiert. Ja, das ist tragisch. Interview: Manfred Kriener
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