: G A S T K O M M E N T A R Politisches Gericht
■ Karlsruhe hat das Vobo–Potential wohl erkannt
Das wird den Zimmermanns und Hölders gar nicht schmecken. Seit Monaten bedrohen sie bei jeder Gelegenheit die Volkszählungsmuffel mit Beugen und Büßen - mittels Tausenden von Mark an Zwangsgeld und Bußgeld. Ins Gesetz haben sie extra reinschreiben lassen, Rechtsmittel gegen die Aufforderung, bei der Volkszählung mitzumachen, haben keine aufschiebende Wirkung, also selbst Widerspruch und Klage schützen nicht davor, sich entweder zu unterwerfen oder zu zahlen. Jetzt funkt das Bundesfverfassungsgericht dazwischen. Die hohen Richter mahnen die Behörden, sich doch bitte mit Zwangsgeld und Bußgeld zurückzuhalten, wenigstens bis die Gerichte die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz entschieden haben. Sonst können irreparable Nachteile entstehen - durch die erzwungene Beteiligung an der Volkszählung etwa. Entpuppt sich das Bundesverfassungsgericht wieder als so ne halbe Volkszählungsboykott–Initiative? Keineswegs. Das Bundesverfassungsgericht ist 1987 so wenig eine Vobo–Ini wie 1983, als es den letzten Volkszählungsversuch in allerletzter Minute gestoppt hatte. Schon 1983 hatten die Richter auf den breiten Widerstand der Bevölkerung - 28 Prozent wollten damals nicht mitmachen - durchaus staatstragend reagiert, indem sie die Notbremse gezogen hatten, den Politikern ein Debakel erspart. Ohne Vobo hätte es das inzwischen berühmte Volkszählungsurteil nicht gegeben. Wenn die hohen Richter jetzt den übereifrigen Zwangsgeld– und Bußgeldbetreibern einen ersten Warnschuß vor den Bug setzen, dann zeigen sie damit, daß sie weit mehr von der Stärke und der Gefährlichkeit der Volkszählungsboykottbewegung begriffen haben als die Defätisten selbst bei den Grünen. Das Bundesverfassungsgericht ist also doch ein politisches Gericht. Hans–Christian Ströbele, Ex–MdB der Grünen, Berlin
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